Du fehlst mir! Du fehlst mir so viel mehr, als ich es für möglich gehalten hatte. Plötzlich habe ich Angst, dass wir unser Potenzial nicht erkannt haben – dass ich Dein Potenzial nicht erkannt habe. Ich habe Dich immer nur durch einen Schleier gesehen, ich hatte Angst davor, meine Augen zu öffnen, Dich zu sehen und plötzlich zu erkennen, wer oder was Du für mich sein könntest.
So läuft das nun schon eine verdammt lange Zeit. Ich habe Dir nie eine Chance gelassen. Wenn Du in meine Nähe kamst, habe ich Dich abgeblockt. Ich hatte das zwischen uns in eine Richtung gelenkt, ich hatte Dich zu meinem Fuckbuddy gemacht, ohne jemals zu fragen, ob Du das wirklich sein willst. Nicht einmal mich selbst habe ich hinterfragt. Ich war zu sehr damit beschäftigt, mich selbst zu beschützen vor dem, was Du mir vielleicht bedeuten könntest.
Und viel wichtiger noch: Hast Du das ‚es könnte mehr daraus werden‘ inzwischen aufgegeben? Ich könnte es Dir nicht verübeln.
Nun bist Du gegangen und ich lese alte Nachrichten. Lese so viele Annäherungsversuche, bei denen Du einfach nur nett zu mir warst und so viele Nachrichten, in denen ich es einfach nicht annehmen konnte. Auf ein „Du fehlst mir“, entgegnete ich ein „Sex mit Dir wäre jetzt schon sehr toll“. Hast Du Dich mit Deiner Rolle als Fuckbuddy abgefunden? Und viel wichtiger noch: Hast Du das „es könnte mehr daraus werden“ inzwischen aufgegeben? Ich könnte es Dir nicht verübeln.
Was tut man, wenn man plötzlich merkt, dass man falsch abgebogen und anschließend noch tausende Kilometer weiter in die falsche Richtung gelaufen ist? Umkehren? Weiterlaufen und schauen, was sich als nächstes ergibt? Was ist, wenn ich unser Potenzial nicht erkannt habe und es aber jetzt plötzlich sehe und wenn es dann kaum etwas gibt, was ich mir mehr wünsche, als einfach mal diese Mauern aus Selbstschutz und Angst abzureißen und Dir auf ein „Du fehlst mir“ ein „Du fehlst mir auch“ antworten zu können?
Ja, was ist denn, wenn es beim zweiten Mal dann einfach zu spät ist?
Cro hatte mal gesagt:
Was soll ich nur sagen? Irgendwas knockt mich aus
Ich bin ein Versager, weil ich mich doch nicht trau‘
Mein Kopf ist voller Wörter, doch es kommt nichts raus
Und sie steht auf, steigt aus und sagt:
„Bye-bye, bye-bye meine Liebe des Lebens
Und ja, wir beide werden uns nie wieder sehn
Kann schon sein, dass man sich im Leben zweimal begegnet
Doch es beim zweiten Mal dann einfach zu spät ist“
Ja, was ist denn, wenn es beim zweiten Mal dann einfach zu spät ist?
Ich vermisse dich viel mehr, als ich dachte.
Es kommt eine Nachricht von Dir, Du bist gut angekommen. Du machst ein Auslandssemester, 9.000 Kilometer von mir – von uns – entfernt. Ich lese weiter und freue mich über die netten Worte, Dein aufrichtiges Interesse an meinem Leben und sehe einige Herzen und zum Schluss ein „ich vermiss Dich“.
Ich schaue kurz im Internet nach Flügen und überlege, ob ich das zwischen Masterthesis und dem Job irgendwie hinbekommen könnte. Freude kommt in mir auf. Dennoch vertage ich diese Entscheidung, aus Angst. Ich antworte auf all Deine Fragen und bekunde meine Freude über das, was Du nun in den nächsten Monaten erleben darfst. Dann tippe ich ein „ich vermisse dich viel mehr, als ich dachte“ und lösche es sofort wieder.
Ich glaube, es ist noch nicht der richtige Zeitpunkt …
Headerfoto: Jéssica Oliveira via Unsplash.com. ( ”Gedankenspiel“-Button hinzugefügt, horizontal gespiegelt.) Danke dafür.