Sie können weitergehen, es gibt hier nichts zu sehen, ich bin einfach nur queer

„Schwul“ war in der Jugend unserer Autorin ein Schimpfwort, da passte es ihr gar nicht so gut, dass sie queer ist. Früher wollte sie das alles nicht wahrhaben, heute könnte sie kotzen, wenn ihre Nachbarin sie zu „Heilungszwecken“ in ihre Gebete aufnehmen möchte. Lasst doch Menschen einfach lieben, wen sie wollen.

TW: Queerfeindlichkeit

 

Hallo, mein Name ist Julia und manche würden mich als unnatürlich und abnormal beschreiben.

Ich wusste schon recht früh, dass ich „anders“ bin, nicht der „Norm“ entspreche und hab lang genug probiert, diese Gefühle zu verdrängen und mir einzureden, dass ich nicht so empfinde, wie ich empfinde. Ich hab mir das nicht ausgesucht, auch wenn das manche glauben. Ich bin nicht aus dem Bauch geschlüpft und hab mir gedacht: „Weißt du, was mega wäre? Wenn ich einfach nicht das gleiche Gehalt und die gleichen Jobchancen bekommen würde wie das andere Geschlecht! Lass mal einfach Frau werden! Boah und weißt du, was noch besser wäre? Wenn ich noch dazu aufgrund meiner Sexualität diskriminiert werden würde, lass mal einfach nicht hetero werden!“

Ich studiere zwar Naturwissenschaften, war trotzdem in Biologie schon immer eine Niete, aber so in etwa stell ich mir meine Geburt damals vor. Also ja, ich hab mir das alles ausgesucht. Genauso wie meine Augenfarbe, meine Bauchnabelform und dass ich mit meiner Zunge meinen Ellbogen nicht berühren kann. Es ist ja auch bewiesen, dass je nachdem, mit welchem Bein du morgens aufstehst, du deshalb entweder auf Frauen oder auf Männer stehst.

Wenn ich heute darüber nachdenke, wie „normal“ ich damals sein wollte, könnte ich kotzen.

Die Wahrheit ist, dass ich nie anders sein oder herausstechen wollte, weil ich genau wusste, dass die „Welt“ noch nicht bereit ist. Einfach schlucken, keinen Widerstand leisten, nicht diskutieren. So einfach könnte das Leben sein. Wenn ich heute darüber nachdenke, wie „normal“ ich damals sein wollte, könnte ich kotzen. Denn was ist schon „normal“ und wer definiert das?

Die Welt, in der ich aufwuchs

Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der „schwul“ als Schimpfwort verwendet und Frauen, die Frauen küssen, sexualisiert werden.

In einer Welt, in der du als Frau gefragt wirst, wann du endlich einen Burschen mit nach Hause bringst, zu einer Zeit, in der das das Letzte ist, worüber du nachdenkst. Weil du ja eigentlich noch damit beschäftigt bist, herauszufinden, wen du überhaupt magst, was dir gefällt und wer du eigentlich bist.

In einer Welt, in der dir Medien vermitteln, dass es nur eine Phase ist, in der du experimentieren möchtest. Ich hab nur leider in Chemie gelernt, dass manche Phasen relativ stabil sind und ich langsam die Vermutung habe, dass ich darin stecken geblieben bin und nicht mehr rauskomme.

Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der „schwul“ als Schimpfwort verwendet und Frauen, die Frauen küssen, sexualisiert werden.

In einer Welt, in der ich die Blicke auf meiner Haut spüre, wenn ich Hand in Hand durch die Straßen gehe. Denn an der Hand, an der laut Gesellschaft ein Mann sein sollte, ist gerade eine Frau. Und das ist gegen die Norm. Oder machen wir das doch nur für Aufmerksamkeit? Um die Blicke der Männer auf uns zu lenken, weil wir sie geil machen wollen?

In einer Welt, in der ich zweimal überlegen muss, wie ich mich von meiner Freundin in der Öffentlichkeit verabschiede, um ja nicht unnötig die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, weil wir ja noch alleine mit den Öffis nach Haus fahren müssen.

In einer Welt, in der ich währenddessen meine Umgebung stärker beobachte als meine Freundin, um nicht aufzufallen und mögliche Gefahren so früh es geht zu erkennen. Dabei sollte ich mich doch eigentlich nur auf meine Freundin konzentrieren.

Unsere Welt ist noch immer so, meine Familie zum Glück nicht

Jetzt könnte man meinen, ja okay, das waren andere Zeiten, jetzt wird es ja immer normaler. Ich könnte ja auch schon über 60 sein und mich einfach für mein Alter gut gehalten haben. Damals war das halt so. Ich muss dich leider enttäuschen. Ich bin weit unter 60, manche würden meinen 22 und diese Situationen sind noch immer Alltag in meinem Leben. Okay, das mit der Freundin an der Hand hat sich erledigt, weil ich Single bin, aber alles andere kommt noch immer vor.

Ich habe das Glück, in einer Familie aufgewachsen zu sein, in der mich fast alle so akzeptieren, wie ich bin. Ich hab mich auch nie „geoutet“, weil ich das Konzept davon doof finde. Ich „oute“ mich ja auch nicht als „ich schütte zuerst die Milch ins Müsli“ oder „ich mag keine Oliven“. Ich stand einfach eines Tages mit meiner Freundin in der Tür.

Ich hab mich auch nie „geoutet“, weil ich das Konzept davon doof finde. Ich stand einfach eines Tages mit meiner Freundin in der Tür.

Aber trotzdem war das Konzept, nicht hetero zu sein für mich wirklich weit weg. So weit, dass ich, als ich damals auf der Hochzeit der beiden besten Freundinnen meiner Oma war, nicht gemerkt hab, dass da zwei Frauen heiraten. Ich dachte bis lange danach noch, dass die einfach gut befreundet sind und deshalb zusammenwohnen. Irgendwann hat mich dann meine Oma darüber aufgeklärt, dass die zusammen sind und eben nicht nur gute Freundinnen.

Meine Nachbarin und ihre Frauenbibel

Die Gesellschaft ist einfach noch nicht so weit. Mir hat letztens meine Nachbarin, nachdem sie „Leute wie mich“ als abnormal und unnatürlich bezeichnet hat, eine Frauenbibel vor die Tür gelegt und gesagt, dass sie mich in Zukunft in ihre Gebete aufnehmen wird, in der Hoffnung mich zu „heilen“. Aber keine Sorge, sie ist ja nicht homophob, denn sie hat ja schwule Freunde und solange ich keine Frau vor den Kindern küsse oder das irgendwem anderen aufdränge, ist es ja okay. Ich weiß nicht, was sie da jetzt immer in ihre Gebete einbaut, aber ich verspüre seitdem immer einen leichten Kotzreiz, wenn ich in ihrer Nähe bin.

Ich bin ich und ich bin gut so, wie ich bin. Ich bin nämlich auch nur ein Mensch, genauer gesagt ein homo sapiens. Manchmal zwar mehr homo als sapiens, aber prinzipiell auch nur ein Mensch.

Ich bin auch nur ein Mensch, genauer gesagt ein homo sapiens. Manchmal zwar mehr homo als sapiens, aber prinzipiell auch nur ein Mensch.

Ein Mensch, der sich in andere Menschen verliebt, die suche ich mir nicht aus, das passiert einfach. Also warum ist dann meine Liebe deiner Rede wert? Ich lass mich einfach darauf ein und schaue, mit welchem Bein ich morgen aus dem Bett hüpfe. Solltest du auch mal probieren!

Juli ist 22 Jahre alt, queer und nicht gut darin, über Gefühle zu reden, deswegen schreibt sie sie lieber auf. Sie mag Schnitzel mit Marillenmarmelade und ist auf der Suche nach Leuten, die das nicht widerlich finden. Mehr von Juli findest du bei Instagram.

Headerfoto: Polina Tankelevitch (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

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