Wir sitzen zu viert an einem Tisch in einem kleinen und eleganten Restaurant. Es ist Samstagabend. Genau so stelle ich mir den Samstagabend eines erwachsenen Pärchens vor. Sich mit einem zweiten Pärchen treffen, essen und reden. Reden über die Belanglosigkeiten des Alltags – über den Job, den Kredit für das Auto und die Eigentumswohnung, die Steuern, die Politik und über Pläne bezüglich einer Hochzeit und Kindern.
Nicht über das glücklich sein, nicht über das Genießen des Moments. Der Gedanke, dass solche Abende jetzt zu meinem Programm gehören, eben weil ich Teil eines erwachsenen Pärchens bin, kommt überraschend und er ist mir nicht unbedingt willkommen. Immerhin hat mir mein Partner heute einen Abend mit seinen langweiligen Arbeitskollegen erspart.
Wir trinken Wein, gar nicht mal so wenig Wein, und langsam finde ich den Abend sogar recht amüsant. Auch wenn mein Partner das Essen organisiert hat, sitzen wir eigentlich gegenüber von einem alten Freund von mir. Er und mein Freund haben sich wohl auf meiner letzten Geburtstagsfeier unterhalten und beschlossen, sich mal zusammen mit ihren Freundinnen zu treffen.
Ich schaue in die Augen von Simon. Sein Blick ist klar und das Licht der Lampen im Restaurant spiegelt sich in seiner Brille. Er sieht eigentlich noch aus wie früher, wie der schüchterne und zurückhaltende Junge, den ich früher kannte. Ich mag Simon sehr. Er ist so ein Mensch, der sich anpasst, bei dem man aber immer das Gefühl hat, es stecke mehr dahinter.
Seine Freundin ist bildhübsch. Ich lächle, Simon verdient eine Freundin wie sie.
Seine Freundin ist bildhübsch. Sie hat eine natürliche Art, wirkt selbstbewusst und auf sympathische Art und Weise ein bisschen durchgeknallt. Ich lächle, Simon verdient eine Freundin wie sie. Simon bemerkt mein Lächeln und schaut mich fragend an. Ich spüre unsere Vertrautheit, sie ist verblasst, aber noch da. Wir beginnen, parallel zu meinem Freund und seiner Freundin ein Gespräch.
Erst oberflächlich, dann immer bedeutender. Er erzählt mir von seinem schwierigen Chef, dem man es irgendwie nie recht machen kann. Von seinem Vater, der wie immer viel von ihm erwartet und von seinem Bruder, der mittlerweile im zwölften Bachelorsemester ist. Ich erinnere mich gut an seinem Vater. Mit 18 Jahren fand ich ihn sehr einschüchternd. Meinen geplanten Studiengang nahm er damals nicht ernst und schaffte es, dass ich während meines gesamten Studiums immer wieder seine Worte im Kopf hatte. „Mit dem, was du studierst, kann man nichts werden.“ Es hat zwei Stipendien, zahlreiche Jobangebote und eine recht erfolgreiche junge Karriere gebraucht, um mich vom Gegenteil zu überzeugen. Ich würde ihm das gerne mal unter die Nase reiben.
Ich verrate ihm auch, dass ich diese berufliche Position unbedingt wahrnehmen möchte. Meinem Freund habe ich das noch nicht anvertraut.
Ich erzähle Simon auch von mir. Davon, dass ich bald vermutlich eine Führungsposition bekommen werde, nachdem ich mich die letzten sechs Jahre gegen meine männlichen Arbeitskollegen durchgesetzt habe. Ich verrate ihm auch, dass ich diese Position unbedingt wahrnehmen möchte. Meinem Freund habe ich das noch nicht anvertraut, ich glaube er erwartet heimlich immer noch, dass ich Kinder bekomme und den Haushalt führe. Obwohl ich ihm schon vor langer Zeit erzählt habe, dass meine Pläne davon abweichen.
Simon sieht mich verständnisvoll an. Ich habe mich noch nie mit diesem altmodischen Rollenbild anfreunden können. Er sieht mich an und zum ersten Mal seit Jahren reden wir wieder wie früher miteinander. Wie früher, als wir spazieren waren und er mir von seiner Planlosigkeit, was seine Zukunft betrifft, erzählt hat. Wie als er mir mit Tränen in den Augen vom Selbstmord seines Großvaters erzählt hat und ich für ihn da war.
Auf meinen Kuss hin hat er sich damals zurückgezogen, dicht gemacht.
Auf meinen Kuss hin hat er sich damals zurückgezogen, dicht gemacht. Ich schwor mir, nie wieder den ersten Schritt zu machen, ohne vollkommen sicher zu sein. Nach meinem Auslandsaufenthalt haben wir neu angefangen, und nie über damals geredet. Ich hätte ihm noch so viel zu sagen gehabt.
Dass ich für ihn da sein möchte und das ganze Jahr, während ich im Ausland war, auf ihn gewartet hätte. Dass er bis heute einer der wenigen Menschen ist, mit dem ich mir eine ernsthafte Beziehung hätte vorstellen können. Stattdessen gab es viele andere, die mir jedoch nichts bedeuteten. Sie gaben mir das Gefühl, ich wäre eine Frau, die niemals in einem vollen und überteuerten Restaurant bei einem Doppeldate, mit einem noch langweiligeren Pärchen, als ich und mein Freund es sind, sitzen würde.
Zum ersten Mal in diesem Jahr war ich traurig, dass sich ein von meinem Partner organisierter Abend dem Ende neigte.
Aufgeschreckt aus meinem Alptraum, der irgendwie Realität geworden war, bezahlten wir unsere Rechnung und verließen das Restaurant. Zum ersten Mal in diesem Jahr war ich traurig, dass sich ein von meinem Partner organisierter Abend dem Ende neigte. Mein Partner lief zu seinem Büro, wo noch sein Auto stand, Simons Freundin nahm sich ein Taxi und Simon und ich beschlossen, nach Hause zu laufen.
Wir gingen schweigend nebeneinander her. Ohne die Menschen im Restaurant war die Stimmung zwischen uns wieder seltsam. Wie damals, als die Sache mit uns zwar vorbei, aber nicht abgeschlossen war. Wie damals wusste ich nicht, was in seinem Kopf vorgeht. An einer Kreuzung verabschiedeten wir uns.
Nach der obligatorischen Umarmung blieb ich nah vor ihm stehen und sah zu ihm hinauf. Er schloss die Augen, atmete tief ein, als müsse er sich zusammenreißen und legte schließlich seine Hand auf meinen Arm.
Ob wir es riskieren würden?
Headerfoto: Stockfoto von JKstock/Shutterstock. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!