Was das Alleinsein für mich und meine Beziehung bedeutet

Alleinsein ist langweilig und irgendwie einsam. Das war lange Zeit meine Auffassung von Alleinsein. Niemand zum Quatschen, niemand zum Unsinn machen, niemand, der die lästige Stille in der Luft überbrückt. Leider niemand, der meine Gedanken bestätigt. Allerdings auch niemand, der ihnen widerspricht – zum Glück. Niemand, an dem ich meinen Frust ablassen kann. Niemand, den ich für mein Handeln oder die rastlosen Gedanken verantwortlich machen kann. Niemand, der mich von ihnen befreit. Das ist Einsamkeit.

Aber alleine zu sein bedeutet nicht, einsam zu sein.

Wenn ich einsam bin, tritt genau dieses Gedankenchaos ein. Ich bin unzufrieden, mein Bedürfnis nach Anerkennung wird nicht gestillt. Ich scheine selbst nicht dazu in der Lage zu sein, denn sonst würde ich mich nicht so einsam fühlen. Nur langweiligen Menschen ist langweilig. Da ist ebenfalls was dran. Das ist Einsamkeit.

Um gesunde soziale Beziehungen zu pflegen, ist regelmäßiges Alleinsein unabdingbar.

Wenn ich in mir ruhe und bei mir bin; wenn ich Verantwortung für mein Handeln übernehme und in Einklang mit den Konsequenzen bin; wenn ich mich auf die Zeit allein zuhause freue und nicht ständig auf mein Handy schaue, um zu gucken, ob vielleicht doch irgendwer an mich gedacht hat oder mit mir Zeit verbringen will, erst dann bin ich mir selbst genug.

Dann bin ich gern allein. Allein – nicht einsam. Alleinsein, nach diesem Zustand kann man aber auch süchtig werden. Klingt vielleicht komisch – ist aber echt so. Aber woran liegt das, wenn der Mensch doch ein Herdentier ist? Ganz einfach: Um gesunde soziale Beziehungen zu pflegen, ist regelmäßiges Alleinsein unabdingbar.

Energie tanken; sich erden; Gedanken sortieren; meditieren; mal nur sich selbst zuhören, anstatt dem TV, Social Media oder dem sozialen Umfeld; abschalten; offline sein

Gerade Liebesbeziehungen scheitern immer wieder an der gleichen Dynamik, denn meiner Meinung nach vergessen wir, wie wichtig es ist, ab und zu einfach mal allein zu sein. Allein mit sich selbst. Denn Liebe erschöpft. Gerade die rosa-rote Brille kann bisweilen etwas Zehrendes haben. Auch wenn sie auf den ersten Blick eher beflügelt, als unterwirft.

Aber ein Verliebter wird nicht umsonst mit einem Betrunkenen verglichen, denn das Hormonchaos kann bisweilen ekstatische Ausmaße annehmen – ähnlich wie bei Ecstasy-Konsum. Und danach geht’s dir – meistens zumindest – richtig scheiße, denn auf den Upper folgt der Downer.

 „In der Liebe bist du im Wesen des anderen aufgegangen und hast den Kontakt zu dir selbst verloren. Du warst wie betrunken, warst darin untergegangen. Nun musst du dich erst selbst wiederfinden. Und sobald du allein bist, entsteht wieder das Bedürfnis nach Liebe. Bald bist du wieder so voll, dass du es gerne teilen möchtest. (…) Liebe entsteht aus dem Alleinsein. Das Alleinsein macht dich übervoll, und die Liebe empfängt deine Gaben. Die Liebe macht dich leer, sodass du wieder voll werden kannst. Und jedes Mal, wenn die Liebe dich leer gemacht hat, ist das Alleinsein da, um dich zu nähren und zu integrieren. So einsteht ein Rhythmus.“ (Osho: Liebe, Freiheit, Alleinsein, München 2002, S. 335.)

Die Liebe macht dich leer. Ja, das würde ich sofort unterschreiben.

Die Liebe macht dich leer. Ja, das würde ich sofort unterschreiben. So wunderschön und erfüllend, wie die Liebe sein kann, ebenso zehrend und fordernd ist sie an manchen Tagen. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Das Gefühlschaos ist immer noch das schlimmste Chaos. Menschen haben schon unglaublich Wunderbares und unglaublich Grausames im Namen der Liebe vollbracht. Die Frage ist: Wie kann das der Fall sein? Wie kann etwas so Schönes, Wunderbares wie die Liebe zu so gegensätzlichen Reaktionen und Handlungen führen?

„Durch die Liebe zu leiden, ist kreativ; es führt in höhere Bewusstseinssphären. […] Nur der andere kann ihm als Spiegel dienen. […] Liebe ist also sehr grundlegend, auch für die Selbstkenntnis. Wer einen anderen Menschen nicht in tiefer Liebe erfahren hat, in intensiver Leidenschaft und höchster Ekstase, der kann sich selbst nicht erkennen, denn es fehlt ihm der Spiegel, in dem er sein eigenes Spiegelbild erkennen kann.“ (Osho: Liebe, Freiheit, Alleinsein, München 2002, S. 56.)

Der Spiegel. Manchmal schön anzusehen, mal ein hässliches Ebenbild all unserer Ängste und unterdrückten Sehnsüchte zugleich. Zugegeben, auf die Dauer kann das echt ermüdend sein. Je nachdem, welcher Regung man gerade nachgibt oder, besser gesagt, die meiste Beachtung schenkt, schlägt sich das auch im Verhalten nieder.

Wenn ich meinen Partner zum Beispiel dafür verantwortlich mache, wie es mir geht, und ihm damit alle Macht über meine Gefühlswelt übertrage, dann zeigt das lediglich, dass ich gerade zutiefst verunsichert bin und mich selbst nicht spüre. Die äußeren Umstände sind selten an unsere mentale Verfassung gebunden.

Die äußeren Umstände sind selten an unsere mentale Verfassung gebunden.

Der Mensch ist unglaublich anpassungsfähig, daher kann das Wetter nicht auf Dauer der Grund und die Ursache zugleich für ewig schlechte Laune und Antriebslosigkeit sein. Der*die beste Freund*in oder der*die Partner*in bestimmen mit ihrem Verhalten nicht unseren Tagesablauf und eigene Stimmungslage.

Natürlich berührt es einen und man versucht zu helfen, …

… aber Mitgefühl ist letztlich das Einzige, was wirklich zählt, und das kann man auch empfinden oder geben, ohne dabei in völliger Selbstaufgabe zu zerfließen. Sehr gut sogar. Ich würde beinahe sagen: besser. Ein freier, zufriedener Mensch entzieht sich dem oder kann sich abgrenzen. Der eine mehr, der andere weniger. Wenn man im Reinen mit sich selbst ist, fühlt man sich nicht angegriffen; lässt man sich nicht manipulieren oder von jemand anderem beeinflussen.

Dann kann man die eigenen Ressourcen dafür nutzen, dem anderen konstruktiv zu helfen, und verliert sich nicht gleichermaßen in dem Gefühlschaos. Dann geht man einfach seinen Weg. Vielleicht im Grauen durch den Regen, vielleicht im Sonnenschein. Man geht ihn halt. Denn wenn man sich selbst genug ist, hat man nicht ständig das Gefühl, man könne einen Teil verlieren oder wäre auf den anderen angewiesen. Abhängig.

„Gebunden sein ist etwas so Hässliches. Und wenn ich sage hässlich, dann meine ich das nicht nur im religiösen, sondern auch im ästhetischen Sinn. Sobald du gebunden bist, hast du dein Alleinsein aufgegeben, und damit gibst du alles auf. Nur um dich gut zu fühlen, damit jemand dich braucht und bei dir ist, gibst du alles auf und verlierst dich selbst. Aber das ganze Übel besteht darin, dass du versuchst, unabhängig zu bleiben und gleichzeitig den anderen zu besitzen. Und der andere versucht es genauso. Ergreife also von niemandem Besitz, wenn du nicht selbst in Besitz genommen werden willst.“ (Osho: Liebe, Freiheit, Alleinsein, München 2002, S. 217.)

Es ist verwirrend, wenn man irgendwann nicht mehr weiß, beziehungsweise daran zweifelt, ob man etwas gerade für sich selbst oder den anderen tut.

Das Gefühl kenn ich. Es ist verwirrend, wenn man irgendwann nicht mehr weiß, beziehungsweise daran zweifelt, ob man etwas gerade für sich selbst oder den anderen tut. Wenn man das Gefühl hat, vielleicht hier und da nicht mehr man selbst zu sein, weil man dem anderen gefallen oder einen Gefallen tun will.

Ich hatte mich selbst verloren

Nicht, was meine Zukunft betrifft. Meinen Beruf übe allein ich aus, da kann der andere wenig zutun. Das wäre ja nicht besonders weitsichtig, sich diesbezüglich einschränken oder vom Kurs abringen zu lassen. Aber emotional gerät man schneller in eine Art Abhängigkeitsverhältnis, als man sich das vielleicht zwischendurch eingestehen will. Zumindest war es bei mir so. Aber ich denke, dass es sich hierbei um einen typischen Rosa-Rote-Brille-Effekt handelt.

Kennt jeder, hat jeder erlebt, müssen wir nicht weiter drüber reden. Dinge, die einem zuerst gefallen haben oder die man nicht wirklich wahrgenommen hat, wirken auf einmal bedrohlich oder einfach nur noch unentspannt. Alles wird zum Krampf. Beide spüren es, einer spricht es an. Vielleicht auch keiner – oder irgendwann beide. Alles ist möglich. Alltag macht’s möglich.

Jetzt kristallisiert sich heraus, was eigentlich noch Bestand hat. Die Beziehung wird evaluiert. Was für ein rationales, kaltes Wort. Aber so fühlt es sich in den Momenten manchmal an. Man zeigt sich bei Kleinigkeiten verletzter und erwischt sich dabei, wie man anfängliche Träumereien und Schwärmereien mit der Realität abgleicht. War es reine Illusion oder bloß eine etwas verzerrte Realität?

Ich musste raus – allein

Bis ich mich in der Stille wiederfand und anfing, zur Abwechslung mal wieder nur auf mich selbst zu hören, war nicht viel Zeit vergangen. Eine Woche vielleicht. Aber die drastische Veränderung der äußeren Umstände und das Reisen ließen mir keine andere Wahl, als mich auf das Hier & Jetzt und vor allem auf mich zu konzentrieren. Auf einmal las ich auch noch ein Zitat in meiner Reiselektüre, um das sich meine Gedanken im Folgenden noch viele Male drehen sollten.

„Beobachte dich. Wenn du an einem Menschen hängst, liebst du ihn? Oder hast du nur Angst vor der Einsamkeit und hältst dich an ihm fest, weil du nicht allein sein kannst? Benutzt du diesen Menschen, um nicht allein zu sein? Dann wirst du Angst haben, dass der andere sich abwendet oder dass er sich in jemand anders verliebt.“ (Osho: Liebe, Freiheit, Alleinsein, München 2002, S. 230.)

Habe ich lediglich Angst vor der Einsamkeit oder liebe ich ihn wirklich?

Habe ich lediglich Angst vor der Einsamkeit oder liebe ich ihn wirklich? Na ja, dass ich keine Angst vor der Einsamkeit haben sollte, hat mir die Reise wohl bewiesen. Wirklich einsam war ich nie – im Gegenteil. Höchstens öfter mal allein. Aber das habe ich dann auch sehr genossen und es fiel mir fast schwer, nach längerer Zeit in meiner Welt wieder Kontakt zu meinem Umfeld aufzunehmen. Langweilig war mir eigentlich nie und wenn, dann war es die positive Erkenntnis, dass gerade einfach nichts ansteht und ich einfach nur in die Gegend starren und vor mich hin träumen kann.

Es stimmt schon: Ohne dieses Wissen sind gewisse Dinge bestimmt schwieriger durchzustehen. Wenn ich weiß, dass ich immer auf andere, Freunde oder meinen Partner, angewiesen bin, dann machen mir viele Dinge Angst.

Verlustangst

In solchen Momenten entsteht zum Beispiel Eifersucht oder ein Gefühl der Abhängigkeit. Niemand will sich gern abhängig fühlen, also fängt man an, sich frei zu kämpfen. Und der Teufelskreis beginnt.

„Für dich allein kannst du nicht leben, also fängst du an, für jemand anderen zu leben. Und das Gleiche gilt auch für den anderen: Er oder sie kann nicht allein leben, also sucht er*sie nach einem anderen. Zwei Menschen, die beide Angst vor der eigenen Einsamkeit haben, finden sich und beginnen ein Spiel miteinander – das Spiel der Liebe. Doch insgeheim suchen sie Bindung, Abhängigkeit, Versklavung. […] Dann fühlt man die Fessel, die Sklaverei, und dann beginnt man zu kämpfen, um wieder frei zu werden.“ (Osho: Liebe, Freiheit, Alleinsein, München 2002, S. 215.)

Wenn ich fest im Leben stehe und mich unabhängig und allein für meine Situation verantwortlich fühle, dann ist meine Beziehung mit großer Wahrscheinlichkeit sowohl eine freie, authentische als auch erwartungslose Bindung. Bedingungslos, denn mein Partner hat nicht die Macht, mein Sein zu zerstören oder mir die Existenz zu entziehen. Zugegeben, mit diesem Mindset lassen sich viele Situation geschickter als auch harmonischer meistern. Für die Beziehung und vor allem für einen selbst.

Gefühle wie: Wut, Neid, Eifersucht und Gier

Letztlich leidet der Betroffene am meisten unter dem verwirrenden, bedrohlichen Gefühlschaos. Die perfekte Ausgangssituation wäre demnach, dass beide Partner sich und ihre Beziehung gleichermaßen lieben. Wobei, vielleicht sollte die Selbstliebe noch ein wenig überwiegen. Wir stehen uns nun einmal selbst am nächsten, ist einfach so.

Verlustangst entsteht erst, wenn man glaubt, einem könnte etwas fehlen oder genommen werden.

Verlustangst entsteht erst, wenn man glaubt, einem könnte etwas fehlen oder genommen werden. Sei dir selbst genug. Das Gefühl wird dann durchaus schwächer ausfallen. Ich behaupte nicht, dass es wegfällt, aber es ergreift nicht mehr sturmartig den eigenen Gemütszustand und endet in irrationalen Gedanken und Angst-Handlungen.

Ich kann jedem nur raten, einfach mal allein zu sein. Einfach mal offline zu gehen; zu disconnecten; unerreichbar zu sein und eine Zeit lang sein eigenes Ding zu machen. (A)soziale Medien wie Facebook, Instagram, Snapchat & Co. sind längst nur noch ein Ausdruck der von der Gesellschaft maßlos verzerrten Realität und fragwürdigen VorBILDERn. Damit füllen sie lediglich die Manege des Zirkus der Unsicherheiten und schlechten Vergleiche.

Mit Selbstwert oder Selbstliebe hat das wenig zu tun. Die nachfolgenden Worte empfinde ich daher als eine passende Definition für die Suche nach sich selbst. Selbstfindung.

„Nötig ist nicht, dass du etwas hast, das dich dein Alleinsein vergessen lässt; nötig ist, dass du dir deines Alleinseins – deiner Wirklichkeit – bewusst wirst. Und das zu erfahren, das zu fühlen, ist so wunderbar – denn es ist dein Freisein von der Masse, vom anderen. Es ist dein Freisein von der Angst der Einsamkeit.“ (Osho: Liebe, Freiheit, Alleinsein, München 2002, S. 242.)

Wer bist du?

Headerfoto: Kilian Amrehn. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

NADINE studierte nach dem Abitur an der Universität in Bonn Romanistik (B.A.) und Internationale Geschichte der Neuzeit (M.A.). Mittlerweile lebt sie in Berlin und ist selbstständig als freie Autorin, Speakerin und Model tätig. Auf ihrem Blog und Instagram teilt sie persönliche Erlebnisse aus ihrem Alltag als bisexuelle Frau sowie Vertreterin der LGBTQ-Szene und spricht über alternative Beziehungskonzepte, anhaltende Ungerechtigkeiten im Patriarchat und die gesellschaftliche Rezeption von Bisexualität. Mehr hierzu könnt ihr zudem monatlich in ihrer Kolumne "bi happy" lesen. Als Speakerin kann man sie in verschiedenen Podcasts, darunter ihren eigenen "INTIM" zusammen mit Ben für Eis.de, und bei kleineren TV-Auftritten (Paula kommt!) zu diesen Themen sprechen hören. | Foto der Autorin: Fabian Stuertz.

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