Mysterium Mann: Wenn aus Dr. Jekyll ein Mr. Hyde wird

Ich lernte ihn kennen und verliebte mich sofort bis über beide Ohren: Schmetterlinge, rosarote Brille, Honeymoon, Wolke 7 – das volle Programm. Dr. Jekyll zeigte sich von seiner besten Seite, umschwärmte mich, war geduldig, liebevoll, umsorgend, einfühlsam und aufmerksam. Alles passte so wunderbar.

Doch bald wurde dies immer mehr zu einem Wunschzustand, eine Erinnerung, die Stück für Stück verblasste und von der ich mich aber nicht lösen konnte – oder wollte. Nach und nach kam Mr. Hyde zum Vorschein und entfaltete im Versteckten seine ganze Persönlichkeit. Immer mehr entstand ein für mich überfordernder Wechsel zwischen Honeymoon und Demütigungen meiner Person. Mr. Hyde trug einen ganzen Koffer zunächst emotionaler Erniedrigungen bei sich.

Von Tag zu Tag, Woche zu Woche, Monat zu Monat packte er diesen Koffer psychischer und verbaler Gewalt immer weiter aus. 

Von Tag zu Tag, Woche zu Woche, Monat zu Monat packte er diesen immer weiter aus. Es war ein bunter Koffer psychischer und verbaler Gewalt: Manipulation, Schuldzuweisungen, toxische Wut, Beschimpfungen, Bedrohungen, Beleidigungen, Lächerlich machen, Einschüchterungen… und es schien kein Ende nehmen zu wollen.

Mich kostete es viel Kraft und Energie, diese verbale Gewalt zu ertragen. Kraft, die ich irgendwie aufbrachte, angetrieben von der Hoffnung, dass es wieder besser wird und dass er wieder zu dem Mann wird, in den ich mich ursprünglich verliebte. Es müsse doch aufhören, wenn ich mich nur noch mehr bemühte, mehr Verständnis hätte, mehr Rücksicht nehmen würde, noch liebevoller würde…

Wenn ich irgendwie anders wäre – das müsste doch alles wieder gut machen können. Aber das konnte es nicht. Die Spirale drehte sich weiter und ich fand den Absprung nicht. Die Abstände zwischen den Ausfällen seinerseits wurden kürzer, es kamen leichte Handgreiflichkeiten hinzu und letztlich ein heftiger Tritt in den Magen.

Zu diesem Zeitpunkt war ich schon längst nicht mehr ich selbst. Ich traute meinen eigenen Wahrnehmungen nicht mehr.

Zu diesem Zeitpunkt war ich schon längst nicht mehr ich selbst. Ich traute meinen eigenen Wahrnehmungen nicht mehr, hatte kaum noch Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, dachte, ich sei verkehrt. Ständig in Alarmbereitschaft und verantwortlich für die Ausbrüche Mr. Hydes.

Doch letztlich entluden sich seine Aggressionen bei jedwedem Verhalten meinerseits. Das zu klein geschnittene Gemüse, die zu laute Musik, mein Schweigen oder meine Redseligkeit waren ihm Grund genug. Ich war ihm und seiner Wut ausgeliefert, fühlte mich immer öfter hilflos, ohnmächtig, war verzweifelt und wollte es nicht wahrhaben.

All dieser Druck und diese immer häufiger werdenden Ausbrüche zerstörten mich. Am Ende retteten mich paradoxerweise sein Fehlverhalten, nämlich seine Untreue, und die natürlich darauf folgende Trennung. Nun lag ich da, wie zerbrochen in 1000 Scherben, in klitzekleine Einzelteile meines Selbst.

Was sich zunächst anfühlte, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen, war meine Erlösung!

Was sich zunächst anfühlte, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen, war meine Erlösung! Von nun an galt es, den Scherbenhaufen, den er hinterlassen hatte, wieder zusammenzukehren. Nur allmählich verstand ich, was da passiert war, wie es dazu hatte kommen können und weshalb es so lange gedauert hatte, bis ich mich befreien konnte von den Schuldgefühlen und der Scham.

Ich suchte mir letztlich Hilfe, um das Erlebte zu verarbeiten und wieder ich selbst zu werden. Ich begann zu verstehen, dass ich nicht verkehrt bin, sondern lediglich normal auf eine kranke Person und Situation reagiert habe.

Zu hören und zu sehen, dass ich mit meiner Erfahrung nicht alleine bin, war mir eine große Hilfe. Letztlich bin ich stolz und glücklich, den Absprung geschafft und mich gelöst zu haben. Nach vielen Jahren Arbeit an mir selbst und den Erinnerungen, kann ich heute mit Abstand sagen, dass ich stärker als zuvor bin.

Auch diese Begegnung, so schlimm sie war, hat mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Ich möchte mit meiner Geschichte all die Frauen ermutigen, denen es ähnlich geht: Befreit euch, holt euch Unterstützung und redet darüber.

Unsere Autorin möchte anonym bleiben.

Headerfoto: Frau mit Locken im Grünen (Stockfoto) via LovelyColorPhoto/Shuttersstock. (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

2 Comments

  • …..Du starke starke Frau, genau so erging es mir schreckliche drei Jahre.. ich habe es überlebt!!! Und wie Du stärker als je zuvor…
    Ich wünsche Allen, die sich in ähnlicher Situation befinden:
    run run run und holt euch Profi Hilfe
    Euer Gegenüber wird sich niemals ändern.. niemals
    Das Leben ist zu kurz, um das durch und auszuhalten!!!
    Herzgruss

  • Ich bin auch schon auf solche Männer gestoßen, habe es zum Glück aber frühzeitig geschafft, sie zu verlassen… außer bei meiner ersten Liebe, da hat es 3 Abläufe gebraucht. Manipulation ist so schlimm und macht so viel mit dem eigenen Selbstvertrauen, nämlich es zerstören! Zum Glück blieb mir das Ausmaß, wie du es erleben musstest, erspart. Es ist total wichtig, sich jemanden anzuvertrauen.
    Alles Gute für dich

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