Mein Name war Kimberly – Wie ein Loverboy mich emotional zur Prostitution zwang

Etwa über zwei Jahre hinweg schlief unsere Autorin gegen Geld mit Männern. Das Geld sackte ihr Freund ein, der sich als sogenannter Loverboy entpuppte und sie psychisch zur Prostitution zwang. Sie leidet bis heute an den Folgen und hat eine Traumatherapie begonnen.

TW Sexuelle Gewalt/Missbrauch

Ich denke an Papa und Mama, als der Gast zustößt. Ich drehe meinen Kopf zur Seite, damit ich sein Gesicht nicht sehen muss. Dafür sehe ich meins im Spiegel. In dem bei Freiern beliebten „Spiegelzimmer“ hängen lauter Spiegel an den Wänden. Anscheinend geil für sie. Und erniedrigend für uns.

T.

Ich bin gerade 18 geworden, als er mich anschaffen schickt. „Er“ soll hier T. heißen. Zu groß die Angst, dass er diesen Text lesen könnte. Und auch zu groß die Überwindung, seinen Namen auszuschreiben.

Wir lernen uns ungefähr zwei Jahre vor meinem 18. Geburtstag kennen. Auf der Arbeit. Ich habe damals während der Schule gejobbt, um mein Taschengeld etwas aufzupimpen. Als T. zum ersten Mal zur Tür reinkam, war es um mich geschehen. Ich war naiv, ich war verliebt, hin und weg. T. umgekehrt war einige Jahre älter als ich und wusste genau, wie er mit mir zu flirten hat. „Du hast wunderschöne Augen“, säuselte er, als er den Laden verließ.

Als T. zum ersten Mal zur Tür reinkam, war es um mich geschehen. Ich war naiv, ich war verliebt, hin und weg.

Er kam regelmäßiger und wir tauschten unsere Nummern aus. Wir schrieben miteinander und trafen uns ein paar Mal. Schnell erfuhr ich von seinen Geldproblemen. Was dran war, weiß ich bis heute nicht. Ist mir auch scheißegal, denn das ändert nichts. T. erzählte mir von ein paar hundert Euro, die er Kumpels schuldet. Würde er die Kohle nicht zahlen, würde das Stress geben. Die Typen drohten ihm.

Die ersten Male konnte ich T. mit meinem Mini-Gehalt und Gesparten versorgen. Das Geld auf dem Sparkonto hatte ich nach meiner Konfirmation zur Seite gelegt. Wenn ich mir später mal einen größeren Wunsch erfüllen möchte. Jetzt, wo ich das so aufschreibe, merke ich, dass mir die Tränen kommen. Erwachsenwerden habe ich mir anders vorgestellt.

Irgendwann wurden die Beträge, die T. wollte, größer. Er berichtete mir von befreundeten Pärchen, von Frauen, die mit „Kellnern in Clubs“ fett Cash machen würden. Oben ohne. Wir wollten uns doch was aufbauen, vielleicht ein Café eröffnen, versuchte T. mich zu belabern.

Wir wollten uns doch was aufbauen, vielleicht ein Café eröffnen, versuchte T. mich zu belabern.

Ich war außer mir. Ob er ernsthaft denken würde, dass ich so etwas tun würde. T. machte auf beleidigt, ich würde es nicht ernst meinen. Wochenlangen hatten wir keinen Kontakt. Er strafte mich und ich konnte es kaum aushalten.

Es war keine Überraschung, dass er mich später dazu bringen konnte. Sage ich heute. Damals war mir das Ausmaß nicht klar. Ich war verzweifelt. Ich habe es bis zum Schluss nicht ernst genommen. Ein fataler Fehler.

Die erste Nacht als Kimberly

Ich erinnere mich genau an die Nacht, bevor T. mich zum ersten Mal in den Club fahren wollte. Ich wohnte noch zu Hause, nur eine Wand weiter schliefen meine Eltern seelenruhig. Sie wussten von T. Aber eigentlich nur seinen Namen, ein paar wenige Infos. Begeistert waren sie nicht. Aber ich war erwachsen. Auf dem Papier.

Tief im Inneren ahnte ich, was auf mich zukommt, als ich wach im Bett lag und in den Himmel starrte. Ich wusste, dass hier gerade alles in die falsche Richtung läuft. Und ich dachte an meine Eltern. Ich schämte mich erbärmlich.

Trotzdem stieg ich am nächsten Tag in sein Auto. Als wir unterwegs Halt machten und T. mir ein Fünfzigerpack Kondome in die Tasche presste, realisierte ich langsam, was abgeht. Alles ging so schnell.

Als wir unterwegs Halt machten und T. mir ein Fünfzigerpack Kondome in8 die Tasche presste, realisierte ich langsam, was abgeht.

Ich finde mich im weißen Glitzer-Minikleidchen im Saunaclub wieder. Ich heiße Kimberly.

Diese Blicke. Ich werde sie nie vergessen. Ich bin Frischfleisch. Die Männer feiern es, wollen wissen, wer ich bin. Die Frauen hassen mich, kichern gehässig, wenn ich an ihnen in meinen Highheels vorbeistakse.

Meinen ersten Gast „teile“ ich mit einer anderen Frau. Später lobt sie mich: Ich hätte offensichtlich geübt. Ich weiß nicht, ob ich mich freuen oder weinen soll. Wahrscheinlich tat ich beides, als ich danach breitbeinig über dem Bidet hocke. Ich habe mich immer gefragt, warum Leute so ein Ding im Badezimmer haben. Ich habe nie eines benutzt. Jetzt sitze ich da und versuche mir den Dreck vom Leib zu waschen. Aber er bleibt.

Meinen ersten Gast „teile“ ich mit einer anderen Frau. Später lobt sie mich: Ich hätte offensichtlich geübt.

Es folgten weitere Freier. Wie viele es an diesem Tag waren? Keine Ahnung. Wie viele es insgesamt waren? Eine Antwort darauf möchte ich mir nicht antun. Ich hoffe, dass mir niemand mehr im Leben diese Frage stellt.

Zum Glück gab es meine Eltern

Mein Abitur konnte ich trotzdem durchziehen. Gott. Sei. Dank. Ich war nur an einigen Wochenenden und einzelne Tage in den Ferien dort. Nur. Wie makaber. Mein großes Glück waren meine Eltern, die mich nie aufgegeben haben. Sie ahnten, dass etwas nicht stimmt und wurden strenger. Sie glaubten die Ausreden nicht mehr, wenn ich nachts um 4 nach Hause geschlichen kam.

Sie glaubten die Ausreden nicht mehr, wenn ich nachts um 4 nach Hause geschlichen kam.

Und was tat ich aus lauter Panik, T. zu verlieren, wenn ich ihm nicht mehr „helfe“? Ich erzählte meiner Mum von der Arbeit. Dabei ließ ich jedoch ein winziges Detail aus. Um Sex ginge es natürlich nicht. Ich würde nur mit den Männern ausgehen.

Du kannst dir vorstellen, wie es meinen Eltern gehen musste. Sie wussten es, und wussten es doch nicht. Sie waren dabei, ihre Tochter zu verlieren und kämpften. Taten so normal wie möglich, wollten mit mir Eis essen gehen am Wochenende, weil ich das doch so gerne mache. Nur, um mich da rauszuholen.

Eine halbe Stunde kostete 50 Euro. Eine Stunde 75. 75 Euro – für eine quälend lange Stunde.

Aber so einfach war das nicht. Für T. war das Ganze lukrativ. Je nachdem, wie es lief, verdiente ich zwischen 400 und 1.000 Euro am Tag. Eine halbe Stunde kostete 50 Euro. Eine Stunde 75. 75 Euro – für eine quälend lange Stunde. Für Männer, die kein Wort sagten, sondern ihre Zeit „effizient“ nutzen wollten. Für Männer, die nach Urin gestunken haben. Für Männer, die in dir alles gesehen haben, aber keinen Menschen.

Zahn Jahre später

Tausendmal habe ich meinen Rachezug gegen T. ausgemalt. Immer und immer wieder habe ich überlegt, zur Polizei zu gehen. T. vor Gericht zu zerren. Ja, sogar ihn zu foltern, vielleicht auch zu töten. Nichts davon tat ich. Stattdessen sitze ich meiner inzwischen dritten Therapeutin gegenüber.

Am schlimmsten sind die Schuldgefühle, der Ekel, die Scham.

Heute, mehr als zehn Jahre später, ist vieles verdrängt, aber nichts vergessen. Am schlimmsten sind die Schuldgefühle, der Ekel, die Scham. Gegenüber meinen Eltern, gegenüber meinem jetzigen Freund, gegenüber mir selbst. Die Bilder im Kopf, die manchmal völlig unerwartet über mich herfallen. Mein angespannter Körper, wenn ein Film oder eine Doku Sexarbeit zeigt. Wenn ich ein bestimmtes Deo oder Aftershave rieche, wenn ich Männer sehe, die mich an einen Gast erinnern, wenn ich mit meinem Freund schlafe.

Ein Teil von mir wird immer Kimberly bleiben. Aber ich möchte ihr vergeben. Ein für alle mal.

Wenn du sexualisierte Gewalt oder Missbrauch erfahren hast oder jemanden kennst, kannst du dich an das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” wenden, Beratungsangebote in deiner Nähe auf www.gewalt-gegen-frauen.de oder bei der Polizei finden und dich hier über alle Gewaltformen im Netz informieren. Du bist nicht allein!

Unsere Autorin möchte anonym bleiben.

Headerfoto: Yaroslav Shuarev (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

1 Comment

  • Falls du das liest, liebe Autorin: Ich wünsche dir, dass du eines Tages heilen kannst. Ich schick dir ganz viel Liebe. ♡

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