Wir lernten uns online kennen. Es war die Zeit, in der man das Internet entdeckte. ICQ, Knuddels und MySpace. Wir waren Chatfreunde, telefonierten ab und zu und irgendwann kamst du mich mit deinem Freund besuchen und dann BÄM! Verliebt! Am ersten Abend gingen wir nachts spazieren. Wir legten uns auf die Straße und beobachteten den Sternenhimmel und küssten uns immer wieder. Am Tag der Abreise fragtest du, ob wir jetzt zusammen seien.
Es folgten fünf Jahre Fernbeziehung, bis wir zusammen in meine Heimat zogen. Du warst mein erster fester Freund, mein erster Sex, mein erster Lebenspartner. Romantische, nächtliche Spaziergänge unterm Sternenhimmel, stundenlanges mit dem Auto rumfahren und Musik hören, Liebesbriefe, tränenreiche Abschiede und überglückliche Wiedersehen, gemeinsame Reisen, das Anschaffen gemeinsamer Haustiere, Möbelkaufen, in Unterwäsche durch die Wohnung tanzen, wöchentliches Einkaufen im Supermarkt.
Du warst mein erster fester Freund, mein erster Sex, mein erster Lebenspartner.
Abitur machen, eine Ausbildung abschließen und der erste richtige Job, die erste Kündigung, weil man doch unglücklich im Job war, das erste Gehalt zusammen verprassen, zusammen feiern gehen und sich lustig machen über Typen, die mich anbaggern und dir Drinks mit ausgeben, sich gegenseitig Suppe kochen, wenn man krank ist und die Türen knallen und sich anschreien, weil man wütend aufeinander ist, sich entschuldigen und sich wieder versöhnen.
Das alles haben wir zusammen erlebt. Du warst mein Zuhause, meine Familie.
Tag X
Und dann kam Tag X. Mich plagten schon seit einiger Zeit immer wieder Bauchschmerzen. Ich fühlte mich schlecht und matt. Irgendwas stimmte nicht. In der Vergangenheit hatten wir immer wieder wegen einem Thema Streit. Ich wusste, dass es dich sehr belastete, aber ich wusste nicht, wie ich es ändern konnte.
Dann wurdest du etwas distanzierter. Du trafst dich öfter mit Kollegen, hast plötzlich extrem auf dein Äußeres geachtet, dein Handybildschirm war mit einem PIN-Code gesperrt, den ich nicht kannte. Ich fragte dich, ob alles in Ordnung wäre. Ob es etwas gäbe, das ich wissen sollte. Einmal fragte ich sogar direkt, ob du wen anderes hättest. Du sahst mir in die Augen und sagtest entschlossen: Nein.
An Tag X hast du dein Handy zuhause vergessen. Und ich konnte meine Zweifel nicht mehr im Zaum halten und nahm es. Ich öffnete deine Nachrichten und las, wie du dich bei deiner Kollegin entschuldigtest, weil du bei eurem letzten Treffen schlapp gemacht hattest. Mein Herz begann zu rasen und die Luft blieb mir weg. Ihr hattet Sex. Mehr als einmal.
Ich öffnete deine Nachrichten und las, wie du dich bei deiner Kollegin entschuldigtest, weil du bei eurem letzten Treffen schlapp gemacht hattest.
Ich scrollte weiter. Du schriebst mit vielen Mädels. Der Chat mit einer Frau, die du auf einer Weiterbildung kennengelernt hattest, zeigte Nacktbilder von dir und intime Texte in denen stand, dass ich gerade zur Arbeit gegangen war und du dir wünschtest, dass sie jetzt zu dir ins Bett käme.
Als du heimkamst, brach die Hölle los. An diesem Abend beichtetest du mir alles. Es gab noch eine weitere Frau, mit der du dich mehrmals getroffen hattest. In dieser Nacht lag ich weinend in unserem Bett, mein Kopf pochte, weil er das Ausmaß der Dinge nicht begreifen konnte, und ich übergab mich in einer Tour.
Es folgten Tage und Wochen, in denen du weg warst, weil ich dich nicht ertragen konnte. Du fuhrst ein oder zwei Wochen zu deinen Eltern. Ich war wie ferngesteuert. Ich hatte Urlaub, weil ich meinen alten Job gekündigt und einen neuen angenommen hatte, der näher an unserem Wohnort lag, damit wir mehr Zeit zusammen verbringen konnten.
Es folgten Tage und Wochen, in denen du weg warst, weil ich dich nicht ertragen konnte.
Als du zurückkamst, hattest du Blumen dabei. Wir redeten, ich wollte alles genau wissen. Du schienst verzweifelt und sagtest immer wieder, es wäre der Fehler deines Lebens gewesen. Ich wollte dir verzeihen. Ich ertrug den Gedanken nicht, dass zehn Jahre Beziehung ab jetzt vorbei sein sollten. Ich erzählte nur zwei meiner Freundinnen von dem Vorfall. Sonst niemandem.
Ich begann den neuen Job. Ich hasste ihn. Ich kam mit der Chefin und deren Arbeitsweise nicht klar. In meiner Freizeit drehte sich alles nur noch darum, dich nicht zu verlieren. Freunde traf ich nicht mehr, zumal doch eine deiner Gespielinnen plötzlich mit meinem Kumpel zusammen war und ich es nicht ertrug, sie zu sehen. Meinem Hobby ging ich kaum noch nach und beschränkte es auf das nötigste.
Wir unternahmen viel. Ich hatte wie eine Wahnsinnige Sex mit dir. Ständig. Ich gab alles. Irgendwann wollte ich nicht mehr über die Sache reden. In meinem Kopf war alles auf Durchhalten und Überwinden gepolt. Ich wollte nach vorn sehen. Ich las haufenweise Ratgeber und Blogartikel zum Thema. Ich war der Meinung, dein Fremdgehen würde uns stärker machen. Du kauftest ein größeres Auto. Für spätere gemeinsame Kinder.
Ich hatte wie eine Wahnsinnige Sex mit dir. Ständig. Ich gab alles. Du kauftest ein größeres Auto. Für spätere gemeinsame Kinder.
Eines Tages fand ich meine Oma zusammengebrochen in ihrer Küche. Lungenembolie. Sie überlebte nur knapp. Ich brachte sie ins Krankenhaus und besuchte sie danach jeden Tag. Ich hielt die Familie auf dem Laufenden und kümmerte mich um alles.
Und dann begann die Unruhe. Ich konnte mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren. Ich war dauerhaft hibbelig. Mein Herz raste, ich schwitzte, mein Blutdruck schoss in die Höhe. Es wurde alles zu viel. Das Ganze steigerte sich in ständige Panikattacken. Ich hörte nur noch in mich hinein, fürchtete, ernsthaft krank zu sein, doch kein Arzt fand eine körperliche Ursache.
Und dann kam die Verzweiflung und mit ihr die Angst. Angst zu sterben, Angst verrückt zu werden. Ich weinte und weinte. Ich wollte nicht mehr raus gehen, niemanden mehr sehen, geschweige denn irgendwas unternehmen. Ich ließ mich krankschreiben.
Und dann kam die Verzweiflung und mit ihr die Angst. Angst zu sterben, Angst verrückt zu werden. Ich weinte und weinte.
Das Leben wurde zur Qual und einmal erwischte ich mich beim Gedanken daran, wie es wohl wäre, jetzt einfach auf die Straße vor den nächsten Bus zu laufen. Dann wäre es vorbei. Als mir bewusst wurde, was ich da dachte, bekam ich richtig Angst. Angst vor mir selber.
Ich verlor mich in meinen negativen Gedanken. Suchte verzweifelt nach dem Grund für meine Situation und verstrickte mich immer tiefer in meinem Selbsthass. Ich zerfleischte mich, meine Vergangenheit, meine Familie.
Irgendwann war ich so verzweifelt, dass ich mir professionelle Hilfe suchte. Ein Schritt, über den ich bis heute sehr glücklich bin. Zusammen mit meiner Therapeutin besprach ich alle Themen, die meiner Meinung nach schuld an meinen unerträglichen Leben waren. Es gab wirklich einige Sachen in meinem Leben, die mich zutiefst verunsichert hatten und für die ich keine richtige Erklärung hatte. Das mit dir war allerdings keins dieser Themen.
Sie hörte sich meine Geschichte an. Es war neu für mich, dass jemand mich und meine Sorgen ernst nahm und mir half, mich damit auseinanderzusetzen. Zuvor war mein Leben geprägt von „das Leben ist halt hart, du musst einfach die Zähne zusammen beißen“.
Es war neu für mich, dass jemand mich und meine Sorgen ernst nahm und mir half, mich damit auseinanderzusetzen.
Nach und nach konnte ich einiges für mich klären, hatte Aussprachen mit meiner Familie und viele Gefühlsausbrüche. Du warst an meiner Seite. Ich kam besser mit den Panikattacken klar. Kündigte meinen verhassten Job und fand einen neuen. Aber trotz allem lief ich herum wie ein geprügelter Hund.
Irgendwann kam mir die Idee, neu anzufangen. Natürlich mit dir an meiner Seite. Ich erzählte dir von meinem Plan. Und du bist ausgerastet. Du warfst mir vor, ich würde dein Leben und alles, was du dir hier aufgebaut hattest, zerstören.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich wollte doch nur in die nächste Stadt mit dir ziehen. Weg von meiner Familie und den alten Freunden. Klar hätte das eine kleinere Wohnung bedeutet und vielleicht ein paar andere materielle Einbußen, aber die Hauptsache war doch, wir konnten von vorn anfangen. Ohne den Schatten der Vergangenheit, der verursachte, dass ich allen verheimlichte, was uns geschehen war und mich deswegen von allen fernhielt.
Eines Nachts träumte ich mal wieder schlecht. Seit deinem Betrug hatte ich ständig Albträume. Oft schriest du mich im Traum an und ich konnte nie etwas dazu sagen, weil ich keine Stimme hatte. Diesmal träumte ich, dass du mich wieder betrogen hattest. Wir saßen im Garten mit unseren Freunden und ich versuchte, alles irgendwie zu erklären, aber du sagtest nichts und schautest einfach nur zu, so als ob dich die ganze Sache nicht betreffen würde.
Durchatmen
Als ich aufwachte, fühlte ich mich wie vom Blitz getroffen. Ich kann das nicht mehr! Auf dem Weg zur Arbeit weinte ich. Im Büro weinte ich auf dem Klo und die Pause verbrachte ich heulend im Park. Ich konnte kaum laufen. Meine Beine fühlten sich an, als ob ich bei jedem Schritt zusammenbrechen würde. Ich rief dich an und fragte, wann du nach Hause kommen würdest. Dann sagte ich meiner Chefin, ich fühlte mich krank und fuhr nachhause. Ich wartete auf dem Sofa auf dich. Am nächsten Tag wollten wir beide für ein langes Wochenende an die Ostsee fahren.
Als du den Raum betratst, fragtest du sofort, was los sei. „Ich kann das nicht mehr. Ich will mich trennen!“, sagte ich. Sofort wurdest du wütend. Du schriest mir entgegen, dass du gerade den Ring geholt hattest und mir an der Ostsee einen Antrag machen wolltest. „Ich kann nicht, es tut mir leid“, sagte ich. Du weintest. Dann bist du aus der Wohnung gestürmt und ich lief weinend nach draußen. Ich war fix und fertig und doch hatte ich das erste Mal seit zwei Jahren das Gefühl, wieder atmen zu können.
Ich war fix und fertig und doch hatte ich das erste Mal seit zwei Jahren das Gefühl, wieder atmen zu können.
Am Abend erzählte ich endlich meinen Eltern, was vor zwei Jahren passiert war und später auch meinen Freunden. Alle waren schockiert und doch froh, endlich zu wissen, was mit mir los war.
Einen Monat später bist du ausgezogen. Für dich kam das alles so unvorhergesehen, sagtest du. Du wolltest mich heiraten und eine Familie mit mir gründen, sagtest du.
Nach 3 Monaten hattest du eine neue Freundin.
Kein Happy End
Ich würde jetzt gern schreiben, wie toll mein Leben heute, fünf Jahre später, ist. Dass ich meine wahre große Liebe gefunden habe und glücklich bis an mein Lebensende sein werde oder dass ich völlig im Einklang mit mir selbst lebe und dauerglücklich bin. Doch dem ist leider nicht so. Kein typisches Happy End à la Hollywood. Aber ich bin wieder ich. Ich spüre wieder etwas. Ich kann wieder lachen und bin hoffnungsvoll. Ich lebe!
Kein typisches Happy End à la Hollywood. Aber ich bin wieder ich. Ich spüre wieder etwas.
Nach einer gewissen Erholungszeit stürzte ich mich ins Leben. Ich lernte neue Leute kennen, fuhr allein in den Urlaub, renovierte meine Wohnung, begann eine Weiterbildung. Ich verliebte mich und mein Herz wurde erneut gebrochen. Ich brach selbst Herzen. Ich hatte Affären und Beziehungsversuche. Ich tinderte wie wild und verfluchte die App. Ich feierte. Ich schwamm um Mitternacht im Meer und bestaunte die Sterne. Ich ritt auf einem Pferd durch die isländische Landschaft. Ich unternahm eine Kanutour mit Fremden und starb danach beinahe an meinem Muskelkater.
Ich darf jetzt Menschen ausbilden. Ich entwickelte mich beruflich weiter. Ich sagte meine Meinung und stand für mich ein. Ich stritt mich und vertrug mich. Ich war allein und genoss es manchmal. Ich war allein und fühlte mich einsam. Ich hatte Liebeskummer. Ich hatte Angst, den Anschluss zu verpassen und niemanden mehr zu finden. Ich hatte Angst, keine Familie gründen zu können. Ich war unsicher, ob ich das überhaupt will. Ich verlor meine Katze und fand sie wieder. Ich bat Freunde um Hilfe und bekam sie. Ich baute Mist und bereute es.
Ich war allein und genoss es manchmal. Ich war allein und fühlte mich einsam.
Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht, aber ich weiß, dass es weitergeht. Und das ist gut und macht mich unglaublich froh! Manchmal bin ich traurig und ängstlich, habe Zweifel und Sorgen, aber dann kommen diese kleinen Momente. Am Anfang waren sie winzig und kurz, nach und nach werden sie immer größer und länger. Momente, in denen ich glücklich bin.
Der Betrug war eine riesige Sache für mich. Er hat mich in den Dreck geworfen und immer wieder nachgetreten. Mein Leben wurde zur dunklen Nacht. Doch wie heißt es so schön: Nur im Dunkeln kann man die Sterne sehen. Und irgendwann dämmerte der Morgen.
Headerbild: cottonbro (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!
So schön.
Vielleicht ist es für dich kein Happy End, aber es klingt, als hättest du wieder zu dir selbst gefunden und vieles erlebt, was dir möglicherweise sonst verborgen geblieben wäre.
Auf jeden Fall war das eine viel bessere Entscheidung, als einen Mann zu heiraten, dem man nie wieder vertrauen und durch den man sich selbst nicht mehr respektieren kann!
Alles Gute 🙂
So ein ehrlicher und purer Text…der geht ans Herz!