Manchmal, wenn ich wirklich sehenden – nicht nur offenen – Auges durch die Fußgängerzone einer beliebigen Innenstadt wandere, komme ich aus dem Staunen gar nicht mehr so richtig heraus: Nicht nur, dass ich dort mittlerweile überall verstärkt Plastiktüten registriere (die mir in der Penetranz vielleicht vor einem halben Jahr noch nicht aufgefallen sind – aber das hängt mit meiner persönlichen Entwicklung und meinem veränderten Blickwinkel zusammen). Nein, was mich verstört, ist, dass überall konsumiert wird.
Und zwar mehr als fleißig.
Versteht mich nicht falsch: Ich bin mit Sicherheit keine verkappte Kommunistin und denke, dass eine florierende Wirtschaft wichtig für ein – wie soll man es nennen? – gesundes Land, für eine gesunde Welt ist. Handel lässt Menschen aufeinander zugehen, lässt Waren und Ideen kursieren – und hat letzten Endes unter anderem dafür gesorgt, dass die Menschheit sich an dem Punkt befindet, an dem sie heute steht. Handel ist eine Form der Kommunikation – und zwar eine sehr fruchtbare.
Ist der Konsum, dem in aller Selbstverständlichkeit gefrönt wird, es wirklich wert?
Doch wenn ich so die Straßen auf und ab schaue und in die Gesichter der Menschen blicke, die so viele und so große Tüten vor sich hertragen, dann frage ich mich, ob der Konsum, der hier betrieben und dem in aller Selbstverständlichkeit gefrönt wird, es wirklich wert ist.
Ob er es wirklich wert ist, dass wir unser Geld – unser hart verdientes Geld – in diese Dinge investieren, die man in den Vergnügungsstraßen erwerben kann. Ob es das wirklich wert ist, dass wir uns extra einen Tag in der Woche freihalten – zum Shoppen. Zum gemeinsamen Zelebrieren des Geldausgebens.
Ich muss gestehen, dass ich diesen Gedanken mittlerweile gruselig finde: Man verabredet sich, man hält sich einen Tag frei, man rennt durch die Gegend, lässt sich verführen von bunten Plakaten, die Dinge versprechen, die sie ohnehin nicht halten können (sei es nun vom Preis, von der Optik oder der Haltbarkeit her) und man lauert gewissermaßen auf die nächste Gelegenheit, sein Geld schnellstmöglich loszuwerden. Man ist auf der Jagd.
Schau‘ mal da, das Kleid, ist das nicht toll? Sowas wollte ich schon immer mal haben! Und es ist runtergesetzt! Hab‘ ich ein Glück! Das Buch, guck mal – das neue von Autor Sowieso! Das muss ich haben! Und diese Vase – die Blumen werden ganz wunderbar darin aussehen! Die wird sich toll auf meinem Küchentisch machen! Und guck mal, das Poster – das wäre doch was für dich!
Und so geht das munter schnatternd und gackernd weiter. Stundenlang.
Und eine Tüte gesellt sich zur nächsten, bis beide Arme irgendwann vollgepackt sind und am Ende des Tages Druckstellen vom Gewicht der Inhalte bekommen. Am Ende des Tages haben die Menschen dann Blasen an den Füßen, waren unter Umständen noch kurz essen – Shoppen ist schließlich anstrengend – und haben sich gegenseitig ihre neuen Errungenschaften gezeigt (oder auch nicht).
Ich frage mich, ob diese Menschen wohl glücklich sind, wenn sie zuhause all‘ diese Shopping-Tüten öffnen.
Dann geht es – erschöpft, aber zufrieden, zumindest vorerst – nach Hause. Und ich frage mich, ob diese Menschen wohl glücklich sind, wenn sie zuhause all‘ diese Tüten öffnen und ihre neuen Schätze in der Wohnung verteilen. Ich meine: so richtig glücklich. Denn es gibt einen großen Unterschied zwischen Glück und Spaß.
Spaß kann ich kurzfristig haben – aber er ebbt schnell wieder ab, sobald der Trigger (also das Objekt meiner Spaßbegierde) verschwunden ist bzw. an Reiz eingebüßt hat. Spaß ist ein kurzweiliger Begleiter, der immer neues Futter braucht. Ein gieriges Untier.
Spaß ist anstrengend, denn er will immer wieder von neuem heraufbeschworen werden – und dazu genügt es nicht, an einer stumpfen Lampe zu reiben. Im Gegenteil: Der Spaß will etwas für sein Erscheinen, eine Art Zins. Und je länger oder intensiver er sein soll, desto höher muss dieser Zins sein.
Ich habe den ganzen letzten Monat gearbeitet, da kann man sich auch mal was gönnen!
Nun wäre das an sich kein Problem, mag man sich denken – Geld hab‘ ich ja. Ich kann es mir ja leisten. Und wenn ich es mir nicht leisten kann, dann beruhige ich mich wenigstens mit dem Gedanken, dass ich es mir verdient habe – ich habe schließlich den ganzen letzten Monat gearbeitet, da kann man sich auch mal was gönnen.
Doch so einfach ist es nicht. Denn in der Regel werden die Sachen, die du dir da in der Einkaufspassage geholt hast – weil sie hübsch sind, dich angesprochen haben, aus welchem Grund auch immer – ihr Geld aus mehreren Gründen nicht wert gewesen sein:
- Sie werden mit ziemlicher Sicherheit unter unfairen Arbeitsbedingungen hergestellt sein.
- Wenn du ganz ehrlich bist, brauchst du sie nicht. Du willst sie, aber du brauchst sie nicht.
- Wenn du zuhause bist, werden die meisten von ihnen früher oder später als Staubfänger enden. Und dann irgendwann wieder auf dem Flohmarkt – ohne, dass du sie wirklich genutzt hättest.
Das ist eine unschöne Sicht der Dinge, vielleicht. Eine unbequeme auf jeden Fall. Aber nur auf den ersten Blick.
Ganz ehrlich und ohne Schönrederei? Du hättest dein Geld gleich zum Fenster hinauswerfen können. Und hättest damit nicht einmal eine Industrie unterstützt, die auf unfaire Arbeitsbedingungen fußt. Das ist eine unschöne Sicht der Dinge, vielleicht. Eine unbequeme auf jeden Fall. Aber nur auf den ersten Blick. Denn weißt du was? Es gibt etwas viel Besseres als Spaß, was sich viel leichter haben lässt: Glück.
Wusstest du, dass es eine Wissenschaft gibt, die sich damit beschäftigt, wie und unter welchen Umständen wir Menschen glücklich werden? Sie nennt sich bezeichnenderweise Glücksforschung und ist meiner Ansicht nach eine der wichtigsten Wissenschaften überhaupt.
Und weißt du, welche Kriterien nach dieser Forschung für ein glückliches Leben – in absteigender Reihenfolge – erfüllt sein müssen?
- Soziale Beziehungen
- Gesundheit
- eine befriedigende Tätigkeit (nicht unbedingt der eigene Job, aber etwas, in dem man aufgeht)
- persönlicher Freiraum
- eine optimistische Grundeinstellung
- ein ausreichendes Grundeinkommen für einen abgesicherten Lebensstandard
Was genau ein „abgesicherter Lebensstandard“ ist, darüber ließe sich sicherlich trefflich streiten. Aber das Wichtige ist: Finanzielle Überlegungen kommen ganz am Ende der Liste für ein glückliches Leben.
Mehr Geld macht nicht glücklich, das weiß eigentlich jeder und jede von uns. Ist es da nicht naheliegend, dass das auch beim Konsum der Fall ist? Warum also nicht einfach einmal die Pause-Taste drücken, vom Gaspedal des Konsums heruntersteigen und kurz innehalten, durchatmen und sich fragen, was zum Teufel man hier eigentlich macht?
Wag‘ es! Von Konsumstille und Befreiung
Die Vorstellung ist sicherlich eine fürchterliche: nichts mehr zu konsumieren. Aber keine Sorge – so ist das auch gar nicht gemeint.
Denn Tatsache ist auch: Ohne Konsum kommen wir nicht weit. Jedes Mal, wenn wir irgendeinen Laden betreten und mit einem Objekt wieder hinausgehen – dabei kann es sich um ein neues Playstationspiel, eine Packung Nudeln oder ein Buch handeln – konsumieren wir. Wir konsumieren, sobald wir PC, Handy oder Fernseher einschalten und uns durch die Weiten der neuen Medienlandschaft bewegen. Wir konsumieren eigentlich ständig. Das ist unvermeidbar – und an sich auch nicht weiter tragisch oder verwerflich.
Das Verwerfliche ist, dass wir es nicht merken. Wir merken nicht, wie viel Geld wir eigentlich andauernd beim Konsumieren von allen möglichen Produkten ausgeben. Hier mal ein Shirt, da mal ein Buch, hier man ein Duschgel, Parfüm, Deo, eine Topfpflanze, ein Deko-Element dort und ein Holzbrettchen hier.
Wir schwelgen in unserem Luxus, uns jederzeit alles Mögliche und Unmögliche kaufen zu können und in dem antrainierten Belohnungs-Mechanismus, der uns eingetrichtert wurde und mit immer unverschämteren Slogans seitens der Werbung immer tiefer ins Bewusstsein gehämmert wird.
Und weißt du was? Das ist traurig.
Die Industrie freut sich. Denn sie hat ihr Ziel erreicht: Wir kaufen, manisch, beinahe zombie-artig.
Das ist traurig für dich, für mich, für die Menschen, die unsere Waren herstellen, für die Umwelt, weil so viel weggeworfen wird, da es dann doch nicht gebraucht wird, für eigentlich alles und jeden. Außer für die Industrie. Die freut sich. Denn sie hat ihr Ziel erreicht: Wir kaufen, manisch, beinahe zombie-artig.
Mein Appell daher – an dich, an mich, an uns alle: Wag‘ es! Wag‘ es, weniger zu kaufen. Wag‘ es, vor dem Einpacken des Dinges – was auch immer es sei – in den Einkaufskorb ganz genau nachzudenken und dir die alles entscheidende Frage zu stellen: Brauche ich das wirklich?
Wag‘ es, aus der Reihe zu tanzen, nicht zu sein wie alle anderen – und vielleicht gerade deshalb mit gutem und inspirierendem Beispiel voranzugehen. Wag‘ es, angesprochen zu werden: Mensch, nu‘ gönn‘ dir doch – es kostet doch nichts! Und du: Nein, das brauche ich nicht. Ich brauche es einfach nicht.
Wag‘ es, verdutzten Blicken ausgesetzt zu sein. Wag‘ es, aufzufallen. Wag‘ es, Rückgrat zu haben, Courage und Engagement zu zeigen – einfach, indem du etwas unterlässt. Wag‘ es, nach Kant, deinen eigenen Verstand zu gebrauchen.
Dieses immaterielle Glück wird den materiell erkauften Spaß mit Leichtigkeit aufwiegen können.
Wag‘ es, sei mutig, verzichte – und genieße die Belohnung, die jenseits dieses scheinbar so schwierigen Verzichtes auf dich wartet. Denn dieses immaterielle Glück wird den materiell erkauften Spaß mit Leichtigkeit aufwiegen können.
Und wenn du dir überlegst, was das bedeuten würde, wenn andere Menschen ebenfalls nach dieser Einstellung lebten – eine Potenzierung von Glück …
Stellen wir uns vor, an jedem Tag würde ein winziges Quantum mehr Liebe, Vernunft, Klugheit aufscheinen. Menschen würden sich eine Spur aufmerksamer behandeln. Liebende würden eine Nuance liebevoller miteinander umgehen. Bürger würden sich ein winziges Stück weit kooperativer untereinander verhalten.
Wag‘ den persönlichen kleinen Aufstand gegen deine anerzogenen Bedürfnisse.
Plädiere für eine Konsumstille – für dich, ganz individuell. Wag‘ den persönlichen kleinen Aufstand gegen deine anerzogenen Bedürfnisse und schaue, ob du damit vom Spaß zum Glück finden kannst. Auch wenn der Beginn vielleicht schwer fallen wird (denke daran: es geht hier nicht um Perfektionismus!), mit der Zeit wirst du geübter sein – und es wird sich lohnen, garantiert.
Ich bin dieses Wagnis vor ein paar Monaten bewusst eingegangen. Ich habe mir seit einem Jahr keine Kleidung mehr gekauft. Ich leihe Bücher nun fast nur noch aus (oder bekomme sie als Rezensionsexemplare zugeschickt, aber das ist eine andere Geschichte). Ich verschenke Sachen, die ich nicht mehr brauche. Ich kann ohne mit der Wimper zu zucken an jedem Geschäft vorbeigehen (außer einem Unverpackt-Laden und dem Wochenmarkt).
Ich kaufe keinen Deko-Klimbim mehr, von dem ich weiß, dass er sowieso nur einstauben wird. Ich minimalisiere meinen Kosmetikverbrauch und meinen Konsum generell. Und stelle mir jedes mal im Geschäft (online und offline) die Frage, ob ich das hier gerade wirklich brauche – oder ob ich mich gerade etwa verleiten lassen will.
Und ich kann dir versichern: Ich fühle mich frei. Das Wagnis lohnt sich.