Während der letzten Pandemie-Monate war man ja nahezu verpflichtet, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, z.B. indem man mal aufschreibt, was einen eigentlich glücklich macht. Kann man machen, muss man aber nicht. Sollte man aber, dachte ich.
Auf meiner Liste stehen nun Dinge wie: Der Duft von Sommerregen auf Asphalt, ein Glas Wein auf dem Balkon trinken, alte Tagebücher lesen und ausgelassene Mitsing-Autofahrten mit Freundinnen … So was. Und dann stand da noch: Die Vorstellung davon, irgendwann auf einem Mehrgenerationenhof zu leben und dort meine Kinder aufwachsen zu sehen.
Wenn aus Zukunftsplänen Gegenwart wird
Das „irgendwann“ kam ziemlich plötzlich. Und zwar ein paar Wochen später, als meine Eltern meinem Freund und mir freudestrahlend eine perspektivische Wohnung offerierten, die sie auf ihrem Resthof, wo ich aufgewachsen war, zum Vermieten ausbauen wollten. Objektiv gesehen ein Traum inklusive Kinderbetreuung: ein Angebot, das man nicht ausschlägt, wie man so schön sagt. Und doch auch genau das, was ich wollte. Oder etwa nicht?
Objektiv gesehen ein Traum inklusive Kinderbetreuung: ein Angebot, das man nicht ausschlägt, wie man so schön sagt. Und doch auch genau das, was ich wollte. Oder etwa nicht?
Vielleicht auch nur noch nicht? Um es vorweg zu nehmen: Wir haben uns entschieden. Und zwar dafür. Dabei gab es aber nie diesen einen Moment, wo wir meinen Eltern offiziell diese Entscheidung verkündeten – womöglich mit einem Glas Sekt in der Hand. Sie hat sich vielmehr in einem zerbrechlichen Prozess langsam und leise bei uns allen eingeschlichen.
Ich gebe zu, der aktuelle Trend zum Leben auf dem Land hat unsere Entscheidung zusätzlich beflügelt. Nicht dass wir radikale Mitläufer:innen wären, aber so eine Welle, auf der man mitschwimmen kann, bringt einen manchmal eben doch schneller ans Ziel.
Ist das noch Angst oder schon Wachstumsschmerz?
Unsere „Entscheidung“ birgt viele Veränderungen: Von der Stadt aufs Land. Von der Wohnung in eine – wenn man es so nennen möchte – Haushälfte. Vor allem aber ziehen wir von unserer Gegenwart in eine gemeinsame Zukunft, die für mich auch sehr viel Vergangenheit beinhaltet.
Von der Stadt aufs Land. Von der Wohnung in eine Haushälfte. Vor allem aber ziehen wir von unserer Gegenwart in eine gemeinsame Zukunft, die für mich auch sehr viel Vergangenheit beinhaltet.
Ich habe Angst, dass alles, was jetzt kommt, meine Kindheit, die ich auf diesem Hof verbracht habe, überprägen könnte. So viele Erinnerungen verbinde ich mit diesem Haus und mit diesem Stück Land. Die ersten 20 Jahre meines Lebens habe ich hauptsächlich hier verbracht.
Wenn ich mir Fotos anschaue oder Musik höre, die bestimmte Momente begleitet haben, dann durchlebe ich diese Augenblicke gefühlt noch einmal. Ich liebe es, mich dann wieder in eine vergangene Zeit hineinfallen zu lassen.
Ich habe Angst, dass alles, was jetzt kommt, meine Kindheit, die ich auf diesem Hof verbracht habe, überprägen könnte. So viele Erinnerungen verbinde ich mit diesem Haus und mit diesem Stück Land.
Nun werden wir absehbar am Ort meiner Kindheit sehr viele neue Erfahrungen machen. Vielleicht schaffen wir uns einen Hund an, mit dem wir ausgelassen im Garten spielen. Vielleicht schmeißen wir Sommerpartys mit Freund:innen und Familie und sitzen bis zum Morgengrauen bei Rotwein am Lagerfeuer. Vielleicht feiern wir am Esstisch bald den Geburtstag unseres potenziellen Nachwuchses.
Es kann so viel Neues hinzukommen. Hoffentlich sehr viel Schönes. Aber was ist mit allem, was bereits passiert ist? Werde ich mich an all das weniger gut erinnern können, wenn ich in erster Linie andere Ereignisse mit diesem Ort in Verbindung bringe, einfach weil sie aktueller sind?
Es kann so viel Neues hinzukommen. Hoffentlich sehr viel Schönes. Aber was ist mit allem, was bereits passiert ist?
Manchmal würde ich meine Vergangenheit einfach gerne als eine in sich abgeschlossene, schöne und prägende Zeit ins Regal stellen und stattdessen ein ganz neues Kapitel aufschlagen. Vielleicht ein ganz neues Genre schreiben. Stattdessen fühlt es sich derzeit so an, als hätte ich eine große Schatzkiste mit Erinnerungen, die immer mal wieder geöffnet wird. Und worin diese Gedankenfetzen keine Chance haben, je zur Ruhe zu kommen.
Vielleicht wird es auch ganz anders. Vielleicht passiert auch quasi das Gegenteil. Vielleicht liegt der Reiz des Ganzen sogar darin, dass diese Kiste mein Leben lang offen bleibt und die Erinnerungen präsenter, lebendiger bleiben und ständig mehr werden.
Zurückgehen gleich Rückschritt?
Und dann ist da auch dieses Gefühl von Stillstand, oder sogar von Rückschritt. Ein Zurückfallen in alte Muster. Was ist mit all dem Selbstvertrauen, das ich mir durch Reisen, durch Jobs fast schon mühsam angeeignet habe? Geht das verloren, wenn ich wieder in mein früheres Zuhause zurückkehre? Entwickele ich mich ab dann nicht mehr weiter? Ein Stück weit Endstation meiner inneren Reise? Werde ich vielleicht sogar wieder die, die ich mit 18, mit 20 war?
Und dann ist da dieses Gefühl von Stillstand, oder sogar von Rückschritt. Ein Zurückfallen in alte Muster. Was ist mit all dem Selbstvertrauen, das ich mir mühsam angeeignet habe? Geht das verloren, wenn ich wieder in mein früheres Zuhause zurückkehre?
Und das Leben, das wir aktuell haben, dieses pulsierende Leben in der Stadt: Neben Baustellenlärm und Verkehrsgehupe sehne ich mich doch auffallend oft nach der stillen, grünen Weite. Aber man will ja immer das, was man gerade nicht hat. True story halt.
Am meisten werde ich, glaube ich, den Stadt-Lifestyle vermissen. Den Flat White im Lieblings-Café, tanzen bis nachts um 4 und beseelt durch die klare Morgenluft nach Hause trudeln, die Jogging-Runde um die von Wasser umflossene Altstadt, bei der man so toll das morgendliche Stadttreiben beobachten kann, den Wochenmarkt vor der Haustür, durch den Unverpackt-Laden streifen und sich neben in Glasdosen gefüllten Linsen gleich noch ein gutes Gewissen einpacken. All das. Und noch viel mehr.
Es kommt, wie es kommt.
Stillstand ist das eine. Dabei ist der Umzug aufs Land doch meist immer der Startschuss für Weiterentwicklung. Zumindest wird das ein Stück weit erwartet. Haus, Hund, Kind und Letzteres am besten im Plural, damit der Traum von Bullerbü-Romantik zwischen blühenden Graslandschaften und roten Backsteinwänden auch wahr wird. Ich weiß nicht, ob ich dazu schon bereit bin.
So viele Fragen, auf die es vielleicht noch gar keine Antworten braucht. Vielleicht halten wir es damit auch einfach wie mit der Entscheidung selbst und lassen sie sich ganz langsam in unseren neuen Alltag einschleichen.
So viele Fragen, auf die es vielleicht noch gar keine Antworten braucht. Vielleicht halten wir es damit auch einfach wie mit der Entscheidung selbst und lassen sie sich ganz langsam in unseren neuen Alltag einschleichen – genau so, wie es für uns richtig ist. Den Flat White hab ich in der nächsten Kleinstadt zumindest schon entdeckt.
Headerfoto: jasmin chew via Pexels. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!