„Rothaarige sind Nymphomaninnen!“ Wie ein Klischee mein Leben bestimmte

Vor einem Jahr steckte ich in einer Affäre, die mir die Augen öffnete. Ich wurde krank, bekam diese Hautkrankheit, mit der mir mein Körper signalisierte, dass er nicht berührt werden wollte. Nicht so, nicht ohne Gefühle, ohne Liebe, ohne Verbindlichkeit. Ich mochte diesen Mann damals sehr, doch war er nie mehr als der Wahnsinns-Liebhaber bei dem ich jedes Mal kam.

Zur jener Zeit lebte ich einseitig, spielte die sexy Rothaarige und fühlte mich wohl in dieser Rolle, die ich mir ein Stück weit selbst erschaffen hatte, nach Enttäuschung und Ablehnung war sie mein Schutzmechanismus. Ich dachte, ich kann nur das: Sex, Verführung, Leidenschaft. Was ich dabei vergessen habe, ist die andere Seite in mir, die sich nach echter Nähe, Verbundenheit und Liebe sehnte. Ich habe mir meine Emotionen verboten, habe sie betäubt, mit dem Nervenkitzel von ersten Dates, mit Flirts und mit viel Sex. Affäre? Klar! Freundschaft Plus? Unbedingt! ONS? Immer! Hallo Selbstbetrug!

Ich dachte, ich kann nur das: Sex, Verführung, Leidenschaft.

Ich bin dankbar für meinen Körper, der mir zuverlässig (und auf unangenehme Weise) Warnsignale schickt, wenn ich mal wieder mit dem Kopf gegen die Wand renne. Völlig ausgebrannt und kurz vor der nächsten depressiven Episode beendete ich die Affäre also und beschloss, mir endlich therapeutische Hilfe zu suchen. Ich wollte mich besser kennen lernen und mich von all jenen Glaubenssätzen und Rollen befreien, die ich über die Jahre angesammelt und erfüllt hatte.

Über die Zeit lernte ich, dass ich so viel mehr bin, als ein vermeintliches Sexsymbol. Ich ließ meine hochsensible Seite zu, erlaubte mir, meine emotionale Achterbahn zu fahren, ich feierte meine Highs und akzeptierte die Lows. Vor allem aber lernte ich endlich meine Bedürfnisse zu kommunizieren und sie einzufordern. Ich erlaubte mir geliebt zu werden, für den Menschen der ich bin – hinter den roten Haaren, den Sommersprossen und der blassen Haut.

Ich erlaubte mir geliebt zu werden, für den Menschen der ich bin – hinter den roten Haaren, den Sommersprossen und der blassen Haut.

Im Mai war es dann wieder soweit, das Universum schickte mir einen neuen Mann und mit ihm eine große Herausforderung, es stellte mich sozusagen auf die Probe. Wir lernten uns eines Morgens nach einer durchtanzten Nacht auf dem Heimweg kennen. Weil wir quasi Nachbarn waren, teilten wir uns ein Uber. Ich war nüchtern und wie immer High on Emotions – die Endorphine vom Tanzen schwirrten noch durch meinen Körper.

Und auf einmal hast du diesen einen Satz ausgesprochen, den ich schon so oft gehört und immer ein Stück weit abgelehnt habe: „Rothaarige sind Nymphomaninnen!“ – Autsch. Ich wollte schreien „Mag sein, aber nicht nur!“. Ich fühlte mich herausgefordert, dieser Satz triggerte etwas in mir, mein altes Ich fühlte sich geschmeichelt, mein Neues Ich wollte sich gegen diese Behauptung beweisen.

Ich war mitten im Prozess, dieses Vorurteil, das lange Zeit meine Beziehungen bestimmt hatte, loszulassen.

Teufelchen und Engelchen saßen wild diskutierend auf meinen Schultern. Ich wusste nicht, wie ich mich nun verhalten sollte, schließlich war ich mitten im Prozess dieses Vorurteil, das lange Zeit meine Beziehungen bestimmt hatte, loszulassen. Trotzdem fühlte ich mich zu dir hingezogen, deine dominante und selbstsichere Art und ja, auch deine Macho-Attitüde fand ich heiß. Schließlich gab ich dir meine Nummer, mit der Ahnung, dass es eh nur um Sex gehen würde.

Nachdem ich dich zuhause abgesetzt hatte, fühlte ich mich schuldig und schwach. So als hätte ich mich nachts zum Kühlschrank geschlichen und das Stück Schokotorte verschlungen, obwohl ich tagsüber meine gesunde Diät eingehalten hatte. Noch vor ein paar Wochen habe ich mir geschworen, nicht in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, dachte ich hätte es kapiert. Doch was sich Jahre lang manifestiert hat, löst sich nicht nach ein paar Monaten Therapie auf.

Doch was sich Jahre lang manifestiert hat, löst sich nicht nach ein paar Monaten Therapie auf.

Was danach passierte, war eine völlig neue Erfahrung für mich. Ich hatte Dates. Nicht nur erste Dates, die mit Sex oder einer Affäre enden, sondern ein ehrliches Interesse an mir und meiner Persönlichkeit. Weil ich es mir erlaubt habe, weil ich es für mich eingefordert habe, zu meinen Bedingungen. Trotzdem nagten die Selbstzweifel an mir: ich konnte einfach nicht glauben, dass da jemand ist, der sich täglich meldete, der mir Obst und Eis vorbeibrachte, als ich zwei Wochen mit Mandelentzündung das Bett hüten musste.

Doch du warst da, die ganze Zeit. Du hast mich aufgemuntert, als ich am Boden zerstört war, weil ich nicht auf die Beine gekommen bin. Du hast mich gepflegt und warst geduldig mit mir, hast mir liebevoll in den Arsch getreten, wenn ich wieder mal vor meiner Masterarbeit prokrastinierte. Wir haben uns gegenseitig unterstützt und uns den Spiegel vorgehalten. Du hast mir zugehört, kanntest meine inneren Dämonen und bist trotzdem nicht abgehauen.

Wir haben uns gegenseitig unterstützt und uns den Spiegel vorgehalten.

Genauso kannte ich deine und habe sie akzeptiert. Wir haben den Sommer gefeiert, sind auf dem Roller durch die Stadt gedüst und mit 220 km/ h im Sportwagen zur Ostsee geheizt. Unsere Beziehung war echt, intensiv und leidenschaftlich. Eine Zeit lang waren wir perfekt füreinander. Eine Sommerliebe wie sie schöner kaum sein konnte. Mit dem Herbst kam Sand ins Getriebe und deine Depression zurück. Du hast dich distanziert und hängen gelassen, bist in die USA geflüchtet, um zu merken, dass Berlin dir nicht gut tut.

Am Ende war ich das einzige, was dich hier gehalten hat. Wir kommen aus verschiedenen Welten, hast du gesagt. Du bist der rationale, pragmatische Karrieretyp, der Gefühle nur schwer zu lassen kann. Klar, dass dich meine emotionale Natur irgendwann überfordern musste. Ich trage mein Herz auf der Zunge, das sagen mir meine Freunde oft. Ich hätte dich nicht halten können, das wusste ich.

Ich hätte dich nicht halten können, das wusste ich.

Heute, vier Wochen nachdem du mich verlassen hast, bin ich verletzt und traurig. Ich fühle mich zurückgewiesen und alleingelassen. Ich war bereit, mein Herz zu verschenken, habe aufrichtig geliebt und gehofft, dass meine Gefühle erwidert werden würden. Stattdessen ist mein Herz in tausend Teile zerbrochen, die ich nun wieder mit ganz viel Geduld und Spezialkleber zusammensetzen werde. Trotzdem bin ich dankbar für diese Erfahrung, für unseren „Summer of Love“, der mich stärker gemacht und mich näher zu mir gebracht hat. Ich will nicht mit meinem alten Ich von früher tauschen – auch wenn es weh tut und ich dich vermisse.

Ich bin mir meiner vielen Facetten heute endlich bewusst, ich liebe alles an mir: das Schwarz und Weiß und all die Nuancen dazwischen. Ich liebe meine übersprudelnde Energie und Begeisterungsfähigkeit, die schon die kleinsten Dinge in mir auslösen können. Ich bin so stark, habe unendlich viel Kraft. So oft lag ich am Boden, so oft bin ich von alleine wieder aufgestanden.

Ich bin mir vieler meiner Facetten heute endlich bewusst. Ich liebe meine übersprudelnde Energie und Begeisterungsfähigkeit.

Genauso bin ich dankbar für diese bunte Klaviatur an Emotionen in mir. Ich empfinde das ganz große Glück ebenso wie den tiefsten Schmerz. Und schließlich habe ich verstanden, dass ich allein über meine Sexualität bestimme. Ich kann jederzeit in die Rolle der sexy Rothaarigen schlüpfen, wenn ich das möchte. Ich muss aber keine Männerfantasie oder ein blödes Klischee erfüllen. Alles, was ich muss, ist mir treu zu bleiben. Das hat mich das letzte Jahr gelehrt.

Die Autorin dieses Textes möchte anonym bleiben.

Headerfoto: Joanna Nix via Unsplash. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

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