Unsere Welt ist am Arsch. Dieses Gefühl drängt sich uns von allen Seiten auf. Selbst unser Facebook-Newsfeed hat sich innerhalb weniger Wochen von einer selbstverliebten, aber harmlosen Unterhaltungssendung zu einer hektischen Nachrichtenshow entwickelt. Und wir lassen uns mitreißen von den täglich geteilten Katastrophenmeldungen, von der politischen Propaganda in den Kommentaren unserer Facebookfreunde und von den Endzeitbeschwörungen der modernen Meinungsmacher, die früher mal einfach nur Promis waren.
Alles klar, wir haben verstanden: Die Welt geht also unter. Aber was bedeutet das jetzt konkret für uns? Zuallererst einmal sollten wir uns nicht länger mit Nachrichten quälen, die uns in tausendfacher Ausführung nur das sagen, was wir eh schon wissen. Also raus aus dieser komatösen Übersättigung und bis zum Weltuntergang kein Newsfeed mehr, keine Zeitungen oder TV und falls Du Deiner Oma unbedingt noch eine Abschieds-E-Mail schreiben musst, dann bitte nur mit verschlossenen Augen vor den knallhart recherchierten Schlagzeilen des Gmx-News-Teams.
Ekstase ist immer eine gute Wahl, wenn Menschen nichts zu tun oder nichts mehr zu verlieren haben. Aber was kommt danach?
Jetzt haben wir also den Kopf wieder frei für unser eigenes Leben und für die alles entscheidende Frage, womit wir die verbleibende Lebenszeit bis zum Weltuntergang verbringen möchten. Und weil uns so spontan nichts Besseres einfällt, knallen wir uns erst mal mit ein paar Dopamindrogen im Club weg. Ekstase ist immer eine gute Wahl, wenn Menschen nichts zu tun oder nichts mehr zu verlieren haben. Ein Wochenende oder je nach Trip auch eine ganze Woche im Rausch. Gönn Dir. Aber was kommt danach?
Die Propheten bei Facebook sind ja heutzutage alle so unkonkret geworden, keiner möchte sich mehr festlegen seit dieser Sache mit den Maya und Xavier Naidoo. Eventuell ist bis zum Ende der Welt also noch ein ganzer Monat lang Zeit? Scheiße, so viel Zeit, was stellen wir damit an? Weltreise bringt kurz vor dem Untergang auch nichts mehr, vielleicht Kunst als ultimative Vollendung des Menschseins oder doch zurück nach Hause zu Mamas traditionellem Hackbraten oder ihrer Paella, dem Curry, Lahmacun, Blini oder was auch immer man bei Deiner Mama halt isst.
Ausschließlich die Liebe kann unser letzter Zufluchtsort sein, wenn alles andere den Bach runter geht.
Aber ganz ehrlich, Freunde, das Ende der Welt wollt Ihr doch weder im Museum noch mit Eurer Patchworkfamilie verbringen. Nein. Das Ende der Welt verbringt man in love, als Tigerchen mit Herzchen in den Äuglein und die kannst Du jetzt verdrehen und das kitschig finden, aber es ist wahr: deep feelings statt deep throat – ausschließlich die Liebe kann unser letzter Zufluchtsort sein, wenn alles andere den Bach runter geht, wenn wir dank des nahenden Endes aufgehört haben, langfristige Pläne zu schmieden, die wohl eh nie in Erfüllung gegangen wären, und uns stattdessen nur noch fragen: Was würde uns im letzten Monat unseres Daseins gut tun, was wäre ein versöhnlicher Abschied von dieser Problemwelt?
Es ist Liebe, zusammen untertauchen mit Moscow Mule und dem neuen Tame Impala-Album, sich eine 2-Mann-Höhle unter der Bettdecke bauen (bzw. 2-Frau, Mann-Frau, Frau-Mann), gemeinsam die Augen verschließen vor dem, was war und hätte sein können, ausblenden, was da draußen los ist, im Augenblick versinken, vertrauen mit allen Konsequenzen, Geheimnisse verraten, sich wie noch nie auf einen anderen Menschen einlassen ohne Fluchtgedanken oder Alternativplan, konkret sein, dem letzten Menschen Liebe schwören.
Vielleicht erreichen wir in diesem finalen Moment zu zweit alles, was ein Mensch allein nie hätte erreichen können.
Liebe fühlen und Liebe machen, einander dadurch immer näher kommen, sodass die Grenzen beginnen zu verschwimmen, dass nicht mehr klar ist, wo der eine aufhört und der andere anfängt und es sich anfühlt, als würde man gemeinsam zu irgendetwas Neuem verschmelzen, etwas, das auch das Ende der Welt überdauern könnte. Vielleicht erreichen wir in diesem finalen Moment zu zweit alles, was ein Mensch allein nie hätte erreichen können …
Was auch immer das gerade war, es hat sich richtig angefühlt und zwar die Art von richtig richtig, wie man sie viel zu selten erlebt hat. Haben wir damit also herausgefunden, was der Sinn unseres Lebens gewesen wäre, wenn die Welt noch etwas länger existiert hätte? Hätte, hätte, besser spät als nie … Darum fangen wir doch bitte alle damit an, uns so intensiv zu lieben, als hätten wir nur noch einen Monat lang Zeit dafür und vielleicht retten wir mit dieser alternativlosen Liebe auch die totgeglaubte Welt und bringen die Demagogen unseres Newsfeeds endlich zum Schweigen.
Dieses Mitgefühl kann übertragen werden aus der 2-Mann-Höhle in die große 7-Milliarden-Welt.
Das wird nicht einfach sein und sie werden uns belächeln und fragen, wie denn bitte Liebe all diese angstmachenden Probleme der Welt lösen soll. Und wir werden ihnen antworten, dass wir das auch nicht wissen, dass aber ein Mensch, der liebt, Gefühle zulässt und sich daher nicht länger nur für sich selbst interessiert, sondern mindestens noch für einen weiteren Menschen. Und dieses Mitgefühl kann übertragen werden aus der 2-Mann-Höhle in die große 7-Milliarden-Welt.
Stellen wir uns also vor, es wären nicht Fremde, über die wir schreiben und lesen, sondern Menschen, die wir lieben – welch weltverändernde Bedeutung bekämen dann all die Begriffe und Nachrichten, mit denen wir täglich so inflationär umgehen, als wären sie nichts? Was bedeutet uns auch nur ein „Toter“ in unserem Newsfeed, wenn wir fühlen, er ist kein Fremder, sondern ein Geliebter, was bedeuten uns dann „Krieg“, „Hungersnot“, „Vergewaltigung“, „Verfolgung“, „Abschiebung“ …
Zum Glück verliert man in der Liebe nie den letzten Funken Hoffnung, dass am Ende alles gut wird.
Headerfoto: Dmitry Zelinskiy via Unsplash.com (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Love !
Cooler Artikel! Sehr wortgewand, mit Witz und Weitblick, dem feinen Gespür für Irritation und Sehnsucht. Von dieser Art Droge bitte doppelte Ration mit Dauermedikation!
MilaAnn
toller Artikel!
Alles perfekt auf den Punkt gebracht und wirklich wahr!
Schön, dass manche noch wissen auf was es wirklich ankommt. 🙂
Liebe Grüße
Liska
Großartig geschrieben und für mich die absolut richtige Einstellung.
Deswegen leben mein Liebster und ich auch schon seit einiger Zeit nach dem Langstrumpf-Prinzip: wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt. Durchaus nehmen wir die Weltsituation ernst, aber wenn wir schon dem Untergang geweiht sind, gehe ich diesem gerne mit Spaß und Liebe entgegen.
viele Grüße
Rebecca