„Wir brauchen One-Night-Stand-Schlappen. Und ’ne One-Night-Stand-Zahnbürste, die man nur einmal benutzen kann. Ganz unmissverständlich.“ Ich muss lachen. Mein Mitbewohner ist ein Genie.
Er kommt nicht ohne Grund auf diese Idee, sondern aus einer konkreten Problematik heraus: Wie sage ich einem Menschen, dass ich wirklich nur diese eine Nacht mit ihm will oder wollte? Unsere WG beschäftigt sich mit den wirklich wichtigen Fragen. Warum? Weil wir gerade unser Leben umkrempeln und ja, das klingt jetzt erst mal ein bisschen größenwahnsinnig. Aber genau darum geht es in dieser Serie: In kleinen Schritten zur 180°-Wende. Wer nicht weiß, worum es geht, kann das hier nachlesen!
Aber was haben nun One-Night-Stand-Schlappen damit zu tun, sein Leben umzukrempeln? Diese hypothetischen Latschen sind ein Symbolbild dafür, was bisher zumindest in meinem (Liebes-)Leben fantastisch schief lief: Meine eigenen verkorksten Geschichten entstanden oft daraus, dass ich ziemlich genau wusste, was ich von Menschen wollte oder eben nicht. Ich bekam es nur nie so richtig hin, das zu kommunizieren. Doof, sowas. Endet dann gerne in wochen- oder gar jahrelangen Techtelmechteln, im schlimmsten Falle Beziehungen, die nirgendwohin führen, außer vielleicht in die emotionale Einbahnstraße oder den Kreisverkehr. Oder auch einfach in Situationen wie der, die Mert zu den Schlappen und der Zahnpasta inspirierte: Ich stand mit einem jungen Mann in unserem Flur, verabschiedete ihn leicht ungelenk und umschiffte die Frage nach meiner Nummer noch viel ungelenker. Mert schaute mich nur durch die Küchentür an (streng genommen haben wir gar keine Küchentür, nur einen Türrahmen, was es unumgänglich macht, als gerade frühstückender Mitbewohner Szenen wie die besagte mitzuverfolgen) und fragte mich, sobald die Tür ins Schloss gefallen war: „Aha, wer war das denn?“ Kein Entkommen, er setzte geistig schon den gesprächsbegleitenden Tee auf. Nachdem ich ihm meine Misere aus „Ja, das war schön“ und „Aber ich fänd’s besser, wenn es dabei bleibt“ dargelegt hatte, harrte ich der Dinge, die da kommen sollten.
Aber statt mir zu sagen, dass ich solche promiskuitiven Späße einfach lassen oder es doch zumindest mal mit einem zweiten Date mit dem jungen Mann probieren solle, sagte er nur: „Sag’s ihm doch einfach. ‚Das war schön mit dir, aber das war’s auch.‘ Fertig!“ Und genau das tat ich. Fantastisch. Außerdem sinnbildlich dafür, wie ich seit Beginn dieses Experiments mit Menschen umgehe: Denen, die ich mag, schenke ich mehr Zeit und Aufmerksamkeit und lasse dafür andere hinter mir. Ich sage einfach mal, was ich will, statt zu sehen, wo Dinge hinlaufen. Das erspart von vornherein wahnsinnig viel emotionalen/menschlichen Ballast, den ich dann wieder loswerden müsste. Und es ermöglicht ein wirklich erwachsenes Spaßhaben und Sich-Ausprobieren, ohne elend lange Rattenschwänze aus Eventualitäten. Die wochenlangen Hin-und-Her-Geschichten, die nirgendwohin führen, waren eine Sache, die diese Serie inspirierte und ich glaube, ich habe herausgefunden, wie man sie vermeiden kann: Ehrlichkeit und Vertrauen in das eigene Urteil. Und vielleicht eine One-Night-Stand-Zahnbürste.
Ich bin offiziell #overit, was zwischenmenschliches Rumdümpeln ohne Plan angeht, was aber die Fälle, in denen ich mir damit in der Vergangenheit selbst ein Bein stellte, natürlich nicht ungeschehen macht. Ich habe deshalb viel darüber nachgedacht und natürlich bei Tee mit meinem Mitbewohner diskutiert, was dieses „over it“ sein, dieses Hinter-Sich-Lassen in Bezug auf ehemalige Freunde/Geliebte/Feinde eigentlich genau bedeutet. Am Anfang war ich dabei sehr wütend und rachsüchtig. Wenn alle Menschen, die mich je verletzt hatten, sich bei mir entschuldigen und ihr Unrecht einsehen würden – dann würde ich abschließen können. Wenn ich jede einzelne Arschloch-Person face to face konfrontiert hätte, ausdiskutiert, was wo wie schief gelaufen war, dann wäre ich over it. Bestimmt. Aber weil ich, was gute Ratschläge angeht, von Zeit zu Zeit mit Buddha höchstpersönlich zusammenwohne, sehe ich das jetzt anders. Mert sagte mir, dass ich einfach vergeben solle. Nicht, weil die betreffenden Menschen es verdienen würden, sondern ich selbst.
Ich lachte ihn aus. Er schickte mir dieses Video und ich verstand, was er meinte. Es hilft niemandem, ungelöste Probleme mit sich zu tragen und endlos wütend zu sein. Ein geistiger Schlussstrich allerdings, mit dem Gedanken, dass etwas zwar vielleicht nicht gut war, aber die eigene Zeit zu wertvoll ist, um dieses Schlechte nachträglich gut machen zu wollen – das klingt irgendwie besser. Natürlich geht das nicht immer sofort und ohne wenn und aber, aber Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung, wie man so schön sagt. Tatsächlich habe ich das Gefühl, viel mehr „Zen“ zu sein, seit ich angefangen habe, aufzuhören, so wütend zu sein. Denn darin sind mein Buddha-Mitbewohner (diese Bezeichnung hat übrigens rein gar nichts mit seiner Figur zu tun, sondern nur mit seiner unendlichen Weisheit) und ich uns einig: So richtig hinweg ist man über eine Person nicht dann, wenn man mit einem sexy Hairflip an ihr vorbeilaufen und sie geflissentlich ignorieren kann, sondern dann, wenn man erkannt hat, dass das überflüssig ist. Mit jemandem ein ganz normales, nettes Gespräch zu führen, ohne im Hinterkopf tausend Unsicherheiten, Wut oder Rachegedanken zu tragen – das ist erstens viel gesünder und zweitens viel zufriedenstellender, als diese alten Geister immer weiter zu jagen. Wir sind immerhin nicht bei den Ghostbusters!
Und weil ich das hier gern ein bisschen realer gestalten möchte als zusammengeschusterte Carpe-Diem-Weisheiten à la Sami Slimani, wird es im nächsten 180°ich-Post darum gehen, was ich persönlich konkret getan, gelesen, gehört und gesehen habe, um den Oktober zum #overitoctober zu machen. So viel sei gesagt: Es hat mit Animationsfilmen zu tun, mit der „Blockieren“-Funktion bei Facebook und mit jeder Menge Tee. Bis dahin: Trinkt einen Pumpkin Spice Latte oder einen Tee für mich mit. Und vergebt vielleicht ein, zwei Leuten.
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Headerfoto: Mert Ekinci!
Die „Blockieren“ Funktion ist herrlich, um nicht ständig auf den blöden Gedanken zu kommen, gewisse Menschen auf Facebook zu beschatten. Ich will nicht wissen, mit wem diese Menschen was tun. Ich will, dass sie für mich nicht mehr existieren. Ein hoch auf diese tolle Funktion 😉