Versagen, der Motor meines dunkelsten Gedankenkarussells

Ich war mir mit jedem Tag sicherer, dass es so kommen würde, aber als zweieinhalb Wochen nach dem Bewerbungsgespräch die Absage kam, hat mich das trotzdem getroffen… wie ein sehr herber Schlag in die Fresse. Gelinde gesagt. Ich hatte versagt.

Ich weiß, diese eine Absage sagt nichts über meinen Wert aus. Sagt nichts darüber aus, was ich kann. Und ich sollte stolz sein, dass ich es bis dahin geschafft hab. Aber wieso zur Hölle fühlt es sich dann nicht so an? Wieso fühlt es sich so an, als hätte mich das „es tut mir leid, wir können dir leider kein Angebot machen“ geradewegs vom Rand einer Klippe gestoßen?

Und jetzt, im freien Fall, verzweifelt nach Halt suchend, frage ich mich, was zur Hölle ich eigentlich kann. Wer ich eigentlich bin und wieso ich es nicht schaffe, etwas zu erreichen.

Leben in einer leistungsorientierten Gesellschaft

Theoretisch weiß ich ja, dass mein Wert nicht über Checkpoints auf der Karriereleiter definiert wird. Ich weiß ja, dass unsere selbstoptimierungsorientierte und kapitalistische Gesellschaft mir genau das Tag für Tag nur einreden will. Ich weiß ja, dass ich nicht erst dann ein ‚guter Mensch‘ bin, wenn ich produktiv bin – und trotzdem kann ich diese Gefühle aktuell nicht leugnen. Versagen: „das Geforderte, Erwartete nicht tun, leisten können, nicht erreichen; an etwas scheitern“.

Ich weiß ja, dass ich nicht erst dann ein ‚guter Mensch‘ bin, wenn ich produktiv bin – und trotzdem kann ich diese Gefühle aktuell nicht leugnen.

Ich bin nicht DAS Naturtalent mit DER Stimme oder DER Zeichenkunst. Ich bin nicht DIE Vorzeigestudentin mit klarer Zukunftsvision. Ich bin nicht DER krasse Entrepreneur von morgen mit einmaliger Geschäftsidee. Ich bin von allem ein bisschen, aber eben nie mehr als Durchschnitt.

Wieso wissen so viele Menschen schon früh, was ihre Bestimmung ist und ich wate hier mit verbundenen Augen durch ein Meer aus kurzfristigen Ideen und Geistesblitzen? Ein Meer aus Projekten, die niemals als mehr angesehen werden.

Wieso wissen so viele Menschen schon früh, was ihre Bestimmung ist und ich wate hier mit verbundenen Augen durch ein Meer aus kurzfristigen Ideen und Geistesblitzen?

Ich hätte so gern diese eine Sache in meinem Leben, in der ich gut bin, an der ich festhalten kann. Diese eine Sache, die eben auch von anderen gesehen wird. Belächelt zu werden ist so. verdammt. ermüdend. Voller Elan ein neues Projekt zu starten, um resigniert festzustellen, dass es absolut niemanden interessiert, tut weh. Immer und immer wieder scheitern tut weh.

Obwohl ich theoretisch ja weiß, dass ich die Sachen für mich und nicht für andere machen sollte. Aber KANN etwas überhaupt einen Wert haben, wenn es von NIEMANDEM gesehen wird?

Von Werten und Sinnkrisen

Sinneskrise aufgrund einer einzigen Absage? – here I am. Das Gedankenkarussell dreht sich und dreht sich. Wie ein Motor feuert mein Versagen dieses Gedankenkarussell an, bis es sich schließlich verselbstständigt. Ich kann kaum klar denken und mir ist scheiße schwindelig. Ich versuche dagegen anzukämpfen, aber dieser Kampf ist hart.

Ich spüre, wie der dunkle, wachsende Selbstzweifel mich mehr und mehr auffrisst und ich bin ehrlich, eigentlich will ich nachgeben. Will die Glühbirne des letzten Nebel durchbrechenden Leuchtturms einfach rausdrehen. Will nichts sehnlicher, als mich dem bequemen Bett aus Selbstmitleid hinzugeben – aber trotzdem kämpfe ich irgendwie weiter.

Ich will nichts sehnlicher als mich dem bequemen Bett aus Selbstmitleid hinzugeben – aber trotzdem kämpfe ich weiter.

MEIN WERT IST NICHT ABHÄNGIG VON MEINER PRODUKTIVITÄT ODER MEINEM ERFOLG. – Wenn ich das Ganze noch ein paar Tausend mal aufschreibe, glaube ich es bestimmt. Vielleicht sollte ich es mir auch tätowieren lassen. Wer weiß, wie viel Wahrheit auch in ‚fake it till you make it‘ stecken mag, aber was anderes bleibt mir wohl sowieso erstmal nicht übrig.

Versagen: „das Geforderte, Erwartete nicht tun, leisten können, nicht erreichen; an etwas scheitern“. Wer zur Hölle bestimmt überhaupt, was scheitern bedeutet? Oder wann wir an etwas gescheitert sind? Bin ich wirklich daran gescheitert, den frühen Bus zu kriegen oder hab ich mir damit die Möglichkeit eröffnet, bei schönem Wetter zu Fuß zu gehen?

Bin ich wirklich an der Vollendung meines Studiums gescheitert oder hat es mir überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, zu lernen, was ich nicht will im Leben? – alles eine Art der Betrachtung. Ich weiß, wie schwer es ist, die Dinge so zu sehen. Gerade in Zeiten, in denen das Gedankenkarussell mal wieder auf Hochtouren läuft. Aber es lohnt sich, die Medaille mal umzudrehen… auch wenn es ein Kampf ist.

Außerdem weiß ich inzwischen, dass ich damit nicht alleine bin.

Ich kämpfe diesen Kampf – jeden Tag. Mal mehr, mal weniger erfolgreich. Und das ist okay. Es gibt gute Tage und es gibt besch*ssene Tage. Außerdem weiß ich inzwischen, dass ich damit nicht alleine bin. Dass da draußen sehr viele Menschen genau den gleichen Kampf kämpfen. Auch wenn sich das manchmal nicht so anfühlt.

 

Lisa Bumble beschäftigt sich gern mit allem worüber niemand so richtig reden mag. Sex während der Menstruation, die Bedeutung der Schwanzlänge, Schönheitsideale von Vulven,… All das was tabu ist halt. Als Scannerpersönlichkeit hat sie eine absurde Vielzahl von Interessen und versucht damit immernoch jeden Tag aufs Neue ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Ach und außerdem dreht sie Pornos. Mehr über sie erfahrt Ihr auf ihrem Instagram-Profil.

Headerfoto: RF._.studio (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

 

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