Kennst du das? Dieses Gefühl … Die Angst, dich selbst zu verlieren. Jemand zu sein, der du nicht bist und zu vergessen, wie es eigentlich ist, du zu sein. Du gibst dir Mühe, um zu gefallen. Dabei zu sein, ohne aufzufallen. Du versuchst, der Norm zu entsprechen, trotz der Gefahr auf diesem Weg deine Seele zu brechen. Du kannst dich drehen, du kannst dich wenden. Heute schwarz, morgen weiß. Gestern groß, nächstes Mal klein. Vielleicht mal laut, oder auch leise? Besser dunkel, oder doch hell?
Oder kennst du das? Dieses Gefühl… Auf dein Herz zu hören, deiner inneren Stimme zu folgen. Zu sein, wer du bist und zu spüren, wie es ist, du zu sein. Du sagst, was du denkst. Du lachst, weinst, tanzt und rennst. Du entsprichst dir, und nur dir! Und Du öffnest deine Seele, für all das Wunderbare auf dieser Welt. Das man nicht kaufen kann, für kein Geld der Welt.
Du sagst, was du denkst. Du lachst, weinst, tanzt und rennst.
Was immer du gelernt hast und was immer man dir gesagt hat. Egal worauf du vertraut hast oder was dich gejagt hat. Alles, was dich geprägt oder beschämt hat. Was immer dich bewegt oder gelähmt hat. Wer auch immer du warst oder versucht hast, zu sein. Ob schwarz, weiß, groß oder klein. Laut und leise, dunkel und hell. Wie auch immer du dich gedreht hast oder gewendet. Was auch immer passiert ist in all dieser Zeit. Du warst und du bleibst – immer nur du.
Tief in mir drin rannte ich schreiend im Kreis
Es ist etwas über fünf Jahre her, dass ich diesen Text schrieb. Zu dieser Zeit war ich verheiratet, hatte einen sicheren Job in einem mittelständischen Traditionsunternehmen und keinerlei finanzielle Sorgen. Und tief in mir drin rannte ich schreiend im Kreis.
Ich war kreuzunglücklich, hatte mich in ein Leben hineinmanövriert, das mir von Kindesbeinen an vorgelebt wurde, das ich aber eigentlich gar nicht leben wollte, und fuck! Ich hatte einfach nicht den Mut, etwas zu ändern.
Also schrieb ich diesen Text und versteckte ihn tief in den 1ern und 0en meines Rechners. Vor knapp 2,5 Jahren habe ich es dann geschafft und dieses Leben hinter mir gelassen. Bis dahin hatte ich meiner Seele noch einiges zugemutet, inklusive Burnout und Dauereinnahme von Antidepressiva.
„Dein Leben ist wie ein Bus. Fährst du oder wirst du gefahren?“
Es folgte eine wahre Identitätskrise. Mein Coach – den ich mir gegönnt hatte, weil ich mich so völlig lost in space fühlte – stellte mir einmal die Frage: „Dein Leben ist wie ein Bus. Fährst du den Bus oder wirst du gefahren?“ Meine Antwort: „Weder noch. Ich bin der Bus.“ In dem Bus-Beispiel geht es darum, ob man selbst Verantwortung für sich und sein Leben übernimmt, oder es von anderen Menschen und äußeren Umständen bestimmen lässt.
Für mich fühlte es sich noch komplizierter an. Ich hatte so sehr gelernt, die Erwartungen anderer zu erfüllen und Everybody‘s Darling zu sein, dass ich überhaupt nicht mehr wusste, ob ich die Entscheidungen, die ich vermeintlich selbst traf, wirklich aus eigenem Antrieb getroffen hatte.
„Dein Leben ist wie ein Bus. Fährst du den Bus oder wirst du gefahren?“ Meine Antwort: „Weder noch. Ich bin der Bus.“
Ich war ein menschliches Chamäleon, da ich meine Anpassungsfähigkeit so massiv trainiert hatte, dass ich mit meinem Umfeld nicht nur die Art zu reden, mich zu kleiden und nach außen zu geben, sondern selbst Meinungen, Interessen und Geschmäcker änderte.
In den letzten 2,5 Jahren stellte ich mir ständig die Fragen „Finde ich das jetzt gut, weil ich es wirklich gut finde – oder glaube ich, es gut finden zu müssen? Mache ich das jetzt, weil ich das wirklich will – oder glaube ich nur, es zu wollen? Was finde ich eigentlich gut und was will ich machen? Hallo Bauchgefühl? Bist du noch da?“
„Vielleicht kann man mich, als ich selbst, nicht lieben?“
In dieser Zeit habe ich mehrfach meinen Job gewechselt, war Social Media Manager bei einem IoT-Startup, Inklusionsassistentin für blinde und sehbehinderte Kinder in einer Schule und Empfangsmitarbeiterin im Fitnessstudio, aber auch Freelancerin im Bereich Text/Ghostwriting und Barkeeperin.
Ich habe meine Haare gefärbt, sie abschneiden, später eine Dauerwelle machen lassen (auch wenn das kein Friseur meinen feinen Haaren antun wollte – ich habe so lange gesucht, bis ich einen gefunden habe – meine Haare verteufeln mich bis heute dafür) und meinen Klamottenstil gefühlt 100 Mal geändert.
Die Person, vor der ich so eine verdammte scheiß Angst hatte: Mich selbst. Was wäre denn, wenn ich nicht mag, was ich da so entdecke?
Und natürlich habe ich mich auch durch diverse Betten geschlafen, mein Herz unzählige Male an die größten Idioten verloren, weil ich einfach nicht allein sein konnte und war zum Dauer-Swiper auf Tinder mutiert, immer auf der Suche nach einem neuen Opfer für meine Aufmerksamkeit.
Das hatte nämlich den charmanten Vorteil, dass ich diese nicht auf die Person richten musste, vor der ich so eine verdammte scheiß Angst hatte: Mich selbst. Was wäre denn, wenn ich nicht mag, was ich da so entdecke? Vielleicht habe ich das ja aus gutem Grund von klein auf gelernt, weil man mich, als ich selbst, einfach nicht lieben kann?
„Ich habe es nicht eine Sekunde bereut, denn ich fühle mich lebendig!“
Und jetzt sitze ich hier, verfasse diese Zeilen und denke nur wow … ja, mein Leben verlief in diesen 2,5 Jahren wie eine Achterbahn. Aber bei allen Höhen und Tiefen, in jedem Moment, in dem ich mich nicht gut genug und nicht liebenswert fühlte, in jeder Phase, in der ich wieder in dieses Verhaltensmuster fiel, mich anzupassen, um zu gefallen: Nicht eine Sekunde habe ich die Entscheidung, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, und mich – den Bus – endlich selbst zu fahren, bereut.
Denn ich fühle mich lebendig! Heute weiß ich: Ich bin wertvoll, ich bin liebenswert und ich bin ein Unikat. Ich werde immer ein Mensch der Extreme bleiben, mich als sprunghaft zu bezeichnet ist fast untertrieben. Ich bin voller Ambivalenzen in 1.000 Facetten.
Eigentlich weiß ich schon lange, wer ich bin, aber jetzt stehe ich dazu und ich muss sagen, ich finde mich wirklich verdammt geil!
Die Rampensau, die es auf keiner Tanzfläche hält, sondern die auf der Theke oder an der Stange tanzt, weil sie es einfach liebt und gerne entertaint. Die heute viel redet und laut lacht und morgen in ihre Decke gekuschelt mit einem Buch oder bei einem Film in der Ecke liegt, nicht angesprochen werden will und Rotz und Wasser heult, weil die Story sie so berührt. Eigentlich weiß ich schon lange, wer ich bin, aber jetzt stehe ich dazu und ich muss sagen, ich finde mich wirklich verdammt geil!
Headerfoto: Gemma Chua-Tran via Unsplash. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!