Wie wir uns das Leben vorstellen, hat meist nichts mit der Realität zu tun – von der Traumvorstellung ins echte Leben

Samstag, 21 Uhr. Bis gerade habe ich noch versucht, mir 30 verschiedene Frakturen einzuprägen. Wusste echt nicht, dass man als werdende Therapeutin am Ende gefühlt so viel weiß wie ein Orthopäde, aber über die Hälfte weniger verdient. Doch das ist ein anderes Thema. Wieso ich zu dieser für mich untypischen Uhrzeit zum Stift greife, hat einen anderen Grund.

Irgendwie fing das Wochenende fast magisch an…Nämlich damit, dass ich Umzugskartons in meiner neuen Wohnung ausgepackt habe und die Erinnerungsbox mit Briefen und Bildern meines Exfreundes darin fand. Unsere Beziehung startete mit knackigen 18 Jahren und wirklich over war sie nach 10 Jahren. Eine lange Zeit, in der ich die meiste Zeit im Mangel lebte.

Kennt ihr diese Art von Liebe, die mehr Kummer als Freude bringt? Abhängigkeit, Eifersucht, sich nicht gesehen fühlen?

Kennt ihr diese Art von Liebe, die mehr Kummer als Freude bringt? Abhängigkeit, Eifersucht, sich nicht gesehen fühlen – eine Trennung war trotzdem nie eine Option, aus verschiedenen, doofen Gründen? So war sie.

Doch jetzt, Jahre später, mit der Box in meiner Hand, wurde mir vieles bewusst! Er konnte mich nie glücklich sehen, weil da viel zu viel Schmerz in mir war durch meine Kindheit. Und das schrieb ich ihm in einer letzten Mail. Eigentlich hätte ich sie auch an mich adressieren können, denn die größte Entschuldigung war ich mir selbst schuldig.

Diese Mail hat mich ein Stückchen vergeben lassen. Ich bin heute weder abhängig noch im Mangel und verarbeite meine Kindheit immer mehr. Diese Mail war also echt ganz schön heilsam.

Noch 3 Jahre nach der Trennung hat mich dieses alte Mindset, dieses alte Ich sehr oft davon abgehalten, in eine neue Beziehung zu gehen bzw. zu daten, ohne die Hosen voll zu haben.

Mit dem Absenden der Nachricht habe ich wieder ein Stück mehr von meiner Vergangenheit losgelassen.

Denn ich wollte mich nie wieder so sehen, nie wieder so fühlen wie damals! Aber mit dem Absenden der Nachricht habe ich wieder ein Stück mehr von meiner Vergangenheit losgelassen und schrieb kurz danach einem Typen, den ich kennengelernt hatte und dem ich mehrere Male abgesagt hatte. Ich fragte ihn, ob er Lust auf einen Spaziergang sonntags hat und er sagte freudig zu.

Bisher klingt das wie ein kitschiger Hollywood-Film: Sie, lange ohne Partner, kämpft mit ihrer Vergangenheit, lässt sie los und verliebt sich endlich in einen neuen Mann. Die Hochzeit wird der schönste Tag ihres Lebens und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Ah, und ihr Ex ist natürlich ihr Trauzeuge und der Patenonkel ihrer Kinder. Ja, genau.

Ganz ehrlich, wie kommen Drehbuchautor:innen auf so Geschichten? Wieso diese Illusionen verbreiten?

Die Realität war dann nämlich so: Der Boy hat mir zwar zugesagt und freute sich auf unser Treffen, hatte nur die klitzekleine Info über seine fast Freundin inklusive Kind vergessen zu erwähnen. Von La La Land zu “Mitten im Leben!”

Ich liebe romantische Geschichten, auch La La Land, und ganz lasse ich diesen Wunsch danach auch nicht los, aber die Realität ist doch meistens wirklich eine andere.

Ich liebe romantische Geschichten, auch La La Land, und ganz lasse ich diesen Wunsch danach auch nicht los, aber die Realität ist doch meistens wirklich eine andere. Zum Glück kann ich heute über so eine Story nur noch lachen, kann mich auf mich verlassen, wenn ich meinen Freundinnen sage: „Bei dem ist was im Busch“ und der ist vergeben. Endlich konnte ich in den Genuss dieses für mich bislang großen Mysteriums des Vergebens kommen. Vielleicht also doch ein Stückchen Magic Wochenend Vibes Auch wenn ich dabei allein unter der Dusche singe, statt mit Ryan Gosling durch Los Angeles.

Breathe,peace and love,

Eure Marisa

Headerfoto: Viktoria Slowikowska (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

Marisa ist 32 und aus Köln. Sie schreibt über mentale Gesundheit, das Leben und Veränderungen in unserer verrückten Zeit.

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