Triggerwarnung: Depression
Wir kannten uns als Jugendliche und sind uns durch gemeinsame Freund:innen nach Jahren wieder begegnet. Ich mag dich, du magst mich. Wir beginnen, uns zu treffen. Wir kommen uns näher, körperlich und emotional. Ich finde dich toll. Du bist ein guter Gesprächspartner, du bist emphatisch, intelligent und du bringst mich zum Lachen.
Ich weiß nicht, wie das mit uns weitergehen kann. Trotzdem will ich nicht auf dich verzichten.
Mein Leben ist aber gerade schwierig. Es fühlt sich alles so schwer an. Ich bin mit kleinen Aufgaben total überfordert und ich habe gerade so wenig Energie. Ich weiß nicht, wie das mit uns weitergehen kann. Trotzdem will ich nicht auf dich verzichten. Ich versuche, es dir zu erklären. Es ist schwierig. Es gibt kaum Worte, mit welchen ich mein Befinden erklären kann. Trotzdem versuchst du, mich zu verstehen. Du versuchst, darauf Rücksicht zu nehmen. Bist da, wenn ich dich brauche. Gibst mir Halt. Bist mein Rückzugsort. Mit dir kann ich den Moment genießen. Bei dir werden die Gedanken ruhiger. Bei dir komme ich zur Ruhe. Bei dir finde ich neue Energie. Mit dir fühlt sich alles weniger schlimm an.
Diagnose Depression
Doch dann kommen schwierigere Phasen. Dunkle Phasen. Immer wieder werde ich überrollt. Überrollt von Gedanken. Überrollt von den Anforderungen in meinem Leben. Überrollt von den Schwierigkeiten. Immer wieder ist mir alles zu viel. Mir fehlt die Energie für den Alltag und mir fehlt die Energie für dich, für uns. Ich ziehe mich zurück. Melde mich weniger bei dir. Sage unsere Treffen ab. Und es gibt kaum Worte, um dir zu erklären, weshalb ich das mache.
Ich stürze. Ich stürze über die Lebensumstände, über meine Gedanken, über meine Überforderung. Diagnose: Depression.
Trotzdem suche ich das Gespräch mit dir. Du bist mir wichtig. «Wir» sind mir wichtig. Doch an gewissen Tagen schaffe ich es nicht, mich darauf einzulassen. Es scheint mir alles zu viel. Ich stolpere durch die Tage und hoffe, nicht zu stürzen, bevor ich am Abend endlich mein Bett erreiche. Dann passiert genau das. Ich stürze. Ich stürze über die Lebensumstände, über meine Gedanken, über meine Überforderung. Diagnose: Depression.
Du an meiner Seite
Die Diagnose schockiert und beruhigt mich zu gleich. Ich habe es schon lange gespürt und bemerkt. Es schockiert, es zu hören. Es wird dadurch real. Die Diagnose beruhigt aber auch, weil all das in meinem Kopf endlich einen Namen hat. Nicht ich bin nicht okay, der Grund ist meine Depression. Wir treffen uns und ich erzähle dir davon.
«Ich erwarte nicht, dass du das alles mit mir trägst. Es ist okay, wenn es dir zu viel ist.»
«Ich erwarte nicht, dass du das alles mit mir trägst. Es ist okay, wenn es dir zu viel ist. Aber ich erwarte, dass du mir sagst, wenn du es nicht mehr tragen kannst oder willst. Falls du es aber tragen kannst und tragen willst, fände ich es schön, dich an meiner Seite zu haben.», habe ich zu dir gesagt. Deine Antwort hat mich berührt. «Ich mag dich. Eine Depression macht dich nicht weniger wertvoll und nicht weniger gut. Ich möchte das mit dir tragen und an deiner Seite sein.»
Du, ich und meine Depression
Ein Märchen würde an dieser Stelle enden. Leider stehen wir im Leben mit einem Fuß im Märchen und dem anderen im Abgrund. Die düsteren Gedanken, die Leere und die Abwesenheit von Empfindungen haben zwar endlich einen Namen, aber nun beginnt der Kampf. Der Kampf, wieder aufzustehen, wieder weiterzugehen und irgendwie damit klarzukommen. Oft bin ich energielos, lustlos und wortlos. Ich mag nicht. Ich mag nicht aufstehen. Ich mag nicht rausgehen. Ich mag nicht sprechen. Mir fehlt die Energie für meinen Alltag. Manchmal bin ich nicht fähig, einen geplanten Tag durchzustehen. Wenn ich es nicht mal schaffe, den Tag bis zum Abend durchzustehen, wie soll ich dann eine Zukunft planen? Wir sollen wir eine Zukunft planen?
Wenn ich es nicht mal schaffe, den Tag bis zum Abend durchzustehen, wie soll ich dann eine Zukunft planen?
Doch für dich ist das in Ordnung. Du bist an meiner Seite und stützt mich. Ich lerne, darüber zu sprechen. Ich lerne, mit dir darüber zu sprechen. Ich lerne, dir zu sagen, wenn es mir nicht gut geht und ich lerne, dass es hilft, wenn ich dir davon erzähle. Ich lerne auch, dass es dir hilft, mich zu verstehen. Ich lerne, dass es dir Orientierung gibt, dass du die Situation besser einschätzen kannst. Ich erfahre, dass auch du dich öffnest. Wir zeigen uns unsere Narben und lernen, zu vertrauen.
Schmerz und Hoffnung
Trotzdem gibt es immer wieder Tage, an denen ich mich nicht auf uns einlassen kann. An denen mir alles zu viel ist. Ich mich von allem erdrückt fühle und nicht auf dich zugehen kann. Du hältst das aus und wartest. Du reichst mir deine Hand und wartest, bis ich sie ergreife. Und immer öfter greife ich in solchen Situationen nach deiner Hand und lasse mich halten.
Immer öfter greife ich in solchen Situationen nach deiner Hand und lasse mich halten.
Heute hatte ich einen schlimmen Tag. Die Gedanken waren laut, so laut. Sie haben mich erdrückt. Sie haben mich ins Bett gedrückt und ich konnte nicht aufstehen. Ich konnte nicht zur Arbeit gehen. Wieder nicht. Ich traute mich, dir dies mitzuteilen. Wir haben telefoniert. Du hast an meinem Schmerz und an meiner Wut anteilgenommen und hast mich gestützt. Du hast deine Arbeit früher beendet und kamst zu mir. Du hast mich gehalten, bis die Tränen versiegten und nahmst mich in den Arm, wenn sie wieder kamen. Und nun, nun liegen wir in meinem Bett. Du schläfst und ich liege wach. Ich liege wach und schreibe in meinem Kopf diesen Text. Ein Text über Schmerz, Ohnmacht und Überforderung, aber auch ein Text über Hoffnung, Mut und über Liebe.
Dir geht es gerade nicht besonders gut und du weißt nicht, wie du das alleine schaffen sollst? Hier sind ein paar Anlaufstellen, bei denen du Hilfe finden kannst:
Anlaufstellen: Ein Besuch beim Hausarzt/der Hausärztin deines Vertrauens kann ein guter erster Schritt sein. Unter www.therapie.de findest du freie Psychotherapieplätze in deiner Nähe. Freunde fürs Leben e.V. bietet neben ganz vielen Informationen zu Depressionen auch solche zu Hilfsangeboten. Unter 0800-1110111 erreichst du jederzeit die Telefonseelsorge, wenn du dringender Hilfe brauchst und unter 116-111 das Kinder- und Jugendtelefon.
Für Angehörige, also Familie, Partner:innen und Freund:innen, bieten die AOK und die Deutsche Depressionsliga e.V. Unterstützung und Beratung für den Umgang mit den Depressionen ihrer Liebsten.
Ihr seid nicht allein !<3