Es gibt gute und schlechte Tage. Manchmal (zum Beispiel montags) weiß man schon, dass einem nicht unbedingt der beste Tag seines Lebens bevorsteht. Bei ihr waren Sonntage so eine Sache. Irgendwie hatte sie immer so ein beklemmendes Gefühl. Woher das kam, konnte sie nicht sagen. Dieser eine Sonntag aber, der schien anders zu sein.
Trotz einer kurzen Nacht wachte sie erholt und mit guter Laune auf. Nach ein, zwei Folgen ihrer Lieblingssitcom zog sie sich an, packte ihre Tasche und ging zum Sport. Wieder zuhause duschte sie lange, cremte sich ein und lackierte ihre Fußnägel. Und dann kam sie auch schon: die Nachricht, die sie an diesem Tag erhofft hatte.
Die Nachricht, die letzten Sonntag ausgeblieben war, obwohl der Sonntag sich doch fast schon zu ihrem gemeinsamen Tag entwickelt hatte. Die Nachricht, deren Ausbleiben ihren letzten Sonntag komplett ruiniert hatte – dass eine Nachricht von ihm so viel Macht über sie hatte, war ihr verhasst.
Der Sonntag war fast schon ihr gemeinsamer Tag
„Ich wollte jetzt duschen gehen und mich danach direkt wieder dreckig machen.“ Sofort spürte sie die Nervosität, die sie auch nach Wochen jedes Mal wieder verspürte, wenn ein Treffen mit ihm anstand. Sie zog sich an und fuhr mit dem Fahrrad zu ihm. Nach dem Sex nahm er sie in den Arm und mit dem Kopf auf seiner Brust redeten sie noch eine Weile.
Das hatte er lange nicht mehr gemacht. Sobald sie fertig waren, wurde sich sonst kaum noch berührt, auch zum Abschied gibt es immer nur eine Umarmung – um die Grenze zu wahren. Die unausgesprochene Grenze, die sie beide vor Augen hatten. Vielleicht hatte er Angst, sie zu übertreten, vielleicht konnte er es nicht zulassen. Vielleicht mochte er die Grenze aber auch. Sie wusste es nicht. Auch sie war mal froh über die Grenze, mal nicht. „Ich hasse es zu wissen, dass ich mit dir den besten Sex meines Lebens habe, du deinen aber nicht mit mir“, war so eine Aussage, die sie nicht aussprach, weil die Grenze sie davon abhielt.
Nach eineinhalb Stunden ging sie wieder und traf sich mit Freund:innen in einem Café. In dieser Stunde, in der sie am Tisch mit Kaffee und Kuchen saß und sich unterhielt, war sie glücklich. Auch wenn sie wusste, dass solche Treffen oft auch ohne sie stattfanden.
Und plötzlich war dieses beklemmende Gefühl doch wieder da. Sonntage. Sie haben sowas an sich.
Im Anschluss fuhr sie mit dem Fahrrad wieder nach Hause und setzte sich alleine an ihren Schreibtisch. Und plötzlich war dieses beklemmende Gefühl doch wieder da. Sonntage. Sie haben sowas an sich. Und während sie am Schreibtisch saß und sich ihre Gedanken von der Seele schrieb, dachte sie bei sich, dass das zwar ein guter Tag war, sie aber mehr wollte. So viel mehr.
Diese letzten drei Stunden waren fantastisch, aber eben nur drei Stunden. Eine Seite in einem dicken Buch, die sich beim Lesen toll anfühlt, aber am Ende des Buches zu sehr an Bedeutung verliert. Sie fühlte sich schlecht, weil sie, statt den Tag dankbar anzunehmen nur daran denken konnte, dass es auch mehr als drei Stunden sein könnten.
Der perfekte Sonntag endet mit gemeinsamen Tatort gucken
War es einfach nur die Tatsache, dass sie es nicht aushielt, plötzlich wieder alleine in der Wohnung zu sein? Wollte sie geliebt werden? Konnte es überhaupt perfekte Tage geben? An einem perfekten Tag läge sie jetzt noch bei ihm im Bett. An einem perfekten Tag würden sie Essen bestellen, den Tatort gucken (sie wollte schon immer jemanden haben, mit dem sie den Tatort schauen konnte – irgendwie war das ihre Vorstellung von Geborgenheit) und zusammen einschlafen.
Ob das mit ihm überhaupt möglich war, wusste sie nicht. Sie bezweifelte es. Aber selbst an so einem perfekten Tag würde es sich immer noch um einen Sonntag handeln.
Headerfoto: Juan Ordonez via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!