Was muss eine Freundschaft aushalten? Oder: Bin ich mir selbst zu viel Freund?

Sobald man seinen eigenen Weg geht und auf sich selbst achtet, ist es schwer, andere mitzunehmen oder vielmehr kommen immer weniger mit. Ist ja auch mein Weg. Da kann ich mein Tempo laufen. Das mir gerade gefällt. Das ich gerade brauche.

Was ist eine Freundschaft und hält sie es aus, wenn man mal alleine sein möchte? In seiner eigenen Welt treiben? Wenn man mal Termine und Verabredungen absagt, weil man einfach keinen Bock auf Leute hat? Weil man für sich sein möchte, einfach alleine sein. Nicht einsam, aber die Stimmen im Kopf sortieren. Sich selbst lieben. Sich selbst zuhören und nicht dem anderen. Hält so etwas eine Freundschaft aus? Muss die Freundin oder der Freund hierfür Verständnis mitbringen – oder ist das einfach zu viel verlangt?

Am Ende sind wir doch immer alleine.

Es ist einen Tag vor meinem Geburtstag. Ich haben eine kleine Party zusammen gestellt. Zwei Pärchen. Ich freue mich drauf. Ich habe eingekauft und alles sauber gemacht. Ich bin durch die Wohnung getanzt. Der Tag rückte immer näher. Die Stunden kamen wie eine Planierraupe auf mich zu. Nachts konnte ich nicht schlafen und wanderte durch die Wohnung. Mir war schlecht.

Muss das so sein? Mache ich mir selbst Druck? Brauche ich Menschen in meiner Umgebung, die sich mit mir unterhalten oder werde ich einfach 2018 zum kompletten Nerd, weil ich das Alleinsein so sehr liebe?

Nur einsam bin ich nie.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Freundschaft in meinem Umfeld zerbricht. Eigentlich bin ich ja da. Ich höre gerne zu und helfe auch, falls es nötig ist. Ich gebe alles, was ich kann. Ich mache mir Gedanken, gehe auf Fragen ein.

Nur manchmal ist mein Kopf einfach voll. Da möchte ich mich dann nicht festlegen, was ich wann machen möchte. Kino abends zum Beispiel. Warum muss ich mich denn überwinden, nach einem harten Arbeitstag. Nur weil sich der andere freuen würde – und es später sicherlich auch Spaß machen würde.

Schon irgendwie eklig, aber manchmal doch einfach schön.

Ich gehe auch gerne alleine ins Kino. Dann, wenn mir danach ist, und nicht nach einem 10-Stunden-Tag. Oder vielleicht auch nach einem 10-Stunden-Tag, wenn ich einfach nicht mehr reden möchte. Nur sitzen und schauen. Meine Gedanken mitnehmen. Keiner, der sich beschwert, weil vor ihm jemand sitzt oder auf die Toilette muss. Und falls ich so jemanden neben mir habe, darf ich ihn auch ein bisschen nicht mögen, denn er ist ja nicht mein Freund.

Besteht hier etwa auch die Möglichkeit, dass der Alltag schuld daran ist, dass wir uns nicht mehr festlegen möchten? So, wie es viele in einer Beziehung machen: sich alles offen halten. Frei sein und dann kommen, wenn man es gerade braucht. Schon irgendwie eklig, aber manchmal doch einfach schön: das Ungebundensein.

Mich einfach treiben zu lassen gefällt mir sehr gut. Ich mag Menschen um mich herum.

Mich einfach treiben zu lassen gefällt mir sehr gut. Ich mag Menschen um mich herum, Kollegen, Bekannte, Begleiter. Ich weiß, dass jeder seine Aufgaben im Leben gestellt bekommt und auch bewältigen kann. Zusammen geht es immer einfacher, sagt man. – Aber ist das denn auch so? Was passiert, wenn ich das einfach alleine schaffe?

Mein Geburtstag rückt immer näher und ich bekomme Schnappatmung. Mein Kopf dreht sich im Bett. Was möchte mein Herz? Mein Magen rebelliert. Ich muss mich richtig zwingen, wieder einzuschlafen und das fahrende Bobbycar durch Meditation in meinem Kopf verbannen. Ich bekomme morgens keinen Bissen mehr runter. Wie kann ich das machen: keinen zu enttäuschen, aber mich trotzdem einfach treiben zu lassen?

Ich möchte jetzt gerade nie wieder etwas planen. So viel steht fest. Ich möchte aber auch keinen enttäuschen. Ich möchte nicht der Grund sein, warum Du dich ärgerst. Dafür mag ich Dich zu sehr.

Ich möchte nicht der Grund sein, warum Du dich ärgerst. Dafür mag ich Dich zu sehr.

Die Wohnung glänzt. Mein Kleid ist gekauft, aber ich habe auf den ganzen Scheiß einfach keinen Bock. Warum soll ich mich dazu zwingen? Kann ich mir einfach Lust machen? Denn am Ende wird es ja immer schön. Warum sollte ich diesen Schritt gehen? Alles in mir wehrt sich.

Ich will einfach nur ans Meer. Oder alleine eine Wand anschauen und Whisky trinken. Einfach da sein. In mir. Noch mehr zu mir finden. Ich möchte einfach nicht mit Dir darüber sprechen. Vielleicht mit mir, dem Papier oder der Tastatur.

Ich will einfach nur ans Meer. Oder alleine eine Wand anschauen und Whisky trinken. Einfach da sein. In mir.

Ich bin nun fast 32 Jahre alt und habe keine Lust, durch Clubs zu ziehen. Zumindest heute Nacht nicht. Ich möchte einfach ich sein. Im Schlafanzug. Alleine. Filme schauen. Sushi essen. Lesen. Etwas schlafen – dann, wenn ich müde bin. Musik hören. Mich nicht auf andere einstellen, denn ich habe so unglaublich viel mit mir selbst zu tun. Bin ich ein Egoist?

Das Karussell in meinem Kopf dreht sich heftig. Vor allem zum Geburtstag. Was habe ich erreicht, wo möchte ich hin? Selbstreflexion. Ein schönes Wort. Warum ist mein Universum nur so klein, dass dort nie mehr Menschen reinpassen?

Mein Kopf dreht sich. Frühstück geht auch nicht runter. Es ist mein Geburtstag und alle warten darauf, dass ich nachher die Tür öffne. Mich auf Besuch freue. Vielleicht sollte ich ja einfach gleich mit Schnaps anfangen an diesem Tag. Ich winde mich innerlich wie ein Aal.

Dann muss ich da einfach durch. Ich kann es nicht ändern. Ich will mir mein Leben nicht schwer machen. Denn ich habe ja nur eins.

Ich rufe Dich um 13 Uhr an. Die Party ist um 18 Uhr geplant. Ich weiß, dass Du deswegen alles andere abgesagt hast. Vor 2 Tagen. Nur: Jetzt kann ich einfach nicht mehr. Ich brauche meine Ruhe von der Welt da draußen und hoffe so sehr, dass Du mich verstehst. Auch wenn es blöd kommt.

Jetzt kann ich einfach nicht mehr. Ich brauche meine Ruhe von der Welt da draußen und hoffe so sehr, dass Du mich verstehst.

Aber Du verstehst mich nicht. Du schreist ins Telefon, dass ich das doch früher hätte sagen können. Dass der Spaß doch beim Feiern kommt. Dann Schweigen in der Leitung. Ich entschuldige mich. Gefühlte 1000 Mal. Dann legst du einfach auf. Du bist enttäuscht und sauer.

Die zwei sehr gutaussehenden Typen habe ich auch abserviert. Kurzer Prozess.

Ich habe gelernt, mich nicht mehr zu freuen.

Ich habe in der Vergangenheit gelernt, mich nicht mehr zu freuen. Ich freue mich schon, aber dann, wenn ich den Moment erlebe. Ich freue mich nicht auf ein Weihnachtsgeschenk, weil ich hoffe, dass Du mich nicht vergisst, weil Du ja noch schnell bei Amazon bestellen musst, um mir dann doch nichts zu schenken. Ich brauche auch nichts, aber bekomme ich dann etwas, freue ich mich wie ein kleines Kind. Es ist mir dann heilig.

Zusammen eine Kanutour im Sommer planen: Eine tolle Sache, aber ich freue mich nicht mehr darauf. Nur dann, wenn ich endlich im Kanu sitze. Dann ist alles gut.

Als ich 13 Jahre alt geworden bin, habe ich mich verdammt auf meinen Geburtstag gefreut. Ich konnte am Abend davor nichts essen, bin extra früh ins Bett. Ich wollte meine erste große Party schmeißen und habe 10 Klassenkameraden eingeladen. Im Bett kam das Kopfkino. Da waren dann die Aufregung und die Vorfreude.

Ich konnte vor lauter Freude nicht ein Auge zumachen in dieser Nacht. Ich drehte mich hin und her und schaute immer auf die Uhr.

Was für ein genialer Tag es doch werden würde, endlich 13 zu werden und alle bei mir zu haben. Ich konnte vor lauter Freude nicht ein Auge zumachen in dieser Nacht. Ich drehte mich hin und her und schaute immer auf die Uhr. Wann war es endlich soweit? Wann bekam ich denn endlich meinen Kuchen und die vielen, vielen Kerzen, die ich vermutete?

Dann wurde es morgen, endlich hell und ich sprang aus dem Bett wie ein Pfeil. Mein großer Tag war gekommen! Ich stürzte aufs Klo und übergab mich mehrere Male. Mir war so unendlich schlecht. Ich fühlte mich elend. Sogar ohne Mageninhalt war mir noch speiübel.

Die Party musste abgesagt werden und ich lag mit Kamillentee im Bett. Alleine. Ohne Kuchen. Ohne Freunde.

Während Du anderes planst, passiert das Leben. 

Da lernte ich, mich nicht mehr zu freuen. Man weiß ja nie, was passiert, und dann ist die Enttäuschung einfach zu groß. Das Ende einer Täuschung. Denn es kann immer anders werden als man denkt. Man muss mit allem rechnen. Immer. Nicht nur einen Plan A und B haben, sondern auch einen Plan D bis J. Die auch Spaß machen, aber der Situation angepasst sind, weil es mein Leben ist.

Denn das weiß nicht, was es morgen möchte. Was morgen ist, ist morgen. Daran kann auch ich nichts ändern. Was gestern gewesen ist, kann ich auch nicht mehr besser machen. Ich kann nur im Jetzt leben. Hier besteht die Möglichkeit, das Morgen zu bestimmen.

Vielleicht …

Ich sitze auf dem Sofa im Schlafanzug und bin so verdammt glücklich. Alles ist perfekt. Mein schlechtes Gewissen habe ich in eine kleine Schachtel neben mein Bett gestellt. Die hole ich später dann einfach raus, wenn das Feuerwerk vorbei ist und ich meinen Whisky getrunken habe. Dann bearbeite ich das Thema. Vielleicht. Aber jetzt bin ich einfach glücklich, weil ich im Moment lebe. Hier in meinem Universum. Alleine.

Sia, lebt und liebt in Berlin, lässt die Zeit gerne zerfließen wie Sand zwischen den Fingern. Denkt viel nach und ab und an kommt einfach mal ein Text raus.

Headerfoto: Frau im Badezimmerspiegel (Stockfoto) via Irma eyewink/Shutterstock. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt, Bild gespiegelt.) Danke dafür!

3 Comments

  • Super Text, der mir gerade sehr aus der Seele spricht. Ich bin seit einiger Zeit auch in so einer Phase, wo es mir einfach zu anstrengend ist, mit meinen Freunden zu interagieren. Ich bin froh und zufrieden, wenn ich meine Ruhe habe und mich nicht, nach anderen richten muss. Aber es stellt sich mir schon die Frage, ob das „normal“ ist oder vielleicht doch etwas wie eine Depression auf mich zukommt. Das beunruhigt mich sehr

  • Phantastischer Text !!! (…und ja: „ph“ statt „f“, da bin ich nostalgisch)

    So komplex, so wahrhaftig, so schmerzlich-zerrissen, so Leben! 🙂

    Meine bescheidene Meinung dazu:

    Das, was sich am meisten und maximal scheisse anfühlt, sowie das, was das Allerallerhöchste für uns ist, sind die Pole, innerhalb derer unsere Arbeit beginnen kann.

    Zu erkennen, dass wir bereits so richtig sind, wie wir sind.
    Dass es unsere besch*** Glaubenssätze sind, alte Traditionen, zu viel Empathie und Anstand, whatever…, die uns in diese völlig deplatzierten, illusorischen Schuldgefühle treiben, wenn wir wollen und brauchen, was andere nichtmal im Traum können:

    Alleine sein. Nicht, weil wir das „können“, „aushalten“ – sondern MÜSSEN, weil es ein zutiefst normaler Teil unseres inneren Gleichgewichtes ist.
    Und dass SIE das NICHT können oder wollen, ist NICHT DEIN Problem oder eine moralische Aufforderung, Dich für ihre Zuneigung zu verbiegen!!!

    Ja, wenn wir für uns einstehen, reagieren andere, die uns lieb und teuer sind, mit Unverständnis, mit Vorwürfen, mit Aggression usw – NUR: es ist NICHT unsere Verantwortung !!!
    Das zu erkennen und dafür einzustehen, kann ein langer und harter Prozess sein; auch mich zerreisst es immer wieder, ich habe soziale Kontakte maximal reduziert, den Kontakt zu meiner ehemals besten Freundin, deren Narzissmus nicht mehr erträglich für mich war, sogar abgebrochen.

    Ja, da ist das schlechte Gewissen – aber auch das Wissen, KEIN „Egoist“ zu sein – nur jemand, der sich mit seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten in Vielem von der blinden, breiten Masse abhebt.

    Ich kenne ALLES, was Du schreibst.

    Erlaube Dir unbedingt wieder, Dich zu freuen – auch im Vorfeld von etwas, auch auf die Gefahr hin, dass es crashen könnte.

    Und wähle soziale Kontakte sorgsam aus. Oft sind Kompromisse nicht vermeidbar, aber behalte Dich dennoch im Auge – und erinnere Dich genauso unbedingt immer wieder daran, dass Menschen, die ständige Verfügbarkeit und dauerndes Wollen-was-SIE-wollen NICHTS mit Freundschaft oder Liebe zu tun hat, sondern mit Manipulation, emotionaler Epressung – und dass sie nur IHRE Abgründe auf Dich projezieren.

    Sei gut zu DIR! 🙂

    LG

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