Es ist eine merkwürdige Stille in meiner Wohnung. Dass ich gestern so aufgeregt war wie als Kind vor Weihnachten, dass du gerade noch hier warst, mich angesehen, berührt, mich begehrt hast… es scheint, als wäre das ewig her. Und ich frage mich, wie ich mich damit fühle. Will ich dich wiedersehen, will ich eine weitere Nacht? Ich weiß es nicht.
Ich weiß nicht mal, wann wir uns wiedersehen… dürften. Dürften, denn du gehst nicht allein durch den Alltag. Und der Gedanke daran ist unangenehm. Denn irgendwie wünschte ich, ich wäre deine alltägliche Begleitung. Gleichzeitig weiß ich, dass du deinen Freiraum brauchst und eben nicht nur in Zweisamkeit lebst, sondern dich – in welchen Abständen und mit welcher Frequenz an Dates auch immer – außerhalb umschaust.
Du sagtest gestern, du seist sehr froh, dass wir uns nochmal gefunden haben. Gefunden auf Tinder. Wohooo. Ist das feiernswert? Für dich anscheinend schon, ich bin mir da nicht so sicher.
Die ersten 24 Stunden nach unserem ersten Treffen vor genau vier Wochen war ich wie angeknipst, so euphorisch, weil du mich so begehrt hast. Deine Blicke, deine Worte, deine Berührungen, alles war Balsam für meine Seele. Ich wollte mehr, mehr, mehr… und das versuchte ich dir mit kryptischen Nachrichten zu sagen.
Den Chat schließen – das heißt, den Kontakt komplett zu beenden, denn uns gibt es nur auf Tinder.
Du warst relativ nüchtern und sagtest, der Abend sei dir auch noch lange im Kopf geblieben, und dass du dich freuen würdest, wenn es eine Wiederholung geben würde. Gleichzeitig würdest du es akzeptieren, wollte ich den harten Cut und den Chat schließen. Den Chat schließen – das heißt, den Kontakt komplett zu beenden, denn uns gibt es nur auf Tinder.
Kein Ende ohne Rückfall?
Ich wählte damals den harten Cut und löste das Match auf – zu deiner Überraschung, wie du gestern sagtest. Du hattest das Gefühl, es passte alles zwischen uns, du hättest dich wohl gefühlt, hättest gedacht, ich täte das auch. Das habe ich. Zu wohl. Aber ich blieb allein zurück, während du nach Hause fuhrst, zurück in den Alltag, den du nicht allein bestreitest. Du bist am nächsten Tag nicht allein aufgewacht, musstest keine Sehnsucht aushalten.
Ich stürzte mich in die Arbeit, schließlich hatte ich einen neuen Job und Prüfungen vor mir, die beste Ablenkung überhaupt. Ich kann nicht mehr sagen, wie viele Stunden oder Tage mein Herz schwer war, hattest du mir doch DAS gegeben, wonach ich mich so sehr sehnte. Aber ich war froh, dass ich da so schnell wieder rausgekommen bin. Und stolz. Ja, stolz auf mich, denn ich kenne mich und weiß, wie es auch hätte laufen können.
Aber ich hatte Angst vor deiner Antwort. Denn du bist in einer offenen Beziehung. Und offene Beziehungen, richtige offene Beziehungen, haben Regeln.
Ich hätte mich verzehren, mich quälen können. Quälen, indem ich dir schreibe und dich wissen lasse, wie es mir geht, dass ich mehr will, dich frage, wann wir uns wiedersehen. Aber ich hatte Angst vor deiner Antwort. Denn du bist in einer offenen Beziehung. Und offene Beziehungen, richtige offene Beziehungen, haben Regeln. Und die können so unterschiedlich sein, wie jeder Mensch selbst.
Ich sagte dir gestern, dass ich nach unserem ersten Treffen viel über offene Beziehungen gelesen habe und für mich zu dem Schluss gekommen bin, dass die dritte Person in der Regel immer den Kürzeren zieht. Deine Antwort: „Wer ist denn die dritte Person?“ Ich stutzte kurz und dachte mir nur im Stillen „ich bin die dritte Person“… du scheinst es anders zu sehen. Wie, weiß ich nicht und ich will es auch nicht wissen.
Kurz danach lehnte ich mich zu dir rüber und gab dir somit zu verstehen, dass ich dich will. Jetzt. Und du hast mich wie beim ersten Mal angeschaut und mich fühlen lassen, dass ich genau das bin, was du jetzt willst.
Die nächsten Stunden verbrachten wir in meinem Bett. Ich mochte deine Berührungen, deine Blicke, den festen Griff deiner Hände und Arme, die mich danach ganz festgehalten haben. So, als würden sie mich nie wieder loslassen wollen. Und du sagtest immer wieder, wie schön du es gerade findest. Nach der ersten Runde war ich so voller Hormone und dachte das Gleiche.
Ich fragte mich, wie lange du noch bleiben, mich festhalten würdest, bevor du leise sagst, dass du dich langsam auf den Weg machen wirst.
Aber schon nach der Zweiten fingen meine Gedanken an zu kreisen. Ich fragte mich, wie lange du noch bleiben, mich festhalten würdest, bevor du leise sagst, dass du dich langsam auf den Weg machen wirst. Mich wieder zurücklassend. Ich fragte mich, wann wir uns nochmal wiedersehen. Und ich fragte mich, ob ich dich wieder per Tinder-Cut aus meinem Leben verbannen sollte!?
Die Frage überraschte mich selbst! Ich möchte dich und ich möchte genau das alles, aber ich möchte nicht jedes Mal zurückbleiben. Aber genauso ist es, genauso wird es immer sein. Du hast gemerkt, dass ich nachdenke und sagtest, du wüsstest gerne, was in meinem Kopf vorgeht.
Zu viel. Zu viel für mich selbst, zu viel, um es in Worte zu fassen. Ich schwankte zwischen “es ist so schön, lass‘ es immer so sein“, und dem Gedanken, dich aufzufordern, am besten sofort zu gehen. Damit dieses Gedankenkarussell endlich aufhört sich zu drehen. Aber du bist zu nett, als dass ich dich hätte vor die Tür setzen können.
Anstatt zu gehen, bist du diesmal geblieben. Zumindest etwas länger, denn du warst so müde, dass du nicht fahren wolltest. Für mich war das Glück – und Überforderung zugleich.
Headerfoto: Polina Kovaleva (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!