Was können wir von der jahrhundertelangen Unterdrückung von Frauen lernen? – Mein Besuch bei Rosemarie, 88

Ein neues Jahr hat begonnen. Das schöne Gefühl des Neuanfangs durchströmt mich und gibt mir unendliche Energie. Sogar in Berlin gibt es dieses Jahr einen „richtigen Winter“. Ein paar Zentimeter Schnee, Eisschollen auf der Spree – ein Winterwonderland, wie wir es hier lange nicht erlebt haben.

Ich mache mich wieder auf den Weg zu meiner neuen alten Freundin Rosemarie. Ringbahn, U-Bahn und 50 Minuten später stehe ich zwischen grauen bedrückend wirkenden Betonblocks. Das Winterwonderland hat sich von herzergreifend zu schmerzverzerrt verändert und ich gucke mir die Umgebung an.

Müll und Kippen auf dem Weg, ein Mann, der an einen im Vorgarten stehenden Baum pinkelt, eine alte Frau, die in Zeitlupe mit Rollator die Kreuzung überquert. Wie privilegiert wir oft im Gegensatz zu anderen Menschen sind, fällt erst auf, wenn wir den Blick ändern und wirklich mal die Augen öffnen.

Fotografien, in denen Abenteuer wohnen

In der Wohnung von Rosemarie angekommen, koche ich heißen Tee und wir machen es uns gemütlich. Die Freude, die ihr mein Besuch macht, kommt wie letztes Mal, auf direktem Weg zu mir zurück.

Beim letzten Besuch hat mir Rosemarie versprochen, mir ein paar Fotos von früher zu zeigen. Sie liegen schon bereit und ich kann es gar nicht erwarten, die Geschichten zu den Momentaufnahmen zu hören. Da wir gerade selbst in den Reisemöglichkeiten eingeschränkt sind, ermöglichen mir die Bilder einen Blick auf die vielen beeindruckenden Landschaften Deutschlands.

Früher war es eben normal, den Familienurlaub von der Ostsee über den Harz in die Alpen zu planen. In ihren Jugendjahren, zu denen Rosemarie in der DDR lebte, war die Reisefreiheit sogar noch eingeschränkter.

Die Freude, die ihr mein Besuch macht, kommt wie letztes Mal, auf direktem Weg zu mir zurück.

Während Rosemarie von der Schönheit ihrer Urlaube erzählt, werde ich zwar etwas sentimental, es fällt mir aber plötzlich gar nicht mehr so schwer, die Vielfalt der innerdeutschen Reiseziele wiederzuerkennen.

Und dann sehe ich sie, eine junge lachende Frau, in buntem Sommerkleid an eine Mauer gelehnt. Sie strahlt so viel Lebensfreude aus, dass ich zu diesem Bild genauer nachfrage, was Rosemarie zu der Zeit gearbeitet hat, mit wem sie gereist ist und was sie zu der Zeit bewegt hat. Wir kommen auf die Stellung der Frau damals in der Gesellschaft und was sich schon alles zum Positiven verändert hat.

Rosemarie erzählt eine Geschichte aus ihrer Jugend

Sie war 17 Jahre alt, von einem hübschen jungen Mann begehrt und wurde von ihm ins Kino eingeladen. Ein klares Verbot ging von ihrer Mutter aus: Ein Mädchen, das abends mit 17 Jahren allein mit einem Jungen ins Kino geht, bringt Schande über die Familie.

Rosemarie wollte aber so unbedingt, dass sie ihre Mutter anlog und sagte, sie sei bei einer Freundin und ging trotzdem ins Kino. Der Abend nahm kein schönes Ende, da ihre Mutter den Schwindel entdeckte und nach der Vorstellung schon vor dem Kino auf sie wartete, um sie nach Hause zu ziehen und ihr einige Monate Hausarrest aufzubrummen.

Ich erschrecke, als Rosemarie sagt, dass sie heute froh darüber ist, weil sie damals das Schicksal einiger Frauen gesehen hat, die entweder aus Selbstschutz wegliefen oder, falls im schlimmsten Fall eine Schwangerschaft vorlag, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurden. In Deutschland, vor nicht mal 70 Jahren!!!

Werden wir uns bewusst, dass alle Sätze, die mit „das macht man eben so“ enden, grundsätzlich in Frage zu stellen sind. Wer ist „man“ und wer hat sich diesen Mist ausgedacht?

Ich bin mal wieder heilfroh, dass wir in einer Zeit leben, in der wir für Kräutertee kochen nicht mehr als Hexen auf dem Scheiterhaufen landen. Dass es aber noch viel Luft nach oben gibt, zeigt uns allein der heutige Tag, 10. März 2021.

Bis heute haben wir Frauen durch den Gender Pay Gap im Vergleich zu unseren männlichen Kollegen umsonst gearbeitet. Dass es in anderen Ländern noch weit schlechter in der Gleichberechtigung, ob für Frau, Queer oder gesellschaftliche Minderheiten aussieht, wissen wir alle.

Wieder sind wir an dem Punkt: Was können wir für eine Gemeinschaft tun, die alle Lebewesen als gleichwertig ansieht?

Fangen wir in unseren Köpfen an: Werden wir uns bewusst, dass alle Sätze, die mit „das macht man eben so“ enden, grundsätzlich in Frage zu stellen sind. Wer ist „man“ und wer hat sich diesen Mist ausgedacht?

Machen wir mit dem Herz und den Händen weiter: Worten Taten folgen lassen, nicht mehr Schweigen und uns gegenseitig unterstützen. Ein Neuanfang ist jederzeit möglich. Den macht man nämlich einfach so.

Headerfoto: henri meilhac via Unsplash. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür! 

annenuranne fand als gebürtige Münchnerin ihren Herzensort in Berlin. Hauptberuflich ist sie HRlerin, in welcher Position sie ihre Passion, Menschen zu fördern, jeden Tag leben kann. Nebenbei schreibt sie begeistert Texte über Sex, Drugs, die Liebe, wahrer Dienstleistung und der Selbstverwirklichung im Beruf.

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