Reinfeiern in Berlin, Ablenken vom Leben? Grade in der Großstadt ist Party doch gleich Exzess

„Lass dir vom Rausch nur die Sinne betören
Und vom Kater danach dann das Leben erklären“

(Spaceman Spiff)

Wenn der Abend endlich dämmert, nimmst du Witterung auf,
Witterst stampfende Bässe, beißenden Rauch und schweißnasse Ärsche,
Witterst leichte Beute.
Hier fühlst du dich wohl, hier bist du zuhaus, hier sind deine Leute.
Hier auf dem Dancefloor hast du heute noch viel vor.

Feiern in Berlin heißt normalerweise:
Innerlich die größtmögliche Euphorie und äußerlich die größtmögliche Coolness.
Innen jubeln, außen lächeln.
Innen springen, außen nicken.
Innen ohnmächtig, außen mächtig übernächtigt.

Aber nicht heute.
Heute ist alles Ausrasten.
Auf der Tanzfläche schaust du jedem halbwegs heißen Girl in die Augen, dann umarmt ihr euch innig, „Frohes Neues!“ –
Ein intensiver, wissender Moment,
In dem ihr euch küsst,
Dein Schwanz in sie eindringt,
Und ihr gemeinsam kommt,
Sie dein Kind zur Welt bringt,
Ihr mit Freunden einen Bauernhof baut,
Und zusammen alt werdet und krank,
Und ihr euch wieder gesund pflegt,
Und euren Frieden macht, miteinander, irgendwann,
Und im allerletzten Augenblick beieinander seid.
Für immer.

Meist gefällt dir nicht, was du siehst,
Ihr seid ein stinknormales Pseudo-Pärchen, das sich Emotionen vorspielt,
Weil es muss, wie alle anderen.

Aber manchmal, da passt einfach alles.
Da sieht man sich an und beide wissen:
Das hier könnte es sein.
Dann vergesst ihr euch wieder.

Es ist Neujahr.
Die Night der Druffen.
Der Neid der Undruffen.

Du bist seit 65 Stunden wach.
Die Party ging am 31. los, jetzt ist der 2.1.
Frohes Neues!
Wer feiern kann,
Kann auch weiterfeiern!

15:30 ist der Zeitpunkt, an dem du dir normalerweise im Berghain nen Cappuccino bestellst. So auch jetzt.

„When do you plan to go home?“
„I Never go home. THIS is home.“

Auf dem Weg nach Hause suchst du dann in den Fensterscheiben der Autos nach dir, und was du siehst macht dich nicht mehr so zufrieden wie früher.
In diesen ersten Stunden des neuen Jahres bist du plötzlich nicht mehr der für-immer-viel-zu-hotte Typ, den deine Erwartungshaltung gestern noch in dir gesehen hat.
Du bist jetzt 33, dieser Gedanke sickert langsam ein.
Was hast du die letzten zehn Jahre getrieben?
Du warst ständig auf der Suche nach dir selbst und deswegen auch ständig am Feiern.
Aber du empfindest keine Freude mehr an Drogen und schnellem Sex.

Deine Vorsätze bewahrst du dir schon seit Jahren, es sind immer die gleichen:
Du musst dich nicht mehr abschießen.
Du musst keine Frauen mehr jagen.
Du bist nüchtern der bessere Mensch, stärker, sicherer, sogar lustiger.
Du machst nüchtern einfach mehr Sinn!
Feiern lenkt ab vom Leben.
Die Nachteile der Feierei sind größer als der Spaß dabei.
Wenn du feierst, dann rauchst du, wenn du rauchst, dann trinkst du, wenn du trinkst, dann schmeißt du auch alles andere bodenlos in dich rein.

Und was du alles noch machen willst!
Nicht sterben, eine Familie gründen, ein Buch schreiben und eine Tatort Berlin-Folge, Filme machen, Vorträge halten, deinen Frieden machen mit Familie, Freunden, Ex-Freundinnen und Feinden, einfach alles (wieder) gut machen, soviel Sex wie geht, soviel Reisen wie geht, mit dir ins Reine kommen und dadurch zu dir selbst finden, einfach ALLES, VOR DEM DU SCHON IMMER ANGST HATTEST: machen.
Du willst gebraucht werden.
Du willst das Gefühl haben, benötigt zu werden.
Du willst gesund leben und du suchst mehr denn je nach Liebe und Geborgenheit.
Du möchtest eine Frau für die Zukunft finden, mit der du eine Vergangenheit teilst.
Die dich kennt und dich dafür liebt.
Nicht nur den Feier-Max, der sich immer größer macht, als er ist, der laute und lustige, der extreme, etwas dümmliche, sexistische, das Sozial-Biest, King Charming.
Sondern auch den weichen Max, den Ruhigen, Spirituellen, Wahrhaftigen, den Zuhörer, den Traurigen, den Einfühlsamen.
Doch dein Ruf ist dir enteilt und du hechelst ihm hinterher, versuchst das Arschloch zu sein, das du immer werden wolltest, aber kannst dein Weichei-Sein nicht mehr verstecken.

Es ist an der Zeit.
Um dir den Glauben an dich selbst zurück zu holen, wirst du dein Leben ändern müssen.
Das wahre Leben macht einfach mehr Sinn.
Ein Lächeln steigt in dir auf, wenn du an diese Zukunft denkst.
Denn wenn du ganz genau in Dich reinhorchst, dann hörst Du sie pochen, die Liebe in dir.
Sie ist gar nicht da draußen, in der einsamen Diskonacht.
Sie ist hier, bei dir.

the most beautiful things
are always difficult
until they’re easy.

Headerfoto: Amanda Tipton via Creative Commons Lizenz!

MAX KORN. Der Emanzipationsprozess hat das männliche Geschlecht an den Rand seiner Existenz gedrängt, er weiß nicht mehr, wo und wie er zu verorten ist. Charlotte Roche, Helene Hegemann, Sarah Kuttner: Die neue starke Pop-Literatur scheint höchst weiblich, die Psyche des modernen Mannes wiederum bleibt weiterhin weitestgehend unentdeckt. Max Korn wagt sich nun an diese schier unbewältbare Bestandsaufnahme. Ehrlich, ironisch, selbstsüchtig, zerfleischend, größenwahnsinnig, schamlos, und trotzdem irgendwie allgemeingültig: Selten wurde der moderne junge Mann so von innen nach außen gekehrt.

1 Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.