Tinder: Match. Alles wie immer. Richtig interessiert bin ich nicht und das Match entstand ziemlich beiläufig. Als ich Deine Bilder sehe, denke ich noch: „süß, aber nicht so 100% mein Ding.“
In Deinem Text steht irgendwas von: „Eigentlich ein großer Kuschelbär. – Wenn Du glaubst, gutes Aussehen reiche und dass ich dafür dankbar sein darf, in Deiner Gegenwart zu sein, dann hab noch ein schönes Leben.“ – Schon interessanter.
Entgegen meiner Vorsätze (er schreibt zuerst bla bla bla), schreibe ich Dich an: „Hey, schöner Mann! Sag mal was.“
Entgegen meiner Vorsätze (er schreibt zuerst bla bla bla) schreibe ich Dich an: „Hey, schöner Mann! Sag mal was.“ Du reagierst prompt: „Hey! Schön von Dir zu hören. Sorry, dass ich nicht gleich geschrieben habe. Du siehst echt hübsch und interessant aus. Allerdings herrscht in meinem Leben ziemliches Chaos und deswegen halte ich mich hier gerade zurück.“ – Zack!
Die Falle schnappt, im Nachhinein betrachtet, hier schon zu. All meine Bedenken, die ich sonst habe – so ist das mit der Manipulation –, ignoriere ich, und ab da ist es für Dich ein Kinderspiel. Wir tauschen schnell unsere Nummern.
Ich hatte mir fest vorgenommen, nicht eine von denen zu sein, die einen bestimmten Typ hat. Mir sind Geld und der „Stand“ eines Menschen völlig egal, solange sein Herz am richtigen Fleck ist. Man kann alles zusammen schaffen. Die ersten Sprachnachrichten bei WhatsApp werden hin und her geschickt.
„Wie soll ich sagen? In Deiner Stimme – da ist etwas. Das fasziniert mich total! Am liebsten würde ich Dich jetzt sofort treffen! Aber vorher muss ich die Karten auf den Tisch legen. Ich habe als Türsteher gearbeitet und, wie das in der Szene so ist, kommt es hier und da zu Anzeigen und irgendwann haben die Richter kein Auge mehr zugedrückt.
Ich wurde für sechs Wochen in Haft genommen und habe in der Zeit mein WG Zimmer verloren. Ich weiß, dass ich das nicht mehr machen kann, lebe gerade im Hostel und versuche mein Leben neu zu ordnen. Wie ich da reingeraten bin… ? Ich war als Berufssoldat in Afghanistan stationiert und habe mich wegen PTBS ausmustern lassen. Danach war nichts mehr wie vorher.“
Während ich das höre, klingeln bei mir schon einige Alarmglocken und ich denke: ‚Mann! Das klingt wirklich nach Chaos!‘
Während ich das höre, klingeln bei mir schon einige Alarmglocken und ich denke: ‚Mann! Du wolltest doch zumindest jemanden kennenlernen, der halbwegs klarkommt. Das klingt wirklich nach Chaos!‘
Stattdessen sage ich: „Hmm … ich mag Deine Stimme auch sehr! Das klingt wirklich alles sehr nach Chaos. Lass mich mal eine Nacht drüber schlafen und dann weiß ich, ob ich Dich immer noch treffen will.“
Du schreibst zurück: „Das klingt sehr vernünftig! Schlaf eine Nacht drüber. Weißt Du: Hinterher verlieben wir uns. Dann lässt Du mich bei Dir wohnen, weil Dein schlechtes Gewissen so groß ist und Du mich nicht hängen lassen willst, und dann zieh ich Dich in meinen Scheiß mit rein. Das will ich auf keinen Fall!“ – So funktioniert Gehirnwäsche.
Am Ende treffen wir uns bei mir. Während ich das schreibe, könnte ich mir selber für meine Blauäugigkeit eine reinhauen!
Eigentlich wollen wir spazieren gehen, aber Du hast spontan eine WG-Besichtigung und verspätest Dich. Als Entschuldigung willst Du für mich kochen, weil Du mit nichts anderem glänzen kannst. Ich bin da schon ziemlich verzaubert – keine Ahnung, wieso. Vermutlich killt mich mein Helfersyndrom gerade und Du bist wirklich verdammt geschickt!
Also kommst Du zu mir nach Hause und machst für mich türkische Pasta – außergewöhnlich. Als Du um die Ecke kommst, bin ich hin und weg. Dein Aussehen, Deine Intelligenz, Dein Lächeln, Deine Gesten, Deine Stimme, Deine Größe, die Stärke, die Du ausstrahlst.
Ich bitte dich zu bleiben. Am Morgen darauf bleibst Du liegen. Ich gehe zur Arbeit. Wie dumm kann man sein?!
Wir reden den ganzen Abend. Trinken Wein. Als es 23:30 Uhr ist, willst Du los und Dir ein Hotelzimmer suchen. Ich bitte Dich, zu bleiben. Am Morgen darauf bleibst Du liegen. Ich gehe zur Arbeit. Wie dumm kann man sein?!
An dem Tag stiehlst Du mir meine Kreditkarte aus dem Portemonnaie – die Pin findest Du im Ordner im Büro mit der Aufschrift „Volksbank“. Du stiehlst mir die ersten 500 Euro.
Erst fünf Tage später bemerke ich, dass die Karte weg ist und für mich ist sonnenklar: Ich habe sie – ohne jeden Hauch von Zweifel – verloren.
Wir sprechen darüber. Du fühlst mit und fragst mich, ob Du mir irgendwie helfen kannst. Für mich ist das keine große Sache. Die Karte ist ja gesperrt und die neue kommt bald. Viele Tage später – fast zweieinhalb Wochen bleibst Du in meinem Leben – habe ich immer noch keine neue Karte. Du hast inzwischen einen Job und bist auf Montage.
Meine Bank ruft an. Es gibt ungewöhnliche Abhebungen, ob ich schon die neue Karte habe. So langsam dämmert es mir. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht. Ich weigere mich, daran zu denken, dass Du etwas damit zu tun haben könntest. Es fühlt sich so gut an, dass Du da bist. Dieses wir. Die Geborgenheit. Ich bestätige, die Karte nicht erhalten zu haben und muss zur Polizei, um eine „Anzeige gegen Unbekannt“ aufzugeben.
Während des Gesprächs mit dem Beamten, der sich sehr betroffen zeigt, schreit etwas in meinem Hinterkopf: „Es kann nur er gewesen sein.“ Ich sage nichts und fahre nach Hause. Dann rufe ich meine Freundin an, die Polizistin ist, und erzähle ihr alles. Sie kommt sofort zu mir und wäscht mir gehörig den Kopf.
Du hast Dich den ganzen Tag nicht gemeldet und die Nachrichten kommen nicht mehr bei Dir an.
Wir finden Dich bei Facebook – hab ich vorher nicht gecheckt, weil mich sowas einen Scheiß interessiert. Du bist da. Mit Deinem Namen.
Wir finden Dich bei Facebook – hab ich vorher nicht gecheckt, weil mich sowas einen Scheiß interessiert. Du bist da. Mit Deinem Namen. Die Bilder sehen schon ein bisschen nach Verbrecher aus. Aber die Infos passen zu all Deinen Erzählungen. Ich suche nach Ausreden für Dein Verhalten, aber es wird immer deutlicher: NICHTS ist echt. Alles erstunken und erlogen – geplant.
Nun sitze ich bei der Kripo, der Polizist zeigt mir Fotos von Betrügern, die genau Deine Masche anwenden. 4000 Euro sind weg – versichert. Bild Nummer drei ist Deins. Ich identifiziere Dich und der Beamte sagt: „Sie sind nicht die Einzige. Das kann jedem passieren. Der Mann ist professioneller Betrüger und macht seinen Job verdammt gut. Da hatten Sie quasi keine Chance. Wir kennen ihn und kümmern uns.“
Ich fühle mich schäbig. Missbraucht. Ekelhaft. Ich habe Dir mit jeder Faser meines Körpers vertraut und wollte das so gerne. Ich war richtig verliebt. Du hattest für alles immer die passende Antwort. Jede Ungereimtheit konntest Du mit der passenden Geschichte gerade rücken. Du hast mich völlig eingelullt und bewusst manipuliert. Einer Gehirnwäsche unterzogen.
Kognitiv begreife ich, dass ich nichts dafür kann. Jeder möchte geliebt werden und miese kleine Ratten wie Du nutzen das ohne jeden Skrupel aus.
Kognitiv begreife ich, dass ich nichts dafür kann. Jeder möchte geliebt werden und miese kleine Ratten wie Du nutzen das ohne jeden Skrupel aus. Trotzdem bleibt die Scham, die da keinen Platz haben dürfte. Die frisst sich durch meine Gedanken und Dein Künstlername – natürlich ein Falscher – klingt immer wieder in mir nach.
Ich bin nicht allein. Es gibt viele Frauen wie mich, die das gleiche durchmachen mussten. Die das gleiche fühlen wie ich. Ich werde wieder aufstehen und eines Tages auch wieder lieben können. Gerade ist die Vorstellung von mir allein mit fünf Hunden auch sehr reizvoll. Hauptsache: nicht mehr verletzt werden und dieses Gefühl von Ekel loswerden.
Das wird Zeit brauchen. Es ist gerade okay, sich so zu fühlen. Ich liege auf dem Teppich, mein Herz und mein Urvertrauen in 1.000 Teilen vor mir.
Aber ich bin nicht allein.
Und Du bist auch nicht allein! Wenn Du auch einmal so einem Betrüger aufgesessen bist oder wissen willst, wie Du Dich vor so etwas schützen kannst, die Polizei hat eine Infoseite hierzu. Wehr Dich – aus Scham über die eigenen Erfahrungen zu schweigen ist keine Lösung. Du musst Deine*n neuen Verehrer*in nicht vor dem ersten Date durchleuchten – aber ein bisschen informieren schadet nicht. Pass auf Dich auf!
Headerfoto: Frau ernst im Studio (Stockfoto) via Dima Aslanian/Shutterstock. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!