Wenn unsere Autorin an ihre vergangene Beziehung zurück denkt, fühlt sie eigentlich nichts mehr außer Dankbarkeit, dass sie einem Menschen so nah kommen durfte, der sie wirklich berührt hat.
Dieses namenlose Gefühl in dir
Wenn du die Augen schließt und dich auf dieses namenlose Gefühl in dir konzentrierst, entsteht ein Bild dazu. Schmerz zum Beispiel ist ein riesiger, schwarzer Planet, der sich gemächlich bewegt, schwarzes Feuer spuckt, immer da ist, aber auch immer da bleibt. Etwas auf Abstand.
Angst ist kaum zu fassen, sie bewegt sich rasend schnell, wie weißes, hektisches Licht. Hat Angst vor sich selbst und der Welt. Man möchte sie an die Hand nehmen, wie ein kleines Kind und sie beruhigen, aber das geht nicht. Sie hat nicht wirklich vor etwas Angst, sie ist einfach Angst. Freude ist wie ein Blumenstrauß in meinem Brustkorb. Warmes Sonnenlicht prickelt auf den Blüten und in meinem Herzen.
Gefühle haben Formen, werden zu Bildern, wenn du nur lang genug die Augen schließt.
Wut ist schneidendes, gleißendes Licht in meinem Zwerchfell. Als würde sie mich einmal in der Mitte zerteilen. Sie ist so unglaublich kräftig, mächtig, trennend. Wie eine Wucht aus dem All fetzt sie einmal durch mich hindurch. Sie ist geballte Energie, so kraftvoll, so endgültig, dass ich nichts mehr sehen kann.
Reue ist ein schwarzes Loch in meinem Bauch. Scham ist ein schweres Gewicht auf meinem Haupt und meinen Lidern. Beide drückt sie nieder. Scham ist Rückzug, Aufgabe, das Loslassen jeglichen Anspruchs. Liebe ist ein warmes, lebendiges und gütiges Gefühl in meiner Haut. Mein ganzer Körper ist erfüllt und bedeckt davon. Jede Faser meiner Haut strahlt sie aus und ermöglicht so Berührung.
Ich fühle …. „Nichts“
Ich sitze hier mit geschlossenen Augen, doch es entsteht kein Bild für dieses namenlose Gefühl in mir. Es ist, als wäre das „Nichts“ das passende Bild. Eine Leere, wo einst Fülle war. Man könnte denken, „Nichts“ kann nicht weh tun. Aber jedes Mal, wenn ich ein Bild von dir sehe, fällt mir auf, dass da nichts mehr ist, wo früher einmal so viel, so unendlich viel war. Das nennt man Verlust.
Verlust bedeutet, etwas, das mal da war, ist jetzt nicht mehr da. Das „Nichts“ tut auch nicht weh, sondern die Erinnerung an das, was vor dem „Nichts“ da war. Die Erinnerung, sie ist, als würde man eintauchen in ein altes Leben. Fühlen, was man damals fühlte. Sehen, was man damals sah. Halten, was man damals hatte.
Das ‚Nichts‘ tut auch nicht weh, sondern die Erinnerung an das, was vor dem ‚Nichts‘ da war.
Ich sehe dich
Wenn ich jetzt die Augen schließe, entsteht langsam ein Bild, ein Film, eine ganze Welt, für das namenlose Gefühl in mir. Wenn ich die Augen schließe und nach innen blicke, die Tore aufschiebe zu diesem alten Leben, sehe ich dich lachen. So befreit und grenzenlos, als hättest du gerade entdeckt, dass die Welt in Wahrheit wunderschön und in Grunde gut ist.
Ich sehe, wie die Neugier dich packt, Feuer in deinen Augen brennt und du dich aufmachst in die Welt. Ich sehe, wie du dich manchmal erschreckst und dann so unglaublich stark bist. Wie du deinen Mut auspackst und weiter hinschaust. So lange, bis du gemeistert hast, was dich zuvor noch überforderte. Ich sehe, wie du traurig und dabei so berührend menschlich bist. Alle Bilder von dir sind in kräftigen Farben und strotzen vor Lebendigkeit.
Manchmal sehe ich dich, wie du weich und nachgiebig bist. Augenblicke, in denen wir uns berühren konnten, wirklich berühren konnten. Ich erinnere mich an deine Augen, die so nah vor meinen sind. So groß und klar und tief und einladend. Ich erinnere mich daran, dass Glück auf einmal ein Gesicht hatte.
Ich erinnere mich daran, dass Glück auf einmal ein Gesicht hatte.
Wenn ich diese Tore aufschiebe und in dieses alte Leben blicke, sehe ich dich auch wütend. Tobend. Außer dir. Ich sehe die Verzweiflung dahinter, den Schmerz, der dich zum Explodieren brachte. Ich sehe Unsicherheit, wenn deine Strategie nicht funktioniert. Ich sehe wahnsinnig viel Kompetenz, unfassbar viele Facetten, unendlich viele Bilder von dir. Wenn ich zurückblicke, zum letzten Bild von dir, sehe ich dich traurig. In diesem Moment trägst du den gleichen Verlust wie ich in dir.
Trotz Verlust bin ich vollständig
Ich schließe langsam wieder die Tore. Es ist komisch. Da ist dieser Verlust und trotzdem bin ich vollständig. Mir fehlt nichts. Alle Stücke von mir sind da. Und ich frage mich, ob ich wirklich etwas verloren habe. Manchmal erscheint uns der ganz natürliche Verlauf der Dinge wie ein Verlust. Etwas entsteht und vergeht. Etwas ist da und dann ist es nicht mehr da. Du atmest ein und dann atmest du aus. Du bist immer noch da, nur einen Atemzug reicher. Es ist kein Verlust, was ich da spüre. Da war eine Begegnung, ein Stück verwobener Lebensweg. Eine gemeinsame Reise, ein geteiltes Leben und nach seinem Ende die Erinnerung daran.
Du atmest ein und dann atmest du aus. Du bist immer noch da, nur einen Atemzug reicher.
Dass wir uns begegnen durften, ist ein Wunder. Das wussten wir auch damals schon. Wir wurden einander geschenkt und auch das wussten wir damals schon. Ich bin dankbar für jede Erinnerung an dich – die schönen und die schrecklichen. Ich bin so dankbar für alle Facetten, die ich von dir erlebt habe, weil das dem, der du bist, am nächsten kommt. Manches hat mir nicht gefallen, vieles hat mich verletzt, aber nichts davon hätte anders sein sollen. Sonst wäre wir uns nie begegnet. Nie wirklich begegnet.
Eine Begegnung ist ein spontanes Treffen mit Ende.
Ich habe aufgeblickt, dich gesehen, die Welt stand still und dann war es zu Ende. Nur ein Augenblick und doch – mein größtes Wunder.
Inaniel schreibt manchmal düster, manchmal sonnig, immer irgendwie am Leben dran.
Headerfoto: Saul Joseph (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!