Wir sind die, die tagelang nicht auf Nachrichten antworten, die nach einer Phase größter Intimität plötzlich weg sind, die gerade mal wieder nichts Festes wollen. Man ist genervt von uns und man schreibt Blogs über uns. Dabei sind wir gar nicht die Selbstoptimierer, die immer nur auf etwas Besseres warten. Nein. Wir sind die Unverbindlichen. Wir fürchten uns vor Verpflichtungen, schrecken zurück vor Verantwortung und forderst Du zu viel, dann flüchten wir in unseren Freiraum, obwohl wir uns dort so allein fühlen.
Wir sind unverbindlich in jeder Beziehung, ob in der Liebe, in Freundschaften oder im Kreise unserer Familie. Es ist kein Zufall, dass die meisten von uns damals ihr Elternhaus, den Heimatort, die alten Freunde, verflossene Liebschaften, alle Menschen, die irgendwelche Ansprüche an uns stellen könnten, hinter uns gelassen haben.
Wir mussten auch nach dem Studium oder dem Auslandsaufenthalt noch einmal unseren Wohnort wechseln, weil es immer noch nicht reichte, weil sich wieder alles eng anfühlte und so sind wir nun – selbstredend – in Berlin angekommen oder an einem anderen Zufluchtsort der Anonymität.
Wir wissen noch nicht, wie lange wir bleiben, haben einen flexiblen Job, probieren in unserer Freizeit alles mal ganz unverbindlich aus und lernen dabei viele Menschen kennen.
Und hier geht es uns jetzt ganz gut. Hier gestalten wir alles nach unseren Unverbindlichkeitsvorstellungen. Wir wissen noch nicht, wie lange wir bleiben, haben einen flexiblen Job, probieren in unserer Freizeit alles mal ganz unverbindlich aus und lernen dabei tatsächlich viele Menschen kennen. Denn wir Unverbindlichen wollen ja gar nicht allein sein, im Gegenteil: Wir sind süchtig nach intensiven Kontakten, die die alltägliche Oberflächlichkeit durchbrechen.
Auch mit Fremden können wir innerhalb weniger Augenblicke vertraut sein, schütten unser Herz aus, teilen mit ihnen all unsere Wahrheiten in der Gewissheit, dass man danach ohne Erwartungshaltung auseinander geht. Nach einem kurzen heftigen Zusammenstoß zieht jeder auf seiner Umlaufbahn weiter.
Wir betonen schon vor dem ersten Kuss, dass wir nichts Festes wollen, schmeißen uns dann aber mit all unseren aufgestauten Bedürfnissen in die neue Verbindung.
Auf Nähe folgt bei uns immer Distanz. Auch in der Liebe. Wir betonen schon vor dem ersten Kuss, dass wir nichts Festes wollen, schmeißen uns dann aber mit allem, was wir haben, allem, was wir geben können, mit all unseren aufgestauten Bedürfnissen in die neue Verbindung, sodass beim Gegenüber ein Gefühl von tiefer Verbundenheit entsteht und die Annahme, dass sich daraus doch mehr entwickeln könnte. Das ist unser Stichwort zu gehen.
So kann es passieren, dass man nach einer Phase größter Intimität tagelang nichts von uns hört, vielleicht sogar einen ganzen Winter lang, in dem sich die Unverbindlichen besonders gern in ihre Höhlen zurückziehen.
Wer Forderungen stellt, wer klammert, der wird gnadenlos aussortiert.
Wer damit nicht klar kommt, wer Forderungen stellt, wer klammert, der wird gnadenlos aussortiert: „Unsere Verbindung ist gerade schlecht, ich melde mich später noch mal.“ Wir Unverbindlichen verlangen, dass man uns in unserer Eigenart akzeptiert, dass man Rücksicht nimmt, dass man nach unseren Regeln spielt und liebt. Das ist viel zu viel verlangt und somit ist es nicht verwunderlich, dass Unverbindliche vor allem unter sich bleiben.
Wir bauen uns einen Freundeskreis aus Gleichgesinnten, mit denen wir ab und zu schreiben, sie hin und wieder treffen, wenn beide zur selben Zeit eine gute Phase haben, ansonsten liked man aber zuverlässig die gegenseitigen Facebook-Posts und schickt sich die neuen Singles von Ry X. Im Grunde sind wir Unverbindlichen sowas wie die Singles von Ry X.
Außer wenn wir doch mal allen Mut zusammen nehmen und für ein paar Monate eine feste Partnerschaft eingehen, das sind dann aber Fernbeziehungen, am liebsten mit Musikern, die gerade um die Welt touren und auch sonst nicht so richtig wissen.Wir spüren die Zerrissenheit zwischen dem tief im Menschen veranlagten Bedürfnis nach stabiler Bindung und unserem eigenen Unvermögen, diese einzugehen.
So sind wir. Völlig losgelöst schweben wir in unserer selbst auferlegten Schwere. Und das Schlimmste daran ist, dass wir wissen, dass wir so sind. Wir nerven uns selbst. Wir spüren die Zerrissenheit zwischen dem tief im Menschen veranlagten Bedürfnis nach stabiler Bindung und unserem eigenen Unvermögen, diese einzugehen. Wir sehnen uns nach Konstanz, Sicherheit, möchten etwas aufbauen, irgendwann mal eine eigene Familie, wir wissen nur noch nicht, wie das gehen soll.
Zu tief sitzt die Bindungsangst, die in unserer Kindheit oder durch vergangene Liebeskatastrophen entstanden ist. Wir möchten nicht erneut verletzt werden oder andere verletzen, darum vermeiden wir feste Bindungen.
Insgeheim hoffen wir natürlich darauf, dass irgendwann die/der Richtige kommt, ein Mensch, bei dem unser Fluchtimpuls nicht mehr ausgelöst wird.
Ob es Hoffnung für uns gibt? Insgeheim hoffen wir natürlich darauf, dass irgendwann die/der Richtige kommt, ein Mensch, bei dem unser Fluchtimpuls nicht mehr ausgelöst wird. Dabei wissen wir doch, dass wir all die Male zuvor auch nicht vor dem anderen, sondern eigentlich vor uns selbst und unserer Geschichte geflohen sind. Und das gilt es zu überwinden. Menschen können ihren gelernten Bindungsstil durch neue Erfahrungen verändern!
Das hört sich jetzt fordernd für Dich an? Stellt Erwartungen an Dich? Sorry, wenn dieser Text eines nicht möchte, dann ist das verbindlich werden …
Leser und Autor brauchen jetzt erst mal ihren Freiraum, etwas Abstand voneinander und ganz viel Zeit für sich.
Headerfoto: Matthew Dix via Unsplash Lizenz! (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Ich danke Dir für diesen klar formulierten bildhafte Text. Ich weiß genau, wie sich der Schutz jener kalten schwarzen Burg anfühlt.
Ich weiß garnicht mehr, wonach ich bei Google die Tage gesucht habe, als ich diesen Bericht fand. Direkt in den ersten drei Sucheinträgen. Das Wort ‚unverbindlich‘ tauchte in meiner Suche nicht mal auf…
Ich war/bin auf der Suche nach einer Erklärung und ich glaube, dass was hier beschrieben ist, trifft auf „ihn“ zu, nachdem ich das hier zig Mal gelesen habe.
Seit etwa 2012 kennen wir uns, treffen uns manchmal regelmäßig, mal unregelmäßig. Er wurde eigentlich immer offener; hat von sich erzählt, seinem Freund (kein Musiker wie oben dargestellt, aber doch sehr viel beruflich unterwegs), was er so macht, was ihm passiert ist. Nun fragte ich vorsichtig per WhatsApp nach einer Freundschaft – da ist doch eine innere Bindung da, denke ich. Seitdem … nichts mehr – keine Reaktion – keine Antwort – kein Lebenszeichen.
Wenn ich den Bericht hier lese, war das wohl der kleine heftige Zusammenstoß, den ausgerechnet ich verursacht habe – aus Unwissenheit – ich wollte es nicht.
Und jetzt soll jeder wie auf seiner Umlaufbahn weiterziehen? Für ihn scheint es einfach, oder doch nicht? Reagiert er nicht, weil er nicht damit umzugehen weiß?
„Sie wollen nicht verletzt werden oder verletzen.“ Er verletzt sehr wohl, nur scheint ihm das nicht bewusst oder egal. 6 Jahre für den Arsch? Es ist schwer, jetzt zu sagen, man soll sich jetzt nur noch an die guten Zeiten zu erinnern und was man gemeinsam erlebt hat.
Ich fühle mich, als wäre er gestorben – tot. Unerreichbar. Für immer.
Ich hoffe, das ein abgebrochenes Stück aus dem heftigen Zusammenstoß als Mond in seiner Umlaufbahn bleiben darf und mit ihm mitzieht. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Hätte ich doch nur nie gefragt und es beim alten ‚Zustand‘ belassen. Hätte ich es denn gewusst, dass er ein ‚Unverbindlicher‘ ist/zu sein scheint – die Symptome passen jedenfalls alle. Es scheint zu spät.
Es ist schade, schade um einen netten Menschen, den ich lieb gewonnen habe. Weil es nur wenige gibt, die so sind, wie er.
Es ist vorbei, einfach so. Es tut weh.
Bei mir trifft es größtenteils zu. Seid einem Auslandsaufenthalt bin ich rastlos,macht mich etwas nicht glücklich,bin ich weg😐 Versuche gerade an einem tollen Ort sesshaft zu werden,leider nicht einfach.Und beim Thema Männer finde ich einfach nicht den Richtigen. Es gefällt mir „dies“ nicht an ihm, oder „das“ nicht und sobald ich einen super finde,ist er meistens ein „Unverbindlicher“ ☹ Ich hoffe das wir alle unser stetes Glück finden und zufriedener durch’s Leben gehen.
„Völlig losgelöst schweben wir in unserer selbst auferlegten Schwere (…)Wir möchten nicht erneut verletzt werden oder andere verletzen, darum vermeiden wir feste Bindungen.“ Unverbindlichkeit geht oft mit fehlendem Engagement einher, weshalb sich auf der Gegenseite das Engagement steigert. Kenne vielfach solche Erfahrungen vom Hörensagen, eigenen Erfahrungen und Gesprächen mit dieser Art Männer und Frauen. Der Denkfehler der „Bindungsflüchtlinge“: Hoffnung „…dass irgendwann die/der Richtige kommt, bei dem unser Fluchtimpuls nicht mehr ausgelöst wird.“ Das tückische an Bindungsangst ist, dass sie nicht spürbar ist, indem Betroffene entweder kaum Gefühle aufbauen oder große Gefühle aufbauen und sie dann selbstgemacht blockieren. Das Problem kann nur der Betroffene lösen und überwinden. Die Rolle des „externen, heiligen Erlösers und Therapeuten“ ist nicht die Aufgabe von liebesfähigen Menschen. Der Text zeigt gut, wie die „Unverbindlichen“ die eigenen Problemlösungsprozesse gedanklich von sich selbst weg delegieren – ist ja Unverbindlicher 🙁 😉 Das Beste was man tun kann: den Kontakt zuerst abbrechen. Diese Menschen schaden den anderen. Das Fatale ist, dass „die anderen“ oft viel Verständnis haben, ihr eigenes Engagement verstärken, die im Text genannten „Regeln“ aus Liebe mitmachen und auch immer wieder reagieren, wenn sie sich wieder melden. Das „nehmen und wenig geben“ führt dazu, dass diese Verhaltens- und Denkweisen in unserer Gesellschaft immer mehr zunehmen. Es ist schlimm geworden. „Ich komme damit ja durch, muss nichts ändern“ lernen die Macher. Also schaden sie anderen weiter. Erst wenn Bindungsangst Konsequenzen hat, ein negatives Image und allgemeine Skepsis, werden die Betroffenen anfangen, selbst an sich zu arbeiten.
Wie ein Schlag ins Gesicht getroffen. Hast mir wirklich aus der Seele gesprochen und wie in einem oberen Kommentar: Weiß nicht, ob ich Lachen oder Weinen soll. Auf der einen Seite ist man doch irgendwie stolz, dass man mutig genug ist Nirgendwo lange zu bleiben, Orte wechseln zu können wie Klamotten. Fühlt sich gut, dass man nicht seit kleinauf das gleiche, langweilige Leben führt. Dass man gut darin ist, schnell neue Leute zu finden und unabhängig ist, nur ganz alleine auf sich selbst gestellt. Und gleichzeitig genervt und traurig, dass man keinen Ort findet, an dem man lange bleiben mag. Und keine Person, die das nachvollziehen kann.
Sehr famoser Text, Tobi.
Ich kenne eine millionen dieser Männer. Gefühlt habe ich sie alle gedatet und habe ihr Verhalten verurteil und am Ende lese ich den Artikel und finde mich selbst darin 🙁
…….sind wir nicht alle ein wenig #generationunverbindlich ?!
Ich weiß genau was du meinst ..
BITTE BITTE BITTE mehr von Tobi! Sagenhaft, humorvoll und knallehrlich! Wie erfrischend!
@all: ich glaube nicht, dass die Unverbindlichen je wirklich verbindlich werden, aktzeptiert sie, liebt sie… wenn sie merken, dass es da nichts mehr gibt vor dem sie davonlaufen muessen, werden sie vielleicht bleiben.
Doof nur wenn man selbst hochsensibel und emphatisch ist… Sicherheit ueber allem steht… da knallen wohl zwei Welten aufeinander. Ich freu mich auf mehr!
Toll geschrieben. Vielen Dank. Hast du eventuell auch einen guten Rat für alle die, die ein solches, unverbindliches Objekt kennengelernt hat? Soll ich diesen unverbindlichen Mann endgültig in den Wind schießen oder gibt es auch nur einen Funken Hoffnung? Ich bin ratlos….
Mache dich frei davon. Er hat sich bereits entschieden. Wenns richtig wäre würde es sich richtig anfühlen. Ich gebe dir diesen Rat weil ich von mir weiß, wenn ich die Entscheidung getroffen habe, gibt es kein Zurück mehr. Hatte eben so einen Fall… Kann zwar dann mit der Person ne schöne Zeit haben, allerdings wird es niemals mehr werden. Der richtige kommt schon noch 🙂 Ich wünsche dir alles Gute. Liebe Grüße
Wenn er nicht will, will er nicht. Irgendwann kommt der Richtige. Glaube fest daran!
Noch nie hat mich jemand so gut beschrieben wie du mit diesem Artikel. Ich weiß bloß nicht, ob ich jetzt lachen oder weinen soll.
Du, Pete, ich glaube daran, dass wir unsere Muster überwinden können, wenn wir sie (so wie Du) erkennen. Es braucht nur viel Aufmerksamkeit, um die eigenen Gedanken zu entlarven, die uns immer wieder davon überzeugen wollen, wir seien isoliert, die anderen könnten uns nicht verstehen usw. Ich hoffe Du findest einen guten Weg für Dich und währenddessen sei Dir sicher, dass Du nicht allein bist mit diesem Problem…
Jeder unverbindliche Augenblick ist mehr Wert, als eine sich in die Jahre ziehende nichtige Verbindung, deren Sinn man nicht mehr greifen kann! Danke Tobi <3
Wundervoll geschrieben! Regt zum Nachdenken und In-sich-gehen an. 🙂 Liebe Grüße
Gefällt! Besonders Ry X’s song – richtig passend.
Was bei all diesen Enttäuschungen nicht zu vergessen ist: grundlegend – schon nur wörtlich – dafür ist die Täuschung, von der man ent-täuscht wird, also wäre eigentlich ziemlich viel Erkenntnisgewinn zu holen, in solchen Momenten.
Mega Text. Mega getroffen. Mir fällt das ebenso auf. Bei mir. Oder beim Beobachten anderer. Freiräume bieten Platz für Kreativität. Und man kann sich dann viel gegenseitig erzählen. Und ein Hund ist doch schon eine extreme Verpflichtung. Und der Job, der ja eheähnliche Züge aufweisen kann. So eine Fernbeziehung hat seine Vor- und Nachteile. Wenn beide verbindliche Unverbindliche sind, ist das das non plus ultra. Ich als Berlinerin kenne das kaum anders….. jedoch auch das ändert sich gerade…..
Fragt sich dann, was tun, wenn der sonst so Verbindliche sich plötzlich nach genau diesem unverbindlichem Dasein sehnt? Die festen Bindungen durchbrechen, einfach einen cut machen. Neue Leute, neue Einflüsse, aber bloß nichts, was zu nah an einen herankommen könnte. Den Idealismus einer bedeutsamen Verbindlichkeit entkräften. Alles unnötig wären da nicht Angst und Unsicherheit. Wer will sich auch schon verletzlich zeigen ?
Schön, dass das mal angeschnitten wird, vor allem wenn man bedenkt, dass ‚Beziehungsunfähigkeit‘ zum Trend wird.
Würde gerne mehr von Tobi lesen
Wow. Danke dafür!