Liebe an Weihnachten – endlich in Harmonie mit der Familie. Eine Checkliste

Weihnachten – das Fest der Liebe, aber auch Zeit des großen Zoffs: Hektik, falsche Erwartungen und eine Verklärung des Familienbildes werden oft als Gründe genannt, wenn an Weihnachten die Fetzen fliegen. Dabei gibt es doch nichts Schöneres als Weihnachten. Das letzte christlich-gesellschaftliche Ritual, das wirklich alle erreicht. Nur positive Assoziationen.

Tannenbaum, Geschenke, Zeit mit der Familie, viel gutes Essen, Gemütlichkeit – all das kommt den Deutschen in den Sinn, wenn sie an die Festtage denken. Die Kirchen sind voll, der Weihnachtsschmuck schafft eine behagliche Atmosphäre und „All I Want For Christmas Is You“ lässt die Seele baumeln. Mehr Frieden und Harmonie scheint nur im Paradies möglich.

Weihnachtszeit ist Krisenzeit

Tatsächlich ist dies jedoch nicht mehr als ein Wunschdenken, denn in der Retrospektive ist Weihnachten nur für drei Gruppen eine tolle Sache: Kinder, Familientherapeut:innen und Scheidungsanwält:innen. Die freuen sich über Geschenke bzw. neue Kund:innen und Mandant:innen.

Warum? Weil Weihnachten Krisenzeit ist und allzu häufig gerade zum Fest der Liebe der Haussegen gewaltig schief hängt. Man fährt hunderte von Kilometern, um sich mit der gesamten Familie zu treffen – und dann endet doch alles wieder im Zoff. Meist wegen Kleinigkeiten: Der Tannenbaum ist schief, der Nachtisch nicht so lecker wie im Vorjahr und das Geschenk eine Geschmacksbeleidigung.

In der Retrospektive ist Weihnachten nur für drei Gruppen eine tolle Sache: Kinder, Familientherapeut:innen und Scheidungsanwält:innen.

Das Problem: Auf dem Weihnachtsfest lastet ein viel zu hoher Erwartungsdruck. Wunsch und Wirklichkeit lassen sich nicht in Einklang bringen, lautet unisono die Erklärung der Expert:innen, die Jahr für Jahr dieses Phänomen zu erklären versuchen.

Ist halt so, denkt man sich achselzuckend und versucht, es im kommenden Jahr etwas gelassener anzugehen und gönnerhaft über die kleinen und großen Sticheleien im Familienkreis hinwegzusehen. Und so wird wieder mal alles schöngeredet – doch der dahinterliegende Konflikt bleibt.

Jede:r steht sich selbst am nächsten

Der Knackpunkt ist, dass keine:r dem:der andere:n seine:ihre Bedingungen für die gemeinsame Feier nennt – so entstehen unausgesprochene Erwartungen und jede:r hat den Anspruch, dass diese erfüllt werden müssen.

So wird ausgerechnet das Fest der Liebe zum Fest der Ignoranz: Jede:r geht davon aus, dass die eigenen Vorstellungen die richtigen sind und sie deswegen auch nicht verhandelbar sein müssen. „Das haben wir immer so gemacht“, „Man isst doch nicht vor der Bescherung“, „Der Baum wird erst nach der Kirche enthüllt“, „Alle schenken allen etwas“ und so weiter.

Im Kampf um das „richtige“ Fest, geht es nur darum, die eigenen Vorstellungen durchzudrücken. Dieses Phänomen begleitet uns zwar das gesamte Jahr, doch an Weihnachten wird es besonders offensichtlich, weil alle zusammentreffen – oder glauben, zusammentreffen zu müssen.

Im Kampf um das „richtige“ Fest, geht es nur darum, die eigenen Vorstellungen durchzudrücken.

Eltern, Geschwister, Großeltern, Onkels, Tanten leben unterschiedliche Lebenskonzepte und Werte. Die Schwägerin mag‘s bescheiden, der Cousin eher luxuriös – was ist die „richtige“ Art zu leben? Keine. Oder beide.

Sich „missionarisch“ zu begegnen, erzeugt Kampf. Sich interessiert zu begegnen, ist nur möglich, wenn man die eigenen Vorstellungen von richtig und falsch aufgibt. Aber weil dazu eben kaum eine:r bereit ist, verkommt Weihnachten zur ganz profanen Zusammenkunft der Deals: Unterm Strich geht es um die Beschwichtigung schwellender Konflikte, eine emotionale Grundversorgung und letztlich auch um materielle Werte.

Weihnachten – das ist allzu oft eine lästige Verpflichtung, weil man z. B. die Eltern endlich mal wieder besuchen musste, die aber natürlich sofort spüren, dass ihre Nachkommen den Besuch nur als Pflichttermin sehen. Emotional denkbar schlechte Voraussetzungen für ein friedliches Zusammensein.

Es muss von Herzen kommen, was auf Herzen wirken soll

Doch wie kann man dieser Falle tatsächlich entkommen? Zunächst einmal: Wir haben die freie Wahl, etwas zu tun oder eben nicht zu tun – auch bei der Frage, wie und mit wem wir unser Weihnachtsfest verbringen wollen.

Die Feststellung allein mag simpel klingen, doch tatsächlich ist es für die meisten das Schwierigste, sie in Fleisch und Blut übergehen zu lassen. Wer meint, an Weihnachten Erwartungen erfüllen zu müssen, zwängt sich ohne Not in ein gesellschaftliches Korsett. Das machen tatsächlich viele, weil sie glauben, dadurch ihrerseits wiederum etwas bei der Gegenseite beanspruchen zu können – sei es nun die regelmäßige Kinderbetreuung oder ein kleiner Zuschuss fürs neue Auto.

Es drängt sich aber die Frage auf, wohin das in letzter Konsequenz führt – nämlich in eine emotionale und auch materielle Abhängigkeit.

Es drängt sich aber die Frage auf, ob das den Preis wert ist und wohin das in letzter Konsequenz führt – nämlich in eine emotionale und auch materielle Abhängigkeit. Um ein wirklich selbstbestimmtes und damit glückliches Leben führen zu können, ist das jedoch das Letzte, was man sich selbst und anderen zumuten sollte.

Also, falls Sie noch in der Planung für die Weihnachtsfeiertage stecken, vielleicht halten Sie ganz kurz inne und stellen sich die essentiellste Frage in diesem Zusammenhang: Wie würden Sie Weihnachten verbringen, wenn es Ihr letztes Weihnachten wäre? Mit welchen Menschen würden Sie die Zeit verbringen wollen? Wären Sie bereit, für Wahrhaftigkeit und Nähe Ihre Vorwürfe und Ansprüche aufzugeben?

Wie würden Sie Weihnachten verbringen, wenn es Ihr letztes Weihnachten wäre?

Das ist alles viel zu radikal, werden Sie jetzt vielleicht einwenden. Okay, dann nähern wir uns dem Thema zunächst in kleinen Schritten: In jedem Bereich des Lebens gibt es klare Spielregeln – beim Fußball, in der Arbeitswelt und idealerweise auch in der Kindererziehung.

Definieren Sie diese auch für Weihnachten, machen Sie sich selbst Ihre Bedingungen für ein glückliches Weihnachtsfest klar und lassen sie diese alle anderen wissen: Worüber darf gesprochen werden und worüber nicht, was gibt es zu Essen und was nicht, was soll geschenkt werden und was nicht, wann sollen die Gäste kommen und wann sollen sie wieder gehen.

Vor allem: Wer soll kommen und wer nicht. Klar zu sagen, welche Bedingungen man erfüllen und genauso auch nicht erfüllen will, ist ebenfalls ein Ausdruck von Liebe. Denn: Mit jemanden Zeit zu verbringen, obwohl man dies eigentlich gar nicht will, ist für den:die andere:n schon eine Entwertung. Wenn alle sich wirklich sagen, was sie wollen und nicht wollen, kann Weihnachten wieder zum Fest der Liebe und Wahrhaftigkeit werden. In diesem Sinne: Eine besinnliche Weihnachtszeit!

LIEBE AN WEIHNACHTEN – Eine Checkliste von Patrizia Voigtländer

  • Wie würden Sie Weihnachten am liebsten verbringen, wenn es nicht darum ginge, Erwartungen zu erfüllen?
  • Warum tun sie nicht, was sie lieber täten? Welche Konsequenz, die eintreten könnte, wollen Sie vermeiden?
  • Welche Erwartungen haben Sie an andere und halten am Erfüllen dieser fest – vielleicht schon wissend, dass diese (wieder) nicht erfüllt werden?
  • Wollen Sie verstrickt sein oder frei? Sollen andere mit ihnen verstrickt sein oder frei?
  • Was ist der Vorteil, etwas zu tun, obwohl man es nicht will? Was könnten sie fortan bei wem nicht mehr beanspruchen, wenn sie Weihnachten anders oder ohne ihn gestalten?
  • In Bezug auf wen oder was glauben Sie, an Weihnachten nicht die freie Wahl zu haben bzw. bei wem oder was denken Sie, gezwungen zu sein? Stimmt das wirklich?
  • Ist Liebe sich zum Zusammensein zu zwingen oder sich freizugeben für das, was man am liebsten mag?
  • Wie würden Sie Weihnachten verbringen, wenn es Ihr letztes Weihnachten wäre? Wären die Erwartungen und das Erfüllen dieser dann immer noch wichtig?

Bei allen Fragen kann man „Weihnachten“ auch durch „Leben“ ersetzen: Das verdeutlicht, wie sehr wir Menschen glauben, Dinge tun oder nicht tun zu MÜSSEN, obwohl wir WÄHLEN, sie zu tun oder nicht zu tun!

Patrizia Voigtländer ist Geschäftsführerin und Trainerin bei der Contextuellen CoachingAcademie, die Trainings in Lebensbereichen wie Partnerschaft, Familie und Beruf anbietet. Als Expertin unterstützt sie die Teilnehmer:innen, sich persönlich weiterzuentwickeln. Sie ist seit acht Jahren glücklich verheiratet und Mutter von zwei großartigen Söhnen.

Headerfoto: Julia Szymik

 

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