Als ich mich fremdverliebte, oder nennen wir es fremdverknallte, war das rückblickend eigentlich eine relativ vorhersehbare Sache. Aber was heißt das eigentlich: Fremdverknallt sein? In meinem Fall, dass ich mich in einer monogamen Hetero-Beziehung befand, als plötzlich mein Bauch wegen jemand anderem zu ziepen begann.
Wir kannten uns vom Sehen aus der Uni. Ich wusste, dass er sehr musikalisch ist und da ich in dieser Hinsicht Anschluss suchte, schrieb ich ihm. Es sollte ganz harmlos sein. Ein Austausch über das Musik machen und eventuell der Versuch, diesbezüglich mal gemeinsam etwas zu starten.
Plötzlich klopfte mein Herz für einen Anderen
Dass ich ihn eigentlich schon vor der ersten Nachricht ziemlich interessant und anziehend fand, war mir zwar bewusst, aber da auch er sich in einer Beziehung befand, kam es mir gar nicht in den Sinn, dass unser Kontakt mehr mit sich bringen würde als netten Schnack.
Zuerst wollte ich es mir nicht eingestehen. Habe mir gesagt, dass das einfach zur Anfangseuphorie einer jeden neuen Freundschaft gehört. Dachte, ich würde diese aufgrund meiner Hochsensibilität einfach nur als besonders stark empfinden.
Und auch als ich meinem Freund davon erzählte, wie viel ich an diesen neuen Menschen – den Anderen – denken musste, blieb dieser entspannt. Als gänzlich uneifersüchtige Person freute er sich viel eher mit mir, dass ich einen neuen Kontakt geknüpft hatte und mich mit der betreffenden Person so gut zu verstehen schien. So weit, so gut.
Spoiler: Es blieb nicht bei einer anfänglichen Euphorie.
Zuerst wollte ich es mir nicht eingestehen. Habe mir gesagt, dass das einfach zur Anfangseuphorie einer jeden neuen Freundschaft gehört.
Mit der Zeit schielte ich immer häufiger auf mein Handy, um dann freudig in mich hinein zu grinsen, sobald eine Nachricht von dem Anderen aufblinkte. Vor unserem ersten Treffen lag mein Anspannungslevel bei 10/10. Ich fühlte mich wie vor einem ersten Date und hatte Angst davor, ihm zu begegnen. Irgendwie spürte ich, dass dieses Treffen bei positivem Ausgang verheerende Folgen haben könnte.
Der Worst Case trat ein: Es war besonders schön. Ursprünglich war geplant, sich für einen kurzen Zeitraum am Nachmittag zu treffen. Allerdings zog sich das Ganze dann immer mehr in die Länge und endete damit, dass wir neun Stunden später mitten in der Nacht auf seinem Bett lagen, Musik hörten und über Gott und die Welt redeten.
Obwohl wir zuvor noch nie Zeit miteinander verbracht hatten, fühlte sich alles sehr vertraut an. Und als wir irgendwann am Fenster standen und auf die Straße hinabschauten, musterte ich sein Profil im Halbdunkel und wusste, dass es auf eine Art um mich geschehen war.
Wo beginnt (emotionaler) Betrug?
Von da an sahen wir uns plötzlich mehrmals die Woche. Schrieben uns nach wie vor von morgens bis abends und jede freie Minute wurde genutzt, um den anderen kurz „spontan“ in der Stadt zu treffen. Da mein Freund zu dieser Zeit in Arbeit versank, schien er sogar froh über meine „neuste Freizeitbeschäftigung“ zu sein, weil er sich dadurch ohne schlechtes Gewissen anderen Dingen widmen konnte und meine Aufmerksamkeit nicht ungeteilt auf ihm lag.
So lief das Ganze einige Wochen sehr intensiv vor sich hin. Zudem ging die Beziehung des Anderen in die Brüche und natürlich war ich immer da – zum Reden und Trösten, versteht sich. Ich bekämpfte unterdessen weiterhin mein Bauchgefühl und meine innere Stimme, die mittlerweile in einen Sirenen-Modus übergangen waren und verzweifelt versuchten, mir zu vermitteln, dass ich mich emotional in gefährliches Terrain begab.
Nach einem weiteren Wochenende, an dem der Andere und ich von morgens bis abends den Tag mit seinen vielen Stunden geteilt hatten, fasste ich all meinen Mut zusammen und fragte ihn, was da gerade eigentlich zwischen uns beiden abging. Heimlich hoffte ich darauf, dass ich mir alles nur eingebildet hatte und er sagen würde, dass ich fantasiere, aber dem war nicht so. Er bestätigte mein Bauchgefühl und meine Vermutung, dass bei uns mehr in der Luft lag, als es bei rein platonischen Freundschaften in der Regel der Fall ist.
Für mich brach eine Welt zusammen. Viele Menschen würden das Betrügen als etwas definieren, das vor allem mit Körperlichkeit in Verbindung steht. Doch mir reichte schon das Wissen darum, wie viel ich an den Anderen dachte und mir wünschte, ihn bei mir zu haben. Das Wissen darüber, wie schwer es mir fiel, diese körperliche Grenze nicht zu überschreiten. Zwar wusste mein Freund bis dato von dem intensiven Kontakt und hatte auch nichts dagegen, dennoch fühlte sich das alles einfach falsch an.
Die mangelnde Eifersucht meines Freundes
Meiner Vorstellung von Beziehung nach stand wiederum meine Beziehung, jetzt wo die Situation sich so zugespitzt hatte, absolut auf der Kippe. Ich rechnete mit dramatischen Gesprächen mit meinem Freund, der mir letztendlich doch sagen würde, dass ich mich zu entscheiden habe. Ich stellte mir vor, wie er sich die Haare raufen und schmerzlich rufen würde: „Was soll das? Wie soll ich dir jemals wieder vertrauen? Mir war nicht bewusst, welche Dimensionen euer Kontakt angenommen hat! WARUM TUST DU MIR DAS AN???“
Vielleicht habe ich in jungen Jahren zu viele Romcoms geguckt, ja. Solche, in denen die Protagonist:innen quasi schon am Ende ihrer Eifersuchts-Toleranzgrenze angekommen sind, sobald ihr:e Partner:in nur zu nah an einer anderen Figur der jeweiligen Begierde vorbeigeht.
Also Reality Check: Die geschilderte Szene zwischen meinem Freund und mir fand so nicht statt. Zwar war ich durchaus ein dramatisches Häufchen Elend, doch mein Freund sah mich in dem Moment einfach nur ganz ruhig an und sagte: „Tja. Dann müsst ihr beide jetzt wohl mal schauen, wie ihr das zusammen hinbekommt, ohne emotional durchzudrehen.“
Plötzlich führten wir Gespräche über eine offene Beziehung, die ich nicht kommen gesehen hatte und wofür ich mich eigentlich auch nicht bereit fühlte.
Und auch, wenn ich froh war, dass bei dem Gespräch keine Teller durch die Luft flogen, war ich gleichzeitig auch irritiert von dieser Reaktion. Sehr sogar. Wie konnte ein Mensch so uneifersüchtig sein? Bedeutete das im Umkehrschluss, dass er mich eigentlich gar nicht richtig liebte? Was diese mangelnde Eifersucht meines Freundes und sein zeitweiliges Vermitteln einer gewissen Gleichgültigkeit in unserer Beziehung auslöste, ist eine andere Geschichte.
Bei dem Anderen und mir wiederum herrschte nach wie vor großes Emotions-Chaos. Wir waren beide überfordert damit, keine Sanktionen von außen erteilt zu bekommen. Da mein Freund neben seinen schwach ausgeprägten Besitzansprüchen zusätzlich auch noch ein sehr körperlicher Mensch ist, sprach er sich sogar offen dafür aus, dass ich dem Anderen auch in dieser Hinsicht nahekommen dürfe, wenn ich das gerne wollte und für wichtig befand.
Bis zu diesem Zeitpunkt war mir nicht klar, wie unterschiedlich unsere Ausgangspunkte und Auffassungen einer Beziehung waren. Plötzlich führten wir Gespräche über eine offene Beziehung, die ich nicht kommen gesehen hatte und wofür ich mich eigentlich auch nicht bereit fühlte. Alles war durcheinander. Der Andere wiederum wollte sich auf keinen Fall in eine laufende Beziehung einmischen und hatte ganz offiziell ja auch noch seine frische Trennung zu verarbeiten. Klar war: So konnte es nicht weitergehen!
Kontaktabbruch, Liebeskummer und klärende Gespräche
Es begann eine Zeit, die von Kontaktabbrüchen und dem wiederholten Aufheben dieser geprägt war. Ich hoffte, dass wir es früher oder später schaffen würden, uns als normale Freunde begegnen zu können. Doch im Endeffekt mussten wir regelmäßig feststellen, dass wir uns nach wie vor ein bisschen mehr als das mochten.
Nach einiger Zeit zog er in eine andere Stadt, was unsere Kommunikation wieder aufs reine Schreiben zurückwarf und dafür sorgte, dass immer mehr Missverständnisse aufkamen. Zeitweise fühlte ich mich, als würde ich zwei Beziehungen führen, nur dass in der einen körperlich nichts lief. Als mit den Wochen und Monaten immer klarer wurde, dass sich an unserer Situation nichts ändern würde, verringerte sich auch unser Kontakt.
Die Folge: Liebeskummer wegen eines Mannes, der eigentlich gar nicht mein Freund war.
Es kam mir ein bisschen so vor, als hätten wir Schluss gemacht. Die Folge: Liebeskummer wegen eines Mannes, der eigentlich gar nicht mein Freund war. Ein Gefühl, das ich lange mit mir umhertrug. Zeitgleich reflektierten mein Freund und ich, welche Auslöser und Probleme in erster Linie dazu führen konnten, dass mir der Andere so leicht, so schöne braungrüne Augen machen konnte. Aufwühlend war das.
Mittlerweile ist über ein Jahr seit Beginn dieser Geschichte vergangen. Und manchmal gab es Tage, da habe ich ihn sehr vermisst. Den Anderen. Glaubte zumindest, das zu tun. Manchmal fragen wir kurz nach, wie es so geht. Und dann merke ich jedes Mal ein bisschen mehr, dass das alles nicht mehr so weh tut wie einst.
Dass ich gewachsen bin und trotz all des Trubeles, den das Ganze damals verursachte, dennoch dankbar dafür bin, ihn durchlebt zu haben.
Headerfoto: Humphrey Muleba via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!