Wie ich lernte, meine Körperbehaarung ein kleines bisschen weniger zu hassen

Ich wurde das erste Mal für meine Körperbehaarung gemobbt, da war ich in der vierten Klasse. Halbitalienierin, dunkle Haare, viele Haare. Das reichte also schon, dass andere sich über mich lustig machten. Kaum verwunderlich, dass ich dann mit 13 in den Drogeriemarkt rannte und mich mit diesen furchtbaren Plastik-Einwegrasierern eindeckte. Orange mit so ner Plastikkappe vorne drauf.

Ich hatte ehrlicherweise keine Ahnung, was ich da tat, und es war völlig egal, wie oft mich geschnitten hab: Die Haare mussten ab. „Wer schön sein will, muss halt leiden.“

Ich hatte ehrlicherweise keine Ahnung, was ich da tat, und es war völlig egal, wie oft mich geschnitten hab: Die Haare mussten ab.

Also rasierte ich mich. Ich rasierte mir die Beine, die Achseln, den Intimbereich – ich rasierte sogar meine Unterarme. Weil ich ‚attraktiv‘ sein wollte. Und ich dachte eben, wenn Viertklässler:innen sich schon über meine haarigen Unterarme lustig machen, dann würden Jugendliche sie wohl kaum hübsch finden. Also: ab damit.

Rückblickend ganz schön skurril, dass für mich zweifelsohne feststand: „Ich muss mich rasieren“, ohne überhaupt zu wissen, wie ich mit Bein- und Achselhaaren überhaupt aussehe. Unzählig viele Einwegrasierer und Gilette-Klingen mit Gelkissen für EXTRA glatte Beine später, saß ich also eines Tages auf dem Bett und hab mich gefragt, was das eigentlich soll.

Ich rasiere mich, ohne überhaupt zu wissen, wie ich unrasiert aussehe – ist das nicht irgendwie bescheuert?

Ich rasiere mich, ohne überhaupt zu wissen, wie ich unrasiert aussehe – ist das nicht irgendwie bescheuert? Ja schon, aber irgendwie will ich anderen Leuten ja auch gefallen.

Die Leute, die sich damals über meine Körperbehaarung lustig gemacht hatten – die hatten sich ganz schön eingebrannt. Das „DU MUSST DICH RASIEREN“ Schild, was diese Menschen damals in mir hinterlassen haben, wurde dann sehr erfolgreich über Jahrzehnte hinweg von Medien und Werbung in Zement gegossen. Wie sollte ich das denn einfach so wegkriegen? Vorschlaghammer und los gehts? Genau das war dann tatsächlich auch mein Plan: Konfrontations-Therapie. Let’s go: Let it grow.

Wachsen lassen statt waxxen lassen

Voll motiviert hab ich dieses Experiment dann gestartet. Mich einfach mal nicht mehr rasiert. Ich wollte sehen, wie es sich anfühlt. Wollte zum ersten Mal sehen, wie ich unrasiert aussehe. Zwei Wochen später saß ich auf meinem Bett und wartete sehnsüchtig auf die spirituelle Erkenntnis, die mich reinigen sollte von all den internalisierten Schönheitsidealen und Stereotypen, denen ich Tag für Tag entsprechen will.

Ich wartete vergebens: Stattdessen schrie mich jede einzelne Stoppel an meinem Körper wütend an. Mein Vorschlaghammer hatte wohl ‘nen Kabelbruch.

Ich dachte ich transformiere mich mit dem Weglassen der Rasur von heute auf morgen zu der besten, feministischsten, emanzipiertesten Version meiner Selbst, aber turns out: so funktioniert das einfach nicht.

Irgendwie ernüchternd. Ich dachte, ich transformiere mich mit dem Weglassen der Rasur von heute auf morgen zu der besten, feministischsten, emanzipiertesten Version meiner Selbst, aber turns out: so funktioniert das einfach nicht. Schönheitsideale sind fies. Sie beißen sich in deinem Gehirn fest, wie ein Parasit, der, ohne dass du es merkst, dein Handeln steuert. Sowas wird man nicht über Nacht los.

Schönheitsideale sind fies. Sie beißen sich in deinem Gehirn fest, wie ein Parasit, der, ohne dass du es merkst, dein Handeln steuert. Sowas wird man nicht über Nacht los.

Ich habe mich jetzt einige Monate lang nicht mehr rasiert und diese spirituelle Eingebung hatte ich ehrlicherweise immer noch nicht. Wenn ich auf meine Beine schaue, sieht das immer noch falsch aus und wenn ich meinen Arm hebe, habe ich Angst, was mein Partner wohl denkt.

Es ist jeden Tag aufs Neue ein Kampf, aber irgendwie kämpfe ich diesen Kampf auch gerne – denn ich lerne mich neu kennen, merke, wie tief manche Denkmuster verankert sind und bin stolz auf jeden noch so kleinen Schritt, den ich Richtung Körperakzeptanz, gehe.

Mutprobe echtes Leben

Jetzt, wo der Sommer vor der Tür steht, habe ich viel über meine Haare nachgedacht. Ob ich mich trauen werde, im Sommer mit kurzer Hose rauszugehen? Habe ich „versagt“, wenn ich mich doch wieder rasiere? „Fake it till you make it“ hat im Winter und auf Social Media ja ganz gut geklappt, aber so da draußen in der echten Welt?

Das ist kein Wettkampf. Es gibt kein richtig oder falsch und es gibt auch kein ganz oder gar nicht.

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Und das ist okay. Das ist kein Wettkampf. Es gibt kein richtig oder falsch und es gibt auch kein ganz oder gar nicht. Ich weiß, wie stark dieser Druck sein kann reinzupassen. Ganz gleich, wo ihr auf eurer Reise seid: you are doing great. Setzt euch nicht zu sehr unter Druck und wenn ihr es rasiert einfach lieber mögt – ist das auch völlig fein!

Keine:r von uns hat einen Vertrag unterschrieben, in dem wir uns verpflichtet haben, für immer rasiert oder unrasiert zu bleiben – also testet euch aus und schaut, wie ihr euch dabei fühlt.

Für mich war und ist dieses Experiment eine der wertvollsten Selbsterfahrungen, die ich je gemacht hab (ich kann es nur jede*r weiblichen gelesenen Person da draußen empfehlen) – und wenn ich mich mal wieder rasieren werde, ändert das nichts daran. Und auch wenn so eine spirituelle Eingebung wirklich ganz nett gewesen wäre, das Ganze ist halt kein „Ich rasier mich jetzt nicht mehr und dann ist gut“.

Ich kann mit Stolz verkünden, dass ich meine Körperbehaarung heute ein bisschen weniger hasse als noch vor einigen Monaten. Und das macht mich happy!

Es ist ein Prozess: Und in diesem Prozess habe ich gelernt, dass Körperbehaarung nichts mit Attraktivität oder Männlichkeit/Weiblichkeit zu tun hat. Ich habe rausgefunden, wie tief manche Dinge in unserem Hirn festsitzen. Und am wichtigsten: Ich kann mit Stolz verkünden, dass ich meine Körperbehaarung heute ein bisschen weniger hasse als noch vor einigen Monaten. Und das macht mich happy!

Lisa Bumble beschäftigt sich gern mit allem worüber niemand so richtig reden mag. Sex während der Menstruation, die Bedeutung der Schwanzlänge, Schönheitsideale von Vulven,… All das was tabu ist halt. Als Scannerpersönlichkeit hat sie eine absurde Vielzahl von Interessen und versucht damit immernoch jeden Tag aufs Neue ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Ach und außerdem dreht sie Pornos. Mehr über sie erfahrt Ihr auf ihrem Instagram-Profil.

Headerfoto:  Lisa Bumble.  (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.