„Menstruierende dieser Welt, vereinigt euch!“ | Über die Unsichtbarkeit von Periodenblut und den Wunsch nach einer menstruationsoffenen Gesellschaft

Disclaimer: Nicht alle Menschen, die menstruieren, sind Frauen – und nicht alle Frauen menstruieren. Deshalb wird im Folgenden die Bezeichnung  „menstruierende Personen/Menschen“ genutzt, um zu verdeutlichen, dass auch nichtbinäre und agender Menschen (die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen), sowie trans* Männer menstruieren können.

Ich blute. Über die Spanne meines Lebens werde ich etwa 500 Mal menstruieren, zusammengerechnet sind das sieben Jahre am Stück und 30 Liter Blut. Wir bluten. Zwischen 300 und 800 Millionen Menschen weltweit menstruieren zeitgleich. Doch diese Allgegenwärtigkeit wird in unserer Gesellschaft nicht abgebildet. Unser Blut und seine Auswirkungen auf unser Leben und Arbeiten sind unsichtbar, werden unsichtbar gemacht. Und dadurch bleiben wir alleine in unserem Erleben.

Was wäre, wenn wir in einer Gesellschaft lebten, in der sich Menstruierende vereinigen, gemeinsam Raum einnehmen und ihr Recht auf ein freies und selbstbestimmtes Bluten einfordern? 

Doch was wäre, wenn wir in einer Gesellschaft lebten, in der sich Menstruierende vereinigen, gemeinsam Raum einnehmen und ihr Recht auf ein freies und selbstbestimmtes Bluten einfordern? Davon träumen die Initiator:innen des Leipziger „Blutladen“ – und sie leben diese Utopie schon heute.  

Foto: Jakub Červenka.

Wo ist unser Blut und warum ist es unsichtbar?  

Wie passend, dass ich gerade selbst menstruiere, als ich mich zum virtuellen Gespräch mit Ronja, Jana, Franzi und Jane vom „Blutladen“ an meinen Schreibtisch setze. Bevor mir die vier von ihrer Initiative erzählen, müssen wir eine Frage klären, die sich die Mitgründer:innen des „Blutladen“ auch regelmäßig stellen: „Wo ist unser Blut und warum ist es unsichtbar?“

„Ich finde es wichtig, zu überlegen, wie viel Raum das ganze Thema für menstruierende Menschen einnimmt und wie wenig Raum sie dafür bekommen.“

„Ich finde es wichtig, zu überlegen, wie viel Raum das ganze Thema für menstruierende Menschen einnimmt und wie wenig Raum sie dafür bekommen“, teilt Franzi einen Gedanken aus der Gruppe. „In dem wenigen Raum, den wir bekommen, geht es oft darum, Menstruation weiter unsichtbar zu machen. Wenn man darüber spricht, dann spricht man über Hygieneartikel und dann kommt immer diese Frage ‚Sieht man was, ist alles gut versteckt?‘.“ Dieses Verstecken geht von verschämten Fragen nach Menstruationsprodukten über blaues Kunstblut in der Werbung bis hin zu wahnwitzigen männlichen Erfindungen wie den Pinky Gloves, pinken Einweghandschuhen zum „hygienischen Entfernen“ von Tampons. 

Menstruieren im Patriarchat 

„Alle Männer aus meinem familiären und persönlichen Umfeld, hatten, als ich aufgewachsen bin, nichts mit dem Thema Menstruation am Hut. Mir wurde das Gefühl vermittelt, dass ihnen dieses Thema nicht zuzumuten sei. Wir sind in diesem Lebensbereich Männern nicht zuzumuten – diese Botschaft kam an. Das hat sich in Schweigen und komischen Formulierungen geäußert, in der Angst, auf meinen Vater zuzugehen und ihm mitzuteilen, wie es mir ging“, erzählt Jane. Bis heute koste es sie Arbeit, mit männlichen Partnern auf eine Art und Weise, die ihr gut tut, über Menstruation zu sprechen.

„Im Patriarchat ist das Unsichtbarmachen der Menstruation auch ein Mittel, Macht auszuüben und ein Stück weit Anpassung zu erzwingen.“

„Im Patriarchat ist das Unsichtbarmachen der Menstruation auch ein Mittel, Macht auszuüben und ein Stück weit Anpassung zu erzwingen“, meint Jana. In der Schaffung von mehr Sichtbarkeit sehe sie eine Menge Potenzial, das noch nicht ansatzweise ausgeschöpft sei: mehr Rücksicht und Akzeptanz für unsere Unterschiede und damit einhergehende Bedürfnisse. „Das hätte Vorteile für alle, auch für nicht-menstruierende Menschen. Wir würden vielleicht in einer sehr viel gesünderen Welt leben, in der Körperlichkeiten, natürliche Zyklen und Rhythmen eine größere Rolle spielen.“ Dieser Welt möchte sich der „Blutladen“ annähern. 

Der Blutladen

Der „Blutladen“ ist natürlich kein Laden im kapitalistischen Sinne: für den Austausch von Wissen, Erfahrung und Information muss nicht bezahlt werden. Und dabei gilt: Jede Person, die menstruiert, hat Expertise und kann ihre Erfahrungen teilen. Der „Blutladen“ ist ein Bildungsort zum entspannten Menstruieren, Austauschen und wütend sein, ein Ort zum Pläne schmieden und revolutionieren. So beschreibt sich die Leipziger Initiative selbst. 

Foto: Jakub Červenka.

„Der ‚Blutladen‘ ist ein Ort zum entspannten Menstruieren, Austauschen und wütend sein, zum Pläne schmieden und revolutionieren.“

Die Idee dazu kam Ronja auf der Toilette, als sie wieder einmal menstruierte, sich mit ihren Schmerzen alleine fühlte und die Welt verfluchte. Also startete sie einen Aufruf. Der „Blutladen“ – Namensgeberin war eine Freundin von Ronjas Mutter – öffnete seine metaphorische Ladenzeile pünktlich zum Weltmenstruationstag am 28. Mai 2022 mit einer Ausstellung rund um den Zyklus, Menstruation und Blut. Schnell wurde das Bedürfnis nach einem Format, das sich diesem Thema weiter widmete, groß. Und so entstand der „Blutladen-Stammtisch“, eine Gruppe aus Menstruierenden und manchmal auch ehemals Menstruierenden, die regelmäßig zum Austausch, für Projekte und Workshops und zur Konzeption weiterer Ausstellungen zusammenkommen. 

Menstruieren im Kapitalismus 

Der „Blutladen“ wünscht sich „Menstruationsfreiräume“, weitere Blutläden, in jedem Dorf, jedem Stadtteil, jedem Bezirk. Seine Gründer:innen möchten das Menstruieren nicht nur sichtbar machen – sie möchten das Blut in die Mitte der Gesellschaft holen. Die Begeisterung ist ansteckend. Doch noch kann ich mir nicht vorstellen, wie aus einer leistungsorientierten Gesellschaft eine menstruationsoffene werden kann – das scheinen mir extreme Gegensätze zu sein. 

Der Kapitalismus ist eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung von und für funktionierende Körper.

Denn der Kapitalismus ist eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung von und für funktionierende Körper. Unser System baut auf Wachstum und Leistung und schließt diejenigen strukturell aus, die aufgrund körperlicher und/oder psychischer Einschränkungen nicht im idealen Maße zu seiner Erhaltung beitragen können – und damit auch Menstruierende. Und die wiederum haben mit einem internalisierten Kapitalismus zu kämpfen, damit, sich nicht schlecht zu fühlen, wenn sie nicht das ableisten können, was von ihnen erwartetet wird 

„Dem etwas entgegenzusetzen ist für mich krass politisch, eine Widerstandsform. Ich finde das wirklich fast revolutionär.“

„Dem etwas entgegenzusetzen, in Form eines Austauschortes, ist für mich krass politisch, eine Widerstandsform. Ich finde das wirklich fast revolutionär“, sagt Ronja. Mit ihren Wünschen und Forderungen sind sie und ihre Mitstreiter:innen nicht allein. Nicht ganz so revolutionär – und in feministischen Kreisen nicht unumstritten – aber in Spanien, sowie in Indonesien, Südkorea, Japan und Sambia bereits praktisch umgesetzt, ist ein Menstruationsurlaub, der es menstruierenden Menschen erlaubt, jeden Monat abhängig vom Zyklus einen (bezahlten oder unbezahlten) Sonderurlaub zu erhalten. Damit werden die Lebensrealitäten vieler Millionen Menschen anerkannt. Ein Schritt in Richtung einer menstruationsoffenen Gesellschaft? Vielleicht.

Fotos: Jakub Červenka.

Die Utopie einer menstruationsoffenen Gesellschaft 

Eine wirklich menstruationsoffene Gesellschaft bräuchte aber noch viel mehr, findet Franzi: eine Auseinandersetzung mit Periodenarmut und Privilegien in Bezug auf die Menstruation und kostenlose Zugänge zu Menstruationsprodukten und damit verbundenem Wissen. Es sei für sie unerträglich, dass der Zugang zu Hygieneprodukten immer noch mit Privilegien verbunden ist. Ronja ergänzt: „Es kann ja nicht sein, dass wir in unserer Welt für eine Sache bezahlen müssen, die wir uns nicht ausgesucht haben.“ 

„Es kann ja nicht sein, dass wir in unserer Welt für eine Sache bezahlen müssen, die wir uns nicht ausgesucht haben.“

Eine menstruationsoffene Gesellschaft, die Freiräume für Zyklen schafft und Blut nicht länger unsichtbar macht, sei eine Utopie, findet Jana. Aber gerade deshalb brauche es kleine Schritte, auch um nicht-menstruierende Menschen in den Diskurs einzuladen. Wissensvermittlung und die Bereitstellung von Informationen, um dem weitverbreiteten Unwissen vieler, vor allem nicht-menstruierender, Menschen zu begegnen. 

„Wenn ich dir sage, ich hab solche Schmerzen, dass ich nicht arbeiten kann, dann will ich das nicht erklären müssen!“

Franzi wünscht sich vor allem eines: Dass die Erfahrungen menstruierender Menschen nicht abgesprochen oder klein geredet werden. „Lass es so stehen! Wenn ich dir sage, ich hab solche Schmerzen, dass ich nicht arbeiten kann, dann will ich das nicht erklären müssen oder so etwas hören wie ‚stell dich nicht so an!‘“ Und Ronja ergänzt einen sehr praktischen Hinweis: Auch nicht-menstruierende Menschen sollten einen Badmülleimer besitzen und ihren menstruierenden Freund:innen damit den Alltag ein wenig erleichtern.

„Menstruierende dieser Welt, vereinigt euch!“

„What you can do I can do bleeding“ – mit diesem vermeintlich empowernden Spruch bin ich aufgewachsen. Doch was, wenn das nicht stimmen muss? Wenn wir blutend und womöglich unter Schmerzen nicht mehr alles so leisten müssen, wie wir es nicht-blutend tun? Weil wir uns nicht länger verstecken müssen, weil da Menschen sind, die uns verstehen, die offen sind, sich mit uns auszutauschen? Weil es sichere Orte gibt, an denen wir mit kostenlosen Menstruationsprodukten, Wissen und Solidarität versorgt werden?

Ich bin überzeugt, dass viel Gutes entstehen kann, wenn sich die Menstruierenden dieser Welt vereinigen.

Nach meinem Gespräch mit Ronja, Jana, Franzi und Jane finde ich, dass es sich lohnt, an dieser Utopie zu arbeiten. Und dabei auf dem Weg zu einer menstruationsoffenen Gesellschaft viele kleine Utopien und sichere Räume wie den „Blutladen“ zu schaffen. Denn nach einer Stunde wertschätzenden Austauschs bin ich überzeugt, dass viel Gutes entstehen kann, wenn sich die Menstruierenden dieser Welt vereinigen. 

Mit Chefredakteurin Amelie im Zoom-Interview, von links oben nach rechts unten: Franzi, Ronja, Jana und Jane. 

Danke an die herzlichen Menschen vom „Blutladen“ für ein wunderbares, beinahe Podcast-würdiges Gespräch, das mich sehr bereichert hat! 

Noch bis zum 26. Februar 2023 sucht der Blutladen in einem Open Call nach Künstler:innen, die der Wanderausstellung ihre:seine Werke beisteuern möchte. Das können Grafiken, Texte, Gedichte, Videos, Objekte und vieles mehr sein – alle Medien sind willkommen.

Wenn ihr Leser:innen euch inspiriert fühlt, aktiv zu werden, besucht den „Blutladen“ auf Instagram oder ihrer Website, engagiert euch bei Social Period e.V. gegen Periodenarmut (Tipp von Ronja) oder feiert den nächsten Weltmenstruationstag am 28. Mai 2023! 

Headerfoto: Karolina Grabowska + cottonbro studio (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

Fotos im Artikel: Jakub Červenka, Blutladen“-Ausstellung in Leipzig. Danke dafür! 

Amelie Fischer (sie/ihr) sieht das Politische in den ganz großen und den ganz kleinen Dingen. Sie spricht und schreibt am liebsten über globale Ungerechtigkeiten, Machtstrukturen, intersektionalen Feminismus und die Liebe, immer die Liebe. Um ein wenig Leichtigkeit in den Weltschmerz zu bringen, den sie oft fühlt, liest sie für ihr Leben gerne Romance Novels. Aber nur zu Recherchezwecken, versteht sich! Denn auch die Liebe ist höchstpolitisch. Mehr von Amelie gibt es auf Instagram.

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