Das neue Jahr ist gerade einmal ein paar Wochen alt und schon habe ich eine ganze Reihe an unspektakulären Tagen gesammelt. Das sind diese Tage, an denen kein Fünkchen passiert, die sich im 24-Stunden-Rhythmus träge aneinanderreihen, summieren, zu einem großen Haufen Nichts werden, von dem man sich irgendwann fragt, wie er eigentlich zustande gekommen ist.
Unspektakuläre Tage sind die, die wir verfluchen, weil wir denken, dass nichts geschieht und wir nichts zum drauf Hinfiebern haben. Auf was soll das eigentlich hinauslaufen und warum ist unser Leben so verdammt unaufgeregt?
Der Januar ist übrigens prädestiniert dafür. Nach wochenlanger Reizüberflutung, Socializing, Völlerei und leicht vernebelter Ab-nächstem-Jahr-wird-alles-besser-Attitüde tropft die Motivation plötzlich eher zähflüssig von der Decke und findet Winterschlaf irgendwie prickelnder als Leben.
Im Januar trifft Aus– auf Ernüchterung und beide stellen fest, dass dieser Jahreswechsel überbewertet wird.
Im Januar trifft Aus– auf Ernüchterung und beide stellen fest, dass dieser Jahreswechsel überbewertet wird und dass das neue Jahr gerade nicht so viel zu bieten hat. Zumindest nicht für mich, für dich, für uns, die wir alle scheinbar so furchtbar langweilig leben.
Aber nicht nur der Januar ist dafür verantwortlich. Auch von der Gesellschaft, off- wie online, wird uns täglich suggeriert, wie wirklich Spektakuläres auszusehen hat. In bestimmten Lebensphasen ist das besonders schlimm, da platzt gefühlt jede Woche im näheren und weiteren Umfeld die News-Bombe: neuer Job oder neue Wohnung, Umzug, Hochzeit, Baby, Durchbruch, Reise nach Südafrika – you name it.
Man muss sich ständig auf die Suche nach dem ganz großen Glück und höheren Selbst begeben, dafür darf man Mittelmäßigkeit nicht akzeptieren.
Überdurchschnittlich ist derjenige, der Großes schafft und erlebt, Erfolg und was zu erzählen hat, immer weiter hochklettert und läuft, heraussticht. Schließlich wird uns an jeder Life-Coach-Ecke propagiert, dass dieses eine Leben ja außergewöhnlich sein muss. Dafür muss man sich ständig auf die Suche nach dem ganz großen Glück und höheren Selbst begeben, dafür darf man Mittelmäßigkeit nicht akzeptieren.
Häufig geht das dann aber mit dem Gefühl einher, dass unser bisheriges Leben nicht genug war, dass wir größere Ambitionen, Geldbeutel, Bilderbuchgedanken, VIP-Connections zum Universum brauchen.
Nach einer ganzen Reihe von unspektakulären Tagen überkommt mich in dieser nach dem Wow! schreienden Welt manchmal ein regelrechter Kommunikationsblues. Das heißt, dass ich dann ein bisschen ganz schön antisozial werde und eigentlich niemanden sehen, geschweige denn mit jemandem reden will.
Liebes Tagebuch, heute ist schon wieder nichts passiert.
Weil ich einfach nichts Neues zu berichten habe. Meine Tage sind ereignislos, folgen festen Strukturen und Routinen, erinnern an die Tagebuch-Einträge einer 13-Jährigen: Liebes Tagebuch, heute ist schon wieder nichts passiert. Mein Update geht also ganz schnell: Danke der Nachfrage, alles beim Alten. Und ohne es wirklich zu wollen, schäme ich mich dann sogar ein klitzekleines Bisschen. Und dann schäme ich mich wiederum auch dafür, dass ich mich überhaupt schäme.
Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt – nämlich dann, wenn der Haufen Nichts so groß ist, dass ich nicht mehr nur einfach über ihn stolpere, sondern fliege – werfen mich diese Tage einfach aus der Bahn, weil ich selbst denke, dass das doch nicht normal sein kann. Wo ist meine persönliche News-Bombe?
Sollte meine tägliche Disziplin nicht langsam Früchte tragen? Und zwar dicke, fette Früchte, die mein Selbstwertgefühl reanimieren?
Auch wenn die nicht unbedingt aus Windeln, neuer Wandfarbe oder einer Wildlife-Safari bestehen muss: Es stellt sich mir doch die Frage, wann mir endlich mal etwas Spektakuläres passiert, etwas, was tatsächlich erzählenswert wäre. Wann erreiche ich diesen so erstrebenswerten Zustand der schwebenden Super-Elfe? Wann fliegt mir aus dem Kosmos der mehrdimensionale Reichtum zu?
Sollte meine tägliche Disziplin nicht langsam Früchte tragen? Und zwar dicke, fette Früchte, die mein Selbstwertgefühl reanimieren und mir das Gütesiegel BESONDERS auf die linke Pobacke drücken? Ist es nicht das, was ich brauche, um existieren zu dürfen?
Gute Dinge brauchen manchmal wirklich Zeit und bestehen zu 99 % aus Unspektakulärem und nur zu 1 % aus einer Art Urknall mit Konfetti.
Das Gefühl, nicht genug zu sein, weil alles wie immer ist und keine große Veränderung ihre Schatten vorauswirft, ist nicht nur gefährlich, sondern auch schlichtweg falsch. Denn warum haben diese unspektakulären Tage eigentlich so einen schlechten Ruf weg? Wenn „so wie immer“ doch auch schön und beruhigend ist, weil gute Dinge manchmal wirklich Zeit brauchen und zu 99 % aus Unspektakulärem (Geduld, Arbeit, Durchhaltevermögen) und nur zu 1 % aus einer Art Urknall mit Konfetti bestehen?
Wenn unspektakulär auch heißt, dass man gesund ist, es einem gut geht, man mit dem, was man hat und tut, zufrieden sein kann und nicht immer besser, schneller, erfüllter sein muss? Wenn spektakulär vielleicht gar nicht immer so wünschenswert ist und unsere Herzen mit zu viel permanenter Aufregung überhaupt nicht leben könnten?
Diese Dinge, die uns in die Luft katapultieren und scheinbar erst dann richtig wertvoll machen, sind eben auch flüchtig. In Relation selten.
Nichts gegen große Veränderungen, Umbrüche, persönliche Revolutionen. Sie sind ein Teil von uns, sie kommen, sie werden schon irgendwann unsere Welt auf den Kopf stellen. Das ist die Garantie, die uns das Leben gibt. Aber zum einen ist dabei auch nicht immer alles Gold, was glänzt. Und zum anderen sind diese Dinge, die uns in die Luft katapultieren und scheinbar erst dann – also in der Luft – richtig wertvoll machen, eben auch flüchtig. In Relation selten. Durch andere bedingt.
Spektakuläres wird ja doch erst dann spektakulär, wenn wir dafür Applaus, Bestätigung, einen Klopfer auf die Schulter bekommen. Also Dinge, die, im Grunde genommen, von Dritten abhängen. Erst dadurch erhalten sie – und wir mit ihnen – eine Art offizielle Daseinsberechtigung.
An diesen scheinbar unspektakulären Tagen, die in der absoluten Mehrheit sind, sitzt aber nun leider keiner neben uns, der uns sagt, wie toll wir doch heute durchgehalten, nicht geheult, uns den Hintern aufgerissen, einfach nur geatmet haben. Es ist keiner da, der uns zuflüstert: „Das sind die Tage, auf die es wirklich ankommt, die sich irgendwann auszahlen, die, in der Summe gesehen, den ganz großen Unterschied machen.“
Das sind die Tage, auf die es wirklich ankommt.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich davon, dass eine gute Pflege dieser so unspektakulären, in der Masse (d. h. im Vergleich) untergehenden und von außen oftmals eintönig wirkenden Tage dabei hilft, etwas wirklich Spektakuläres aufzubauen. Etwas, das vielleicht gar nicht in einem Urknall mit Konfetti enden wird, aber dennoch unser Leben so viel besser und schöner macht.
Zwischenmenschliche Beziehungen, die uns tragen. Momente und Dinge, die uns Freude bereiten. Eigenschaften, die wertvoll sind. Was spektakulär ist, entscheiden wir letztendlich also selbst – und das kann eben einfach ein Sektchen auf das Leben sein.
Headerfoto: Kinga Cichewicz via Unsplash. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!