Fotografin und Outdoor-Nixe Julia Nimke ist mit einer Freundin durch Aurlandsdalen gewandert. Dort kämpfte sie nicht nur mit Kälte und Schnee, sondern auch mit der unfassbaren Landschaft Norwegens. Zum Glück hatte sie Kamera und Notizblock dabei, um uns nun nachträglich von ihren Abenteuern berichten zu können. Fertig? Dann los.
„Oslo zeigt sich ungrün, modern, kühl. Die vom Hauptbahnhof abgehenden Straßen sind Shoppingmeilen, typische Stadtarchitektur. Passanten streifen uns auf die Wildnis Vorbereiteten. Wir sind Außerirdische in einer Stadt der Schönheiten. Was allerdings fehlt, ist eine bestimmte Atmosphäre. Ich verlasse die Stadt mit einem „schön war’s“, ohne mir ein nächstes Mal herbeizuwünschen.“
„Nacht drei Stunden Schlaf im Zelt beginnt Wandertag Nummer 1. Ich öffne den Reißverschluss des Zeltes und erblicke eine Schneelandschaft. Wolken verdecken die Bergspitzen der umliegenden Erhöhungen und verleihen der eh schon hellen Landschaft noch mehr Weiß.
Die Temperaturen sinken, die Laune ebenso. Was mich anfangs faszinierte, raubt mir letztlich die Kraft. Ich funktioniere nur noch. Ich komme in einen meditativen Zustand. Das unendliche Weiß um mich herum bringt mich in einen Dämmerzustand. Landschaften werden Traumlandschaften. Die Umgebung erscheint mir wie ein Reset-Knopf. Alles auf Anfang, alles weiß.
18 Kilometer wandern wir durch eine raue, dem Menschen feindseling gegenüberstehende Landschaft. Meine Hände spüre ich nicht mehr, in meinem Gesicht bilden sich kleine Äderchen. Auch der Kopf will nicht mehr. Dann in der Ferne die „Hytha“. Wir steuern darauf zu, spüren förmlich die Wärme und Gemütlichkeit, die sie innehat. Mit heißer Dusche und weicher Koje gleiten wir in die Nacht und tanken Kraft für die kommenden Tage.“
„Ich wache in meiner Schlafkoje auf und scanne meinen Körper von oben bis unten ab. Nichts schmerzt mehr oder erinnert an die Strapazen des Vortags. Ich habe bestens geschlafen. Und dort oben, da ist ein kleines Fleckchen blauer Himmel.
Unsere Tour führt uns den kompletten Tag auf einer Hochebene entlang, die uns friedliche Ausblicke auf den im Tal befindlichen Spiegelsee gewährt. Die inneren und äußeren Belastungen des Vortags weichen. Mit etwas Abstand betrachtet sind solche Grenzerfahrungen allerdings jene, die uns lebendig fühlen lassen. Erst dank dieses Tages weiß ich die Leichtigkeit des darauffolgenden zu schätzen.
Am frühen Abend erreichen wir unser Quartier. Eine verlassene Berghütte mit bewachsener Terrasse. Ein Blick ins Tal und ameisengroße Autos fahren auf der sich windenden Straße. Dies hier wird unser Örtchen. Dies hier wird ein Moment, der bleibt.“
„Unser kleines großes Steinbergtal blieb unseres bis zum nächsten Morgen. Ich öffnete den Reißverschluss des Zeltes und erblickte einen Regenbogen, der zum Greifen nahe schien. Nach einer wärmenden Tasse Tee mit Blick auf Wasserfälle und Schafe starteten wir unsere Tour ins sich verengende Tal. Petrus schien uns wohlgesinnt und bescherte Sonnenschein.
Circa nach der Hälfte unserer Wanderstrecke kommen wir an eine scheinbar unpassierbare Stelle. Klettern statt laufen – und das hangabwärts. Wir schaffen es, wenn wir danach auch von oben bis unten mit Schlamm beschmiert sind. Erstmals erschließt sich mir die überwältigende Größe von Norwegens Natur.“
„Ich habe geschlafen wie ein Stein in meinem Bettchen der Fjellstove. Die Summe unserer Atemteilchen hat die Fenster beschlagen und gibt einen verträumt-verwaschenen Blick auf die Berglandschaft. Gelassen lasse ich den Tag aufwachen und ebenso mich. Als meine Augen weniger geschwollen sind und die Sonne höher am Himmel steht, starten wir in Wandertag Nummer 4.
Unser letzter Wandertag ist wahrlich der Spektakulärste! Aurlandsdalen, der Grand Canyon Norwegens. Üppig. Fruchtbar. Zügellos. Furchteinflößend. Bedrückend und frei zugleich.
Am Abend erreichen wir Vassbygdi, ein verschlafenes Bergdorf ohne Berghütte. Wir verbringen die Nacht dort, um dann den Bus nach Flam zu nehmen. Unser Abenteuer endet an dieser Stelle, das spüre ich. Flam bedeutet Zivilisation, bedeutet Überfluss.“