Hi, ich bin Lisa, 28 Jahre alt, und ich lebe polyamor. Heißt, ich habe mehrere Partner, mit denen ich zur gleichen Zeit romantische Gefühle verbinde. Ja, das funktioniert – und ja, alle beteiligten Personen wissen voneinander. Es gab allerdings Zeiten, da wäre ich daran fast verzweifelt.
Angefangen hat alles mit einem kleinen Flirt. Ich fand ihn spannend, er fand mich spannend, wir schrieben, wir telefonierten, wir verabredeten uns zum Treffen. Irgendwann kam zögerlich die Beichte: Er würde mich ja sehr mögen und nicht wollen, dass ich verschreckt wäre, aber da wäre noch jemand anderes. Und der jemand wüsste Bescheid und wäre sogar froh, wenn wir uns treffen würden.
Ich ließ mich darauf ein. Ich kannte das Konzept „Polyamorie“, Vielliebe, von Freund:innen, und ich wusste, dass es Konflikte mit sich bringt, die ich als (noch) monogamer Mensch alle gar nicht erahnen konnte.
Das erste Mal Polyamorie: Alles war rosarot
Ich schwebte auf Wolke sieben, alles war großartig. Ich konnte mit dem Menschen zusammen sein, in den ich mich Hals über Kopf verliebt hatte, während sein Partner, mein „Metamour“, mich morgens mit Kaffee in der Küche begrüßte und mit mir über Gott und die Welt plauschte. Mit Partnern und Partnerinnen liefen wir händchenhaltend zu fünft durch Fußgängerzonen, gingen ins Kino, knutschten in der Straßenbahn.
Ich war glücklich, mein Plätzchen auf der Welt gefunden zu haben, und hielt weiter die Augen offen. Denn warum nur einen Menschen lieben, wenn man doch die Freiheit hat, weitere potenzielle Partner B und C zu treffen, Erfahrungen zu sammeln und Vorlieben auszuleben, die man mit Partner A nicht verwirklichen kann?
Dann jedoch wurde es kompliziert. Ich musste anfangen, deutlich zu kommunizieren, was ich eigentlich wollte, wie ich mich fühlte (Woher zum Henker weiß man sowas?), die Missverständnisse über meine simpelsten Reaktionen nahmen überhand.
Ich fühlte mich vernachlässigt, zurückgestellt – und zog mich in meinen Down-Phasen weiter in mich selbst zurück, um nicht das Liebesglück der beiden anderen zu stören oder „kompliziert“ zu sein. Ich wollte doch gefallen!
Ich wollte immer wieder aus Situationen zu dritt raus, wollte allein über alles nachdenken. Gleichzeitig fühlte ich mich verpflichtet, mit meinem Metamour in derselben Tiefe zu kommunizieren wie mit meinem Partner, der dadurch immer wieder Vorwürfen ausgesetzt war, weil er scheinbar einen von uns beiden überging.
Ich fühlte mich vernachlässigt, zurückgestellt – und zog mich in meinen Down-Phasen weiter in mich selbst zurück, um nicht das Liebesglück der beiden anderen zu stören oder „kompliziert“ zu sein. Ich wollte doch gefallen! Das machte mich noch undurchsichtiger, ich wirkte bockig und stur, weil ich dieselben Fehler immer wieder zu machen schien.
Ich sprach nicht darüber, wie es in mir drin aussah, hielt mich für schwach und unfähig, mich „einfach nur“ in diese Beziehung einzufügen. Ich verstand nicht, dass Eifersucht auf ein viel tieferliegendes Gefühl zurückgeht – in meinem Fall: Selbstzweifel. „Werde ich überhaupt noch gebraucht?“, „Mein Metamour kann das viel besser ausfüllen als ich“, „Ich bin nicht wichtig genug, um meine Gefühle jetzt zu äußern.“ Das waren Gedanken, die mich immer und immer wieder beschäftigten.
Mein Partner fand keine Lösung für mich, verlor die Geduld und machte Schluss.
Ein Bruch und ein Neustart
Und dann erst fing ich an zu begreifen, dass die Liebe zu vielen Menschen eines noch so viel klarer voraussetzt als in der Monogamie: Selbstverständnis und Selbstfürsorge.
Es ging so viel mehr um mich als um die Beziehung. Ich hatte einfach nicht von mir gewusst, was ich brauche, was ich fühle und welche Handlungen was in mir auslösen. Und ist das nicht im Endeffekt der Schlüssel zu jeder guten Beziehung? Verstehen, wie man sich fühlt, was der oder die andere dazu beiträgt (oder auch nicht) und genau das zu kommunizieren.
Damit übertrete ich regelmäßig Tabus, die in meinen monogamen Beziehungen stillschweigend entstanden waren. Damit lösche ich alle wortlosen Annahmen, die ich bisher Partnern gegenüber gemacht hatte, und mache es mir unglaublich schwer. Und ich liebe es!
Deswegen versuche ich es jetzt noch mal. Langsamer, überlegter, und nach jedem Schritt mich selbst reflektierend. Ja, das ist echt anstrengend. Aber mittlerweile habe ich sehr wundervolle Partner, die sich kennen und gut verstehen. Und, viel wichtiger, ich verstehe mich selbst.
Headerbild: JC Gellidon via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt und zugeschnitten.) Danke dafür!