Ich war ein zutiefst traumatisiertes Kind: Neben einer aus heutiger Sicht eher unsicher-ambivalenten Bindung zu meinen engsten Bezugspersonen, also Mama und Papa, litt ich in meinen ersten elf Jahren unter psychischem und physischem Missbrauch, den ich nicht näher erläutern möchte.
Was ich aber aufzeigen will, ist die ewige Berg- und Talfahrt, die sich in meinem Leben fest etabliert hat und mir damit manches Mal den Atem raubt, andererseits nie schaffte, mich kleinzukriegen.
Ich war schon immer eine echte Kämpfernatur. Meine Oma soll wohl damals schon weinend an meinem Krankenbett gestanden haben und sich nur habe trösten können, weil ich als Widder geboren eine natürliche oder dem Universum zu verdankender Kraft in mir hätte. Diese mich wohl auch aufstehen ließe, nachdem ich zu Fall gekommen bin.
Zumindest wuchs ich in dem Glauben auf, ein starkes Mädchen zu sein, ähnlich wie Pippi Langstrumpf. In den seltenen Momenten, in denen ich mich schwach fühlte, weil ich schwach war, öffneten sich Schleusen, Ängste krochen in mir hoch, mein Körper wurde zu einem Gefäß, welches nur unter großer Anstrengung nicht zu platzen drohte.
Immer und immer wieder litt ich Höllenqualen, aber bis in meine späte Pubertät waren sie alle erfolgreich verdrängt.
Wenn Scham und mein mangelndes Selbstwertgefühl über mir einbrachen
Doch nach und nach brachen die Mauern. Immer dann, wenn ich im Leben zu scheitern drohte. Wenn das Abitur mir zu schaffen machte, als ich meinen Führerschein nicht machen konnte, weil ich lange krank war oder als mich meine erste Liebe verließ. Beschämt fühlte ich mich oft und irgendwie unvollkommen.
Ich tat, was viele Menschen, insbesondere Frauen tun – mich in ungesunde, sehr kontrollierte Verhaltensmuster zu stürzen. Mein Körper spielte dabei eine immer entscheidendere Rolle und ich nahm mich stets als ungenügend, ja sogar nicht liebenswert, wahr.
Ich wetteiferte mit meinen ebenso unsicheren Freundinnen darum, wer in die kleinere Jeansgröße passen würde und knutschte mich durch viele Betten. Meine Unsicherheit gab den Ton an und ich trottete ihr gefügig hinterher.
Ich wetteiferte mit meinen ebenso unsicheren Freundinnen darum, wer in die kleinere Jeansgröße passen würde und knutschte mich durch viele Betten.
Nur hin und wieder gelang es mir damals, Glück zu empfinden. Meist lief ich dazu stundenlang durch die Stadt, Musik auf den Ohren und betäubte mich in Melancholie und auch so etwas wie Selbstmitleid.
Ich war inzwischen gezeichnet von Erfolgen und Misserfolgen im ständigen Schlagabtausch. Über Leistungen versuchte ich das Loch, genannt Hilflosigkeit, in mir zu stopfen. Neue Liebschaften, Reisen, Zerstreuungen. Nur meiner Hypochondrie verdankte ich es, nie Interesse an Drogen gehabt zu haben. Einem angeborenen Nierenschaden, nicht zu tief ins Glas zu gucken.
Scheitern und Aufstehen
Mit den Geburten meiner Kinder begab ich mich nochmals tiefer in meine eigenen Wunden. Ich erkannte nun, dass ich gar nicht wusste, wie sich eine Familie anfühlen würde und vertrug diese Selbsterkenntnis nur schwer. Ich liebte meine Kinder, ich war aber nicht in der Lage, mich selbst zu lieben.
Ja, ich mochte, was aus mir geworden war. Mein Humor, meine Eloquenz, meine Attraktivität in rechtem Licht. Ich war außerdem inzwischen stolze Mieterin einer immer aufgeräumten Wohnung und fand mich pünktlich in meinen wechselnden Jobs ein. Nur so richtig stabil war ich nie.
Erst als ich mich nochmals für eine neue Fachrichtung entschied, mich außerdem völlig unabhängig von Männern machte (so dachte und hoffte ich zumindest), gelang es mir, Glück zu fühlen. Mein Selbstwertgefühl schwankte zwischen grandiosem und vulnerablem Narzissmus. Ich war entweder stolz oder zutiefst verunsichert. Dazwischen gab es wenig.
Es ist okay, dass wir uns traurig fühlen und uns die nackte Angst packt. Es ist okay, wieder drei Schritte zurück zu gehen und mit Abstand auf die neue Situation zu blicken, die sich eigentlich sogar sehr gewohnt anfühlt.
Auf alle schönen Momente, all den gelebten Alltag, den ich so sehr liebte, an dem ich mich so sehr festklammerte und den ich nach den Jahren der Dramen stolz trug wie einen warmen Mantel, folgte wieder Scheitern. Eine Trennung, ein Abschied, viele Unsicherheiten und dann eine Pandemie, für die niemand etwas konnte und der ich genauso machtlos wie alle anderen gegenüberstand.
Wieder lief ich Gefahr, durcheinander zu geraten. Wieder lief ich stundenlang durch die klirrende Kälte, aß schlecht, schlief unruhig, dachte, grübelte und verhedderte mich in den Armen irgendwelcher Männer.
Wieder saß ich staunend und traurig in einer Arztpraxis, wählte nach zwei Jahren Therapieabschluss die Nummer meiner ehemaligen Begleiterin und schämte mich, fühlte mich schuldig und verärgert.
Nur eines fühlte ich nicht: Hoffnungslosigkeit.
Hinter alle dem, was ich bereits vom ersten Tag meines Lebens durchmachen musste und selbst wenn es nur ein traumatisches Erlebnis im Leben eines Menschen wäre, was kurzzeitig oder länger in die Knie zwingt, es ist okay.
Es ist okay, dass wir uns traurig fühlen und uns die nackte Angst packt. Es ist okay, wieder drei Schritte zurück zu gehen und mit Abstand auf die neue Situation zu blicken, die sich eigentlich sogar sehr gewohnt anfühlt. Es ist auch okay, wieder unerklärlich schwach, weich und bedürftig zu sein, wenn der Auslöser gedrückt wird und Seele und Körper ins Ungleichgewicht geraten.
Hinter all diesen Geschichten, meinem persönlichen Weg, steckt eine Menge Scheitern. Es steckt aber auch eine enorme Kraft, viel Mut und das Wissen darum, wie wunderbar es sich wieder anfühlen wird, wenn die Probleme gelöst und der Schmerz bewältigt sind.
Ich freue mich auf dieses Gefühl. Schon heute.
Headerfoto: Amanda Souza via Unsplash.com. (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!