Björn Kuhligk „Großraumtaxi“
Auf den Punkt gebracht:
Björn Kuhligk erzählt auf amüsante, fast skurrile und niemals gähnende Weise in 62 knackigen Geschichten vom Leben in der Mutterstadt. Börlin! Ob beim Zeitung austragen, vor dem überfüllten Clash oder auf dem Bolzplatz mit dem Sohn. Kein Bier wird zu wenig getrunken, kein Absatz zu viel erzählt.
Wer soll es lesen?
Nicht nur Berliner, Backpfeifenjesichter, Freunde von Wladimir Kaminer, Schlachtenseebader, Milchreisesser, nur-manchmal-Taxifahrer, Väter, taz- Leser, tiefenentspannte Flaneure
Was soll man auch machen als Zugezogener, man versteht die Leute nicht, wird nicht richtig verstanden, hat Aufkleber lesen müssen, auf denen stand `Wir sind das Volk und ihr nicht´, und fand es nicht mal ein bisschen lustig.
Ist geil, weil:
Den Alltagsgeschichten auf der Spur zieht Björn Kuhligk als sympathischer Beobachter quer durch die Straßen Berlins. Dabei richtet er seinen Blick nicht einfach nur starr auf die eigene Umgebung, sondern verknüpft seine Stadt mit all ihren fabelhaft auftretenden Eigentümlichkeiten. Zwar können Berliner manchmal ruppige und taktlose Wesen sein, aber hey, „scheiß die Ratte drauf“, sind sie zu laut, bist du zu leise! Ein bisschen erinnert das Ganze dann an Franz Hessel, der mit seinen Spaziergängen schon Ende der 20er Jahre das lärmende Großstadttreiben in seinem sozialen Gefüge zu beschreiben wusste. Heute ist es die Moderne, die Kuhligk manchmal staunen lässt, aber immer so relaxed, das er deshalb noch lange nicht mit dem kulturkritischen Stinkefinger auf sie zeigen muss. Gut so! Mal ganz abgesehen davon ist der Typ einfach so entspannt, das wir auch gleich mit ihm über die Stadt und seine Passion zur Lyrik sprechen mussten.
So wie wir hier grad gemütlich in einem Kreuzberger Café sitzen, könnte sich das auch gut als eine Szene in deinem Buch machen. Warum lohnt es sich über Geschehnisse aus dem Alltag zu schreiben?
Es lohnt sich deshalb, weil sich hinter jeder Alltagssituation sehr viel Material versteckt, worüber man schreiben kann. Der Alltag ist eigentlich voller skurriler Begegnungen, deren Humor mir sehr nahe ist und das fliegt mir dann natürlich zu. Irgendwann dachte ich, das eignet sich für kleinere Prosatexte, die unterhaltsam sind.
Ist Berlin da als Inspirationsquelle erst recht nützlich?
Ja, auf jeden Fall! Ich bin in Berlin geboren. Ich habe es gerade mal so knappe zwei Jahre aus Berlin weggeschafft bis die Stadt mich wieder angezogen hat. Das heißt, ich bin hier ganz gut verwurzelt, mir ist der Zungenschlag der Leute vertraut. Die Art, wie die Leute agieren, gepaart mit ihrem schroffen Humor, findet man nirgendwo anders.
Nervt dich der Hype um Berlin trotzdem manchmal?
Natürlich nervt es hin und wieder, aber Berlin ist nun mal die spannendste und interessanteste Stadt in Deutschland und da haben wir auch alle ein Fünkchen dazu beigetragen, indem wir hier eine Partykultur etabliert haben, die mittlerweile Menschen aus der ganzen Welt anzieht. Somit haben wir eingefordert, was nun Wirklichkeit geworden ist, und ich finde es eigentlich eher etwas lächerlich, sich gleichbleibend darüber aufzuregen.
Aber ganz ehrlich, muss man nicht auch ein bisschen aufpassen, nicht gleich in die Klischeekiste zu greifen, wenn man über eine Stadt wie Berlin schreibt?
Es ist schon sehr wichtig, aber ich würde auch sagen, dass ich in meinem Buch den Hipster oder die Verkäuferin bei Edeka nicht einfach mit bekannten Mustern ausgestattet habe. Eigentlich tauchen sie nur am Rand auf und ich werde einen Teufel tun, eine komplette Szene nur über Hipster zu schreiben. Ich finde die absolut langweilig. Ich verstehe die auch überhaupt nicht.
Du setzt dich ja ganz bewusst mit deiner Umgebung auseinander. Dabei ist dein Sprachstil außerordentlich zugänglich, deine Beschreibungen sehr treffend und dein Humor entsteht fast beiläufig. Ist das dein Erfolgskonzept?
Ich weiß nicht, ob das mein Erfolgskonzept ist, aber zumindest ist das der Masterplan. Ich habe die Geschichten in einer einfachen Sprache geschrieben, sodass es allgemein verständlich ist. Die meisten dieser Texte sind in der taz erschienen und haben sich zunächst an den Zeitungsleser gerichtet, der, wenn er die tagesaktuellen Themen durchgelesen hat, eben auf die Seite gelangt, die ihn unterhält.
In der Szene „Den Job bekommst du“ geht es um das Austragen von Zeitungen. Sicherlich eine anstrengender Job, allerdings geht es bei dir um das Sammeln von Erfahrungen für eine Romanidee. Muss der Schriftsteller ab und an seinen Computer herunterfahren und sich nach draußen bewegen?
Ich will gar nicht sagen, was ein Autor soll oder muss. Für mich aber gilt, wenn ich nur am Rechner sitze, bekomme ich keine Ideen. Ich muss mich nach draußen bewegen und mich dem Einfluss von außen hingeben. Zum Beispiel interessieren mich immer Aspekte aus der Arbeitswelt. Wie geht es anderen Leuten in anderen Jobs? Wie nehmen sie ihre Umgebung wahr? Als ich eine Woche mit Zeitungszustellern mitgelaufen bin, hat sich daraus dann eine längere Reportage entwickelt. Anfänglich war ich begeistert von dem tollen Material, das mir vorlag, kurz darauf war ich dann aber auch enttäuscht, als ich gemerkt habe, dass es nicht für einen Roman ausreicht. Klar spielten da auch noch andere Gründe eine tragende Rolle, aber am Ende ist es dann einfach bei der Reportage geblieben.
Du sprichst jetzt hier konkret von einer Reportage und tatsächlich fällt mir die Einordnung der Geschichten ein bisschen schwer. Sind das durchweg Reportagen oder auch Episoden, Szenen, gar Kurzgeschichten?
Ich glaube, die drei längeren Texte in dem Buch sind literarische Reportagen. Es gibt ja in der Ethnologie den Begriff der teilnehmenden Beobachtung, bei der man über längere Zeit bei Menschen lebt, die auf ganzer Linie einen ganz anderen Hintergrund haben. Das habe ich ansatzweise versucht sozusagen. Die kürzeren Texte begreife ich eigentlich als sehr kurze Kurzgeschichten, die aber schon die Möglichkeit haben, wenn man sie weiter ausbauen würde, zu einer regulären Kurzgeschichte zu werden.
Nun haben Kurzgeschichten ja die leidige Angewohnheit, dass man über das Geschehene nachdenken muss. Das berühmte „Zwischen-den-Zeilen-lesen“, das eigentlich keiner mehr so richtig praktiziert. Was findet der Leser denn bei dir?
Ach, dass der Leser was Bestimmtes findet, verlange ich überhaupt nicht. Das möchte ich auch gar nicht. Ich glaube, dass jede Form der Literatur, die geschrieben wird, erst mal ein Angebot an den Leser ist, nach dem Buch zu greifen, es vielleicht bestenfalls zu kaufen. Wenn er es dann so lesen kann, dass es ihm mehr bringt, als nur die Oberfläche eines Textes, dann ist das wunderbar.
Ich würde gerne noch auf einen anderen Aspekt zu sprechen kommen. Ich weiß, dass du von Hause aus Lyriker bist. Wenn du das anderen Menschen erzählst, bemitleidet man dich dann?
(Lacht erstmal ordentlich drauf los.) Das ist eine sehr schöne Frage!
Danke!
(Wir lachen beide.) Bemitleidet werde ich nicht, aber die erste Frage, die sich meist aufdrängt: Kann man davon leben? – Ich habe mir angewöhnt zu antworten: „Klar kann ich davon leben. Ich stehe ja direkt vor dir!“ Interessanterweise lautet die zweite Frage meistens: Warum schreibst du denn keinen Roman? Viel reizvoller wäre es jedoch mal einen Romanautor zu fragen, ob er eigentlich auch Gedichte schreibt. Die Lyrik ist eine eigenständige Gattung, die ganz wunderbar auch alleine zurechtkommt und sich frei bewegen kann. Für mich ist sie das Aufregendste, was in der Literatur überhaupt zu schaffen ist.
Vermutlich auch das Anspruchsvollste! Wie lang arbeitest du denn an so einem Gedicht?
Ich gehe da überhaupt nicht geplant ran. Das Gedicht passiert mir eigentlich, genauso wie die Dinge in „Großraumtaxi“ einfach passiert sind. Ich höre etwas Gesprochenes von anderen Menschen und schreibe mir das dann auf. Da gibt es ganz unterschiedliche Auslöser, wie Literatur entstehen kann. Die kürzeste Dauer für ein Gedicht war wahrscheinlich eine Minute und die längste Zeit, die ich an einem gearbeitet habe, waren vielleicht ein paar Jahre.
Bei deinem Titel „Großraumtaxi“ musste ich irgendwie sofort an ein Zitat von David Foster Wallace denken: „Manchmal steige ich ins Taxi und sage: ‚Zur Bibliothek, und drücken Sie auf die Tube’“. Wie ist deine Erfahrung mit Taxis?
Mit dem Taxi verbinde ich erst mal nächtliche Fahrten. Wenn ich zu lang unterwegs bin und zu faul bin, mit den Öffentlichen nach Hause zu fahren, halte ich eben mal ein Taxi an. Ich genieße dabei die vorbeiziehenden Lichter und eine fast leere Stadt, die eine ganz eigene melancholische Atmosphäre ausstrahlt. Hinter dem Titel „Großraumtaxi“ verbirgt sich natürlich einerseits genau das sowie die Kombination von Bewegung und Urbanität. Außerdem passen in so ein Großraumtaxi auch wirklich viele Menschen, was wiederum Kommunikation und einen gemeinsamen Erfahrungsraum bedeutet. All das findet sich auch in diesen Texten wieder.
Nur mal so:
Wer möchte, der kann am 8.12. im Roten Salon in der Volksbühne vorbeischauen und Björn live auf der Bühne sehen!
Björn Kuhligk „Großraumtaxi“ – erschienen im Verbrecher Verlag für 14,00 Euro.
Das Interview führte Judith im Café Lerchen & Eulen. Die Fotos sind wie immer von der bezaubernden Saskia.
Hier ist auch ein empfehlenswertes Buch: Auch Berlin, auch skurril. Aber besser als Pop:
http://laputa-verlag.blogspot.de/2015/03/dieses-buch-ist-besser-als-pop.html
Harald Rutzen: Es gibt immer mal wieder Leute. Laputa Verlag