Auftakt. Tag eins von wie vielen? Es spielt keine Rolle, wie viele Tage es sind, wenn sich jeder anfühlt, als wäre er noch länger als der gestrige. Und der vorgestrige. Und der davor. Obwohl eine Zahl all das vielleicht greifbar machen könnte. Damit das, was wie ein düsterer Schleier über jedem Deiner Tage hängt, sich in eine berechenbare Größe wandelt. Damit es wenigstens für einen Moment kontrollierbar zu sein scheint. Das würde Dir helfen. Vielleicht. Ich hoffe es für Dich.
Du hältst Dich an die Abmachung.
Das heißt: Es ist Tag eins von siebzig. Und das ist verdammt lang, weil ich weiß, dass Dir ein Tag vorkommt, als hätte er mindestens achtundvierzig Stunden, von denen Du – wenn es gut läuft – für drei Stunden ein wenig zur Ruhe kommst. In denen Du versuchst zu schlafen. Alles andere zieht in atemloser Eile vorbei. Alles, was nicht mit dieser einen Sache zu tun hat.
Das heißt: Es ist Tag eins von siebzig. Und das ist verdammt lang, weil ich weiß, dass Dir ein Tag vorkommt, als hätte er mindestens achtundvierzig Stunden.
Es gibt eine Klammer, die sich um die siebzig Tage legt und ein letztes bisschen Normalität vorgaukelt, obwohl sich alles wie eine skurrile Farce anfühlt. Zweimal frühstücken. Tag null und Tag einundsiebzig, und alles dazwischen – ungewiss.
So weh tut es Dir eigentlich noch gar nicht.
Kleine Nadelstiche – Du kannst nicht genau lokalisieren, wo sie sind (im Herzen, im Kopf oder einfach überall?) – machen den Tag zwar mühsam, aber er ist dennoch irgendwie erträglich. Und immer wieder sind da diese Blitze, die durch Deinen Kopf schießen. Und doch: Es ist okay. Vielleicht auch deshalb, weil Dich so viele Dinge davon abhalten, über all das nachzudenken, was Dir durch die Finger geglitten und dann mit einem lauten Knall zu Boden gefallen ist. Einzig den Hall hast Du ständig im Ohr.
Es ist okay. Vielleicht auch deshalb, weil so viele Dinge Dich davon abhalten, über all das nachzudenken.
Es gibt nur Eins und Null. Ja oder Nein.
Den ganzen Tag hast du schon Selig im Kopf. „Ohne Dich“. Normalerweise hörst Du in solchen Momenten Philipp Poisel, aber jetzt gerade kannst Du diese schmalzig-jammernde Stimme und die Heulerei wegen des Bauchwehs nicht hören. Das verstehe ich. Du brauchst etwas, das wirklich wehtut.
Kein Mensch mit echten Problemen hat Bauchweh. Vielleicht Weltschmerz, aber kein Bauchweh.
Von jemandem, dessen raue Stimme davon zeugt, dass er jede Zeile, die er singt, wirklich erlebt hat. Weil sein Leben ihn nicht einfach vor unerwidertes Verliebtsein stellt, sondern vor richtige Scheiße. Jemand, der weiß, dass Liebe länger als ein Kuss und ein leise geflüstertes „Ich liebe dich“ im Italien-Urlaub dauert. Kein Mensch mit echten Problemen hat Bauchweh. Vielleicht Weltschmerz, aber kein Bauchweh.
Du hast es noch nicht realisiert.
Du hast nicht mal Bauchweh. Du bist zwar traurig, aber es ist noch nicht angekommen. Du hast Angst vor dem Moment, in dem es Deinen Kopf verlassen und in Deinem Herzen ankommen wird.
Er hat gesagt, er behält Dein Herz als Pfand.
Headerfoto: Alexandr Bormotin via Unsplash.com. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!