Über ungefragte Komplimente und Kommentare zu meinem Körper

Triggerwarnung: In diesem Text schreibt die Autorin von ihren Erfahrungen mit Gewichtsverlust und Body Shaming. Sollten diese Themen für dich triggernd sein, möchten wir dich bitten, den Text nicht – oder nicht alleine – zu lesen. 


Anfang Zwanzig befand ich mich in einer Krise: Ich fand mich zu dick. Penibel habe ich auf meine Kohlenhydratzufuhr geachtet und Süßigkeiten gemieden, bis auf ein paar magische Tage alle vier bis sechs Wochen, in denen die Gesetze der Schwerkraft, der Thermodynamik, der Quantenphysik und alle anderen Regeln und Gesetzmäßigkeiten außer Kraft waren und ich alles an Kalorien in mich hinein befördert habe, was nicht bei drei auf’m Baum war.

Mein Leben hat zu dem Zeitpunkt nicht so viel Spaß gemacht. 

Mein Leben hat zu dem Zeitpunkt nicht so viel Spaß gemacht und ich habe ständig darauf geachtet, dass sich mein Brustbein auch schön abzeichnete und die Rippen sichtbar waren. 

(Ungebetene) Komplimente 

Zu dem Zeitpunkt sagte die Mutter meines damaligen Freundes irgendwann mal beim Frühstück zu mir: „Sag mal, du wirst ja immer dünner!“ An den genauen Wortlaut erinnere ich mich nicht, aber das war so die Quintessenz, und ich weiß, dass ich beschämt zur Seite geguckt habe und etwas gemurmelt habe, das klang wie: „Ahm, rmpf, mmmmhahaaa“. Und er zog die Stirn kraus und sagte: „Wie geht man mit Komplimenten um?“ Und ich erwiderte, trotzig und mit rollenden Augen: „Danke.“

Es war nicht böse gemeint, weder von ihr, noch von ihm. 

Es war irgendwie lustig und auch nicht böse gemeint, weder von ihr, noch von ihm.  Nur ist das einfach für mich ein Paradebeispiel dafür, dass man mit gutem Willen großen Schaden anrichten kann. Erst jetzt, Jahre später, wurden mir zwei Punkte klar, die an diesem Dialog absolut schädigend waren: 1.Wer bist du, mir zu sagen, was ich als Kompliment empfinden soll und was nicht und
2. Wer bist du, mir zu sagen, wie ich damit umzugehen habe?

Eingriffe in die Intimsphäre 

Hier geht es mir also um zwei brisante Themengebiete: Wie es sich anfühlt, wenn andere Menschen Entscheidungen für einen treffen und wie es sich anfühlt, wenn andere den eigenen Körper ungefragt kommentieren. Beides sind für mich Eingriffe in die Intimsphäre, und zeigen mal wieder auf, dass man kein schlechter Mensch sein muss oder es sich gleich um Extreme handeln muss, damit andere sich klein und überwältigt fühlen. 

Man muss kein schlechter Mensch sein, damit andere sich klein und überwältigt fühlen.

Erinnert wurde ich an die Situation dadurch, dass ich im vergangenen Jahr wieder ein bisschen Gewicht verloren hatte. Ich hatte zuvor viel Zeit und Achtsamkeit in mein Innerstes gesteckt und großen Aufwand betrieben, den Scherbenhaufen meiner Seele wieder einigermaßen zusammenzukehren und die größten Bruchstücke aneinanderzukleben. Und dadurch mein Äußeres vergessen und, dass zu einem gesunden und ausgewogenen Selbst eben auch Körperarbeit gehört. 

Wichtig: Das Ausmaß dieser Körperarbeit bestimmt jeder für sich. Für den einen sind es zwei Workouts am Tag, für die 20 Minuten Spazierengehen in der Woche. Oder eben nur Reis und Brokkoli oder zwei Tafeln Schokolade am Tag- und alle Grauzonen dazwischen! Was für einen selbst gesund, ausgewogen ist und für einen leistungsfähigen und starken Geist sorgt, entscheide bitte jede:r für sich. Nur für mich habe ich vergessen, mich um meinen Körper zu kümmern und ihm auch mal Nahrungsmittel zuzuführen, die mehr Nährstoffe enthalten als Sauce Hollandaise und Nudeln. 

Schönheitsideale 

Und dann passierte das Unausweichliche: Es fiel anderen auf. Und weil in unserer Gesellschaft schlanke, trainierte Körper das Schönheitsideal sind, ist jeder Körper, der auch einen noch so kleinen Schritt in Richtung dieses Ideals geht, besser als ein Körper, der in die andere Richtung geht. Und ich kann es meinen Mitmenschen, die schlank schöner finden als nicht schlank, nicht verübeln, denn das ist nun mal das, was uns jeden Tag auf allen Kanälen, die wir konsumieren können, präsentiert und eingeimpft wird und Geschmäcker sind halt verschieden, davon abgesehen. 

So kam es also, dass ich Komplimente dafür bekam, dass ich abgenommen hatte. 

So kam es also, dass ich Komplimente dafür bekam, dass ich abgenommen hatte. Das war natürlich nett, aber gleichzeitig steigerte es auch den Druck: Okay, ich gefalle den Leuten jetzt mehr als vorher, also muss ich auf jeden Fall so bleiben oder dünner werden, damit ich in ihrem Ansehen nicht sinke! Was kacke ist, weil ich ursprünglich für mich abgenommen habe.

Und indem andere es kommentieren, machen sie meine Mission zu ihrer Mission, nehmen mir meinen Ansporn weg und ersetzen ihn durch einen neuen, und zwar ihre Wertung. Plötzlich geht es nicht mehr darum, mir zu gefallen, sondern ihnen, und zwar nur dadurch, dass sie etwas gesagt haben. 

Die Körper anderer kommentieren

Es ist halt so, dass der Körper Teil der physischen Welt ist und für andere sichtbar. Aber das heißt nicht, dass er damit automatisch deren Eigentum wird, oder sich als Gegenstand einer Diskussion zur Verfügung stellt, einfach weil er da ist. Und da geht es um alles, Körperformen, Körperschmuck- ich erinnere mich lebhaft an alle Trottel, die meinten, wenn man nicht wolle, dass andere Fragen über Tattoos stellen, dann sollte man sich halt nicht tätowieren lassen oder sie verstecken. Aber ist die logische Konsequenz, wenn ich nicht will, dass andere meine Optik besprechen, dass ich mich dann anpasse und gewisse Dinge nicht tue, weil ich nicht will, dass darüber gewertet wird? Oder sollte man nicht viel mehr die Menschen lehren, ihre Augen bei sich zu haben und ein bisschen sensibler zu werden, wenn es darum geht, andere zu kommentieren?

Ich nehme mich da doch nicht aus.

Wir alle werten, aber wir können darüber verfügen, ob wir andere daran teilhaben lassen, was in unseren Köpfen vor sich geht.

Klar schaue ich mir auch andere Menschen und im Sommer gerade Frauenkörper an und kann mich auch nicht davon freisprechen, dass ich manchmal neidisch oder missgünstig bin und mir denke, wenn man so aussieht, kann man keine ernsten Probleme haben. Wir sind alle nur Menschen und wir alle werten, aber wir können darüber verfügen, ob wir andere daran teilhaben lassen, was in unseren schmutzigen, kleinen Köpfen vor sich geht, oder nicht.

Komplimente können auch positives Feedback sein 

Es kommt halt auch immer drauf an. Manchmal ist ein Kompliment so aufrichtig und so präzise platziert, dass es hilfreich sein kann und jeder freut sich natürlich über positives Feedback. Ich möchte die Komplimentekultur an sich auch überhaupt nicht verteufeln. So wie Kritik helfen kann, sich im Kontakt mit anderen zu verorten, können auch positive Äußerungen helfen zu sehen, wie man bei dem anderen gerade steht.

Positive Äußerungen können auch helfen, zu sehen, wie man bei dem anderen gerade steht.

Worum es mir geht ist, jeder Person die Freiheit zu lassen, selbst zu entscheiden, wie sie bestimmte Meinungen und Aussagen interpretiert und wie sie damit umgeht. Ich hatte vor vielen, vielen Jahren ein paar Reitstunden und da ist es mir ständig passiert, dass, sobald ich positive Rückmeldung bekommen hatte, so sehr verkrampfte, dass ich in dem Augenblick versagte. Das ist aber mein eigenes Lernfeld, das Annehmen von positiven Rückmeldungen, da ich schnell dazu neige, sie herunterzuspielen und mich wieder abzuwerten. 

Feedback, ja bitte – aber nur, wenn gewünscht

Für mich sind Komplimente, eben weil ich so wenig von mir überzeugt bin, und weil ich nur schwer glauben kann, dass ich etwas gut mache, häufig große Herausforderungen und darum wünsche ich mir für mich, dass es mir möglich gemacht wird, mein Ding durchzuziehen, ohne dass es kommentiert wird. Oder erst, wenn ich bereit dafür bin, denn klar wünsche auch ich mir ein Feedback. Vielleicht sollten wir dieses einfach mehr einfordern und weniger darauf warten, dass andere etwas sagen? Vielleicht hilft es, sich Rückmeldung zu wünschen, statt sie zu unpassenden Momenten ungefragt ins Gesicht geklatscht zu bekommen wie Dickpicks und sich dann auch noch dankbar zu zeigen.
Danke, dass du mich dieser Situation ausgesetzt hast, in der ich mich unwohl fühle und die ich nicht handhaben kann. 

Vielleicht schaffen wir es, andere nur zu kommentieren, wenn wir uns wirklich sicher sind, dass es auch angebracht ist. 

Vielleicht schaffen wir es alle, ein bisschen mehr bei uns zu sein und andere nur zu kommentieren, wenn wir uns wirklich sicher sind, dass es auch angebracht ist und einfach ein bisschen weniger unsere Maßstäbe und Deutungen von Aussagen an andere anlegen. Dann wären viele Menschen vielleicht ein bisschen mehr sie selbst und das wäre doch schön. 

 

Den Text findet ihr in voller Länge auf Franzis Blog.

Franzi hat sich als Introvert schon früh der Beobachtung der Menschen verschrieben und bezieht die größte Inspiration aus dem Miteinander. Vor ihrem „Therapeutenblick“ ist niemand gefeit- so schreckt sie nicht zurück vor den Höhen und Tiefen des menschlichen Geistes. Erst recht nicht vor den eigenen und so teilt sie Gedanken, Sorgen, Ängste, filterlos und mit einer Prise Sarkasmus. Mehr von Franzi gibt es auf ihrem Blog und auf Instagram

Headerfoto: Antoni Schkraba (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

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