Es ist Januar: Der Monat, in dem neue Sportschuhe bestellt werden, auf Alkohol verzichtet und Fleisch vom Teller verbannt wird, Hashtag #veganuary. Im Januar halten viele von uns ein Brennglas auf ihr Leben und wollen es künftig besser angehen: Mehr Gesundheit, weniger schlechte Dates, endlich im Job durchstarten.
Aber wie jedes Jahr kommt dann doch der kaltherzige Februar um die Ecke und bringt wieder alles ins Schwanken. Im Februar kehrt „Vielleicht“ zurück und fragt leise, ob wir nicht ein bisschen streng mit uns waren. Vielleicht macht Verzicht doch nicht glücklicher, vielleicht ist der Job einfach der falsche und vielleicht wird 2022 genauso ein Müll wie 2021 und deshalb lohnt sich der ganze Quatsch mit den Vorsätzen eh nicht.
Deshalb haben Neujahrsvorsätze in meinem Bekanntenreis einen angeknacksten Ruf. Was nützt eine Entscheidung, wenn man sich nicht an sie hält? Und da liegt das eigentliche Problem: Wirklich gute, also auch nachhaltige Entscheidungen sind verdammt schwer zu treffen. Denn eine reine Kopfentscheidung bringt langfristig wenig, wenn das Bauchgefühl einen dann doch wieder einholt.
Wirklich gute, also auch nachhaltige Entscheidungen sind verdammt schwer zu treffen. Denn eine reine Kopfentscheidung bringt langfristig wenig, wenn das Bauchgefühl einen dann doch wieder einholt.
Dabei lässt sich das Entscheidungsproblem wie eine Generationendiagnose lesen. Wer in seinen 20ern und 30ern steckt, kommt oft ins Zweifeln. So viele Weichen wollen für den weiteren Lebensweg gestellt werden: Beruf, Partner:in, Wohnort, Familienplanung.
Und das Internet hat das Entscheiden nun auch nicht leichter gemacht. Online gibt es so viele Möglichkeiten, so viele Informationen, so viele gestreifte Oberteile. Gerade die Suche nach einem Partner ist durch Dating-Plattformen wie Tinder noch komplizierter geworden, so die Soziologin Eva Illouz. In ihrem Buch „Warum Liebe endet“ stellt sie die These auf, dass die Liebe immer stärker von Konsumdenken geprägt wird. Allein solche Formulierungen wie „den eigenen Marktwert checken“, aber auch Trends wie Benching (jemanden auf die Wartebank schieben, bis man etwas besseres findet) deuten darauf hin.
Kopf gegen Herz
Aber wie gelingt es nun, Kopf und Gefühl miteinander in Einklang zu bringen und für sich richtige Entscheidungen zu treffen?
Als ich vor mehr als zwei Jahren damit begann, einen Roman zu schreiben, war das eine der großen Fragen, die ich meiner Protagonistin Mila gestellt habe. Mila ist Anfang 20 und sowohl beruflich wie auch in der Liebe ziemlich orientierungslos. Ich wollte sie auf eine Reise schicken, an deren Ende sie zwar noch nicht alle Entscheidungen getroffen haben muss, sie aber doch verstanden hat, wie sie sich den großen Fragen, vor allem in der Liebe, stellt. Und ich wollte ihre Geschichte möglichst nahbar erzählen, damit die Leser sich mit ihr identifizieren und hoffentlich etwas für sich mitnehmen können.
Was das Entscheiden so kompliziert macht, ist, dass wir dabei nie unabhängig von anderen Menschen oder äußeren Einflüssen sind.
Was das Entscheiden so kompliziert macht, ist, dass wir dabei nie unabhängig von anderen Menschen oder äußeren Einflüssen sind. Wir internalisieren, das heißt verinnerlichen, gleichzeitig auch Erwartungshaltungen unserer Eltern oder der Gesellschaft. Und das bis zu einem Grad, in dem wir sie für unsere eigenen halten.
Ein Freund von mir hat seine Entscheidung, Lehrer zu werden, während seines kompletten Studiums nie hinterfragt. Er hatte gute Noten, studierte in Regelstudienzeit. Kurz nachdem er mit dem Referendariat begonnen hatte, verstarb sein Vater unerwartet. Eine Erschütterung, die so groß war, dass er seinen bisherigen Lebensweg völlig in Frage stellte. Nach einigen Monaten der Trauer entschied er sich, ein neues Studium zu beginnen und den Berufsweg zu wechseln. Er realisierte, dass es nicht sein Wunsch gewesen war, Lehrer zu werden, sondern der seines Vaters.
Das lässt auch erahnen, wie schwer es Menschen fallen muss, bei privaten Entscheidungen von der Norm abzuweichen, zum Beispiel der Frage, wen sie lieben und welchem Geschlecht sie angehören wollen.
Auch Herzen liegen manchmal falsch
Doch auch unser Herz kann uns in die Irre führen. Warum scheinen manche Menschen wie Carry Bradshaw immer wieder auf den gleichen bindungsunfähigen anderen reinzufallen? (Laut Autorin Candace Bushnell hätten Carry und Mr. Big im Real Life übrigens kein Happy End erlebt).
Wir folgen in unseren Entscheidungen oft unbewussten Mustern. Häufig suchen Menschen sich unterbewusst einen Partner aus, der sie auf eine Art behandelt, die ihnen bereits vertraut vorkommt. Im schlimmsten Fall kann es sogar passieren, dass ein Mensch den Zugang zu den eigenen Gefühlen verliert. Wer schwere Verletzungen erlitten hat (durch narzisstische Eltern, körperliche Gewalt, psychische Manipulation), der muss unter Umständen das Geschehene so weit verdrängen, dass er oder sie sich nicht mal mehr daran erinnert.
Dabei geht nicht nur ein Teil der Identität verloren, sondern auch das Vertrauen darin, den eigenen Gefühlen zuzuhören. Wie soll man sich so auf einen Menschen nochmal emotional einlassen? Fest steht, dass es dann deutlich schwieriger ist, aber nicht unmöglich. Das ist Milas Geschichte.
Und was soll man jetzt dafür tun? Das kommt natürlich auf den Menschen und die individuelle Vorgeschichte an. Dem einen helfen Pro-Contra-Listen oder eine Nacht über eine Entscheidung zu schlafen. Dem anderen hilft es, mehrere Menschen um Rat zu fragen oder Dinge einfach auszuprobieren.
Worum jedoch niemand beim Entscheiden herumkommen wird, ist die Auseinandersetzung mit sich selbst
Worum jedoch niemand beim Entscheiden herumkommen wird, ist die Auseinandersetzung mit sich selbst – zur Not auch mit therapeutischer Hilfe. Und wenn alles nichts hilft und man trotzdem die falsche Entscheidung getroffen hat? Dann ist es in den wenigsten Fällen zu spät, etwas zu ändern.
Auch ein unter Schutt begrabenes Gefühl lässt sich wieder freilegen. Die Route ins eigene Herz lässt sich wiederfinden und irgendwann auch das Vertrauen, auf die eigene Intuition zu hören.
Und ein großer Vorteil ist: Unser Gehirn merkt sich nicht nur Negatives, sondern auch Positives. Wem es so gelingt, sich für etwas Schönes zu entscheiden, für eine Beziehung, die gut tut, für einen Job, in dem man Wertschätzung erfährt, für einen Umgang mit dem eigenen Körper, der liebevoll ist, der gewinnt Selbstvertrauen in die eigene Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen – ein Erfolgserlebnis, das sich mit jeder Wiederholung verfestigt.
Headerfoto: Ron Lach (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!