Liebst du mich auch noch, wenn ich Grenzen setze? Warum es mir in meiner Beziehung so schwerfällt, Nein zu sagen

Ich stehe in der Küche und bereite das Abendessen zu. Meine Hündin steht an der Schwelle zur Küche. Sie weiß, dass sie während des Kochens die Küche nicht betreten darf. Sie beobachtet mich. Als ich mich kurz wegdrehe, setzt sie einen Fuß in die Küche. Ich sehe es und reagiere mit einem lauten und bestimmten «Nein!».

Die Szene mit meiner Hündin ist Alltag. Ich setze ihr Grenzen, sie versucht, diese zu umgehen. Ich bin konsequent und geradlinig, sie ist frech und eigensinnig. So klar und konsequent ich meine Grenzen gegenüber meiner Hündin kommunizieren und durchsetzen kann, so unsicher und unstetig mache ich das mit meinen Nächsten. Wieso ist das so?

Grenzen in meiner Beziehung

Ich sitze in meinem Bett. Meine Hündin schläft in ihrem Körbchen und ich höre ihr Schnarchen. Ich kann nicht schlafen. Ich zerbreche mir den Kopf. Wieder ist es geschehen. Wieder habe ich mich zu wenig für meine Grenzen eingesetzt. Die Schwelle zur Küche wurde zu oft übertreten und nun mag ich nicht mehr. Ich bin zu wenig für meine Grenzen eingestanden und nun mag ich sie nicht mehr diskutieren und nicht mehr verteidigen. Ich mag nicht mehr.

Ich bin zu wenig für meine Grenzen eingestanden und nun mag ich sie nicht mehr diskutieren und nicht mehr verteidigen. 

Das mit uns hat schön begonnen. Wir ließen uns Zeit, um uns kennenzulernen und haben uns über Monate getroffen. Wir hatten viele ehrliche und tiefe Gespräche. Ich habe dir von meinen Ängsten erzählt und dir meine Narben gezeigt und du mir deine. Wir haben über unsere Erwartungen an eine Beziehung und aneinander gesprochen. Wir wurden ein Paar. Ich war glücklich. Du warst glücklich. Doch wir gerieten aus dem Gleichgewicht. Du wolltest mehr von mir, mehr Nähe, mehr Einbezug in mein Leben, mehr Treffen und mehr Zukunftspläne.

Du wolltest mehr von mir, mehr Nähe, mehr Einbezug in mein Leben, mehr Treffen und mehr Zukunftspläne.

Ich fühlte mich eingeengt, verstand aber dein Bedürfnis. Wir sprachen darüber. Du bist bereit, dein Bedürfnis zurückzustellen. Du leidest darunter, was ich subtil zu spüren bekomme. Ich leide darunter, weil ich dich nicht glücklich mache. Ich leide, weil ich dir nicht das geben kann, was du dir wünschst. Ich will, dass du glücklich bist. Und so führt es dazu, dass ich dich etwas öfter treffe, dass ich dich mehr einbeziehe, dass wir unsere Zukunft planen. Von allem etwas mehr, als mir wohl ist und doch nicht genug, dass es für dein Glücklichsein reicht.

Und genau das ist der Punkt, welchen ich immer wieder erreiche. Ich bin bereit, meine Grenze zu verlegen, gebe Boden frei, doch es genügt nicht. Und an diesem Punkt verspüre ich Wut und Ohnmacht und reagiere mit Rückzug.

Meine Grenzen verschwimmen

Ich ziehe den Vergleich zur Szene mit meiner Hündin. Sie sitzt wieder an der Schwelle zur Küche und wagt einen Schritt hinein. Ich sage ihr, dass ich das nicht möchte, reagiere jedoch nicht mit einem klaren «Nein.». Sie erklärt mir, dass sie so durstig sei und ihr Wasser nun mal in der Küche stehe. Ich kann ihr Bedürfnis nachvollziehen und wiege ab, ob es nun wichtiger ist, dass sie trinken oder dass ich in Ruhe das Essen zubereiten kann.

Ich erlaube ihr den Gang zum Napf. Und somit sind wir bei meinem Kernproblem. Ich nehme mich selbst zu wenig wichtig und werte die Bedürfnisse der anderen als wichtiger. Dadurch verschwimmen meine Grenzen. Sie werden unklar. Ganz leise ziehe ich sie enger um mich und gebe Boden frei. Immer etwas mehr, bis ich mich so eingeengt fühle, dass es nicht mehr geht.

Ich nehme mich selbst zu wenig wichtig und werte die Bedürfnisse der anderen als wichtiger. Dadurch verschwimmen meine Grenzen.

Meine Hündin trinkt aus ihrem Napf. Jedoch verlässt sie daraufhin die Küche nicht, sondern stellt sich neben mich. Ich werde wütend. Wütend, dass sie meine Großzügigkeit nicht wertschätzt und ausnutzt. Wütend, weil ich es als respektlos und ungerecht empfinde. Ich werde so wütend, dass ich meine Hündin für den Moment in den Garten sperre. Meine Hündin kann diese Reaktion unmöglich einordnen und nachvollziehen. Schließlich habe ich ihr den Gang zum Wassernapf erlaubt. Dieses Szenario würde mit meiner Hündin jedoch nie so verlaufen. Gegenüber meiner Hündin bin ich konsequent und gradlinig. Ich kann zu meinen Grenzen stehen.

Verlustängste

Bei meinen Nächsten traue ich mich viel weniger. Ich habe Angst, mein Gegenüber vor den Kopf zu stoßen. Ich habe Angst, mein Gegenüber zu verletzen. Ich habe Angst, nicht ernstgenommen zu werden und ich habe Angst, nicht geliebt zu werden. Und nun sitze ich hier im Bett und weine. Ich weine, weil ich mich eingeengt fühle in unserer Beziehung. Ich weine, weil ich meine Grenzen verschoben habe. Ich weine, weil es dennoch nicht genügt. Ich weine, weil ich mich zurückgezogen habe. Ich weine, weil ich dich gerade ausschließe. Ich weine, weil du mir fehlst. Und vor allem weine ich aus Angst.

Ich habe Angst, dass ich dir mit meinen Grenzen nicht genug bin. Dass ich dir nicht reiche, dass ich dich nicht glücklich machen kann. Ich habe Angst, dich zu verlieren. Aus diesem Grund verlege ich meine Grenzen, gebe mehr, als mir wohl ist, und im Kampf darum, dich nicht zu verlieren, verliere ich mich. Ich gebe immer mehr Boden frei, bis da kein Boden mehr ist. Bis ich nichts mehr geben kann.

Ich verlege meine Grenzen, gebe mehr, als mir wohl ist, und im Kampf darum, dich nicht zu verlieren, verliere ich mich.

Unsere Geschichte könnte hier enden. Aber das will ich nicht. Also mache ich einen Schritt auf dich zu. Ich erzähle dir von meinen Grenzen, von meiner Wut und meiner Angst. Ich habe Angst vor deiner Reaktion. Du schaust mich an und sagst mir, dass du mich mit meinen Grenzen liebst. Du sagst mir aber auch, dass es dich verletzt, wenn ich dich ausgrenze. Mir wird klar, dass ich dich durch meine Grenzverschiebung nicht glücklich mache. Im Gegenteil. Du fühlst dich in meinem Prozess ausgegrenzt.

In meinem Beispiel sitzt du mit meiner Hündin im Garten und kannst meine Reaktion nicht nachvollziehen. Ich öffne die Tür zum Garten und lasse euch beide rein. Rein in die Wohnung und rein in mein Herz. Ich will dich in meinem Leben. Ich will mich aber auch nicht selbst verlieren. Dazu möchte ich lernen, mein «Nein» laut und deutlich zu sprechen. Ich möchte lernen zu meinen Grenzen zu stehen. Und ich möchte lernen, dir zu vertrauen. Ich möchte dir glauben, dass ich dir genüge und dass du mich auch mit meinen Grenzen liebst.

Jokita hat, seit sie denken kann, Gedanken. Viele Gedanken. Die Gedankenproduktion ist stets schneller als die Verarbeitungsabteilung, was regelmäßig zu Überforderung führt. Um dieses Chaos zu bändigen, schreibt sie und versucht so, die Gedanken zu ordnen. Wenn das auch nicht gelingt, zettelt sie einen Sitzstreik an und fordert bessere Arbeitsbedingungen und weniger Gedanken.

Headerfoto: Megan Ruth. (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

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