Die Bitte um die Pille danach wurde unserer Autorin damals im christlichen Krankenhaus empört abgelehnt. Zum Glück ist das Beschaffen der Notfallverhütung in Deutschland inzwischen leichter und weniger schambehaftet geworden. Eine persönliche Geschichte über Verhütung – davor und danach.
Mein Leidensweg mit der Antibabypille
Seit 18 Jahren habe ich Sex mit Männern. In der Zeit ist es ungefähr vier Mal passiert, dass ich mir die Pille danach besorgen musste, weil das Kondom gerissen ist. Die Pille nehme ich seit meinem zwanzigsten Lebensjahr nicht mehr und das ist nach wie vor eine der besten Entscheidungen, die ich bisher getroffen habe.
Zum Verständnis: In den frühen 2000er Jahren, als ich in die Pubertät kam, war es in meinem Umfeld, und ich bin mir sicher nicht nur in meinem, „normal“, dass Mädchen die Pille nahmen, sobald sie anfingen, aktiv Sex zu haben. Egal, ob vergeben oder single, die Pille gab es beim ersten Frauenarzt-Besuch, entweder ohne Zögern auf Nachfrage oder bereits beim Erstgespräch in zwei, drei Nebensätzen angepriesen, direkt auf Dauer-Rezept dazu.
Die Pille gab es beim ersten Frauenarzt-Besuch direkt auf Dauer-Rezept dazu.
Spannend, wenn ich an die aktuellen Diskussion einiger Trans-Gegner:innen denke, die sich vehement gegen Hormonpräparate während der Adoleszenz aussprechen, denn das sei „gegen die Natur, verantwortungslos und kindswohlgefährdend“. Na ja, die Pille, ebenfalls eine Hormonbombe, bekam ich mit 15 ohne Einverständniserklärung eines Elternteils – dafür mit jeder Menge Nebenwirkungen, die mir das Leben fortan schwer machen sollten, gratis dazu.
Von welchen Nebenwirkungen hier die Rede ist? Ganz einfach: In kurzer Zeit nahm ich einige Kilos zu, lagerte Wasser ein und fühlte mich von Monat zu Monat unwohler in meinem Körper, mehr noch als es zu dem Zeitpunkt eh schon der Fall war. Wenn die Pubertät reinknallt … sag ich da nur.
Außerdem hatte ich mit Stimmungsschwankungen, aber vor allem Tiefs zu kämpfen. Meine Libido wurde schwächer, wie praktisch: kein Sex, keine Schwangerschaft. Sicher war dieses Verhütungsmittel, zumindest für mich, also allemal. Mein erster Freund und ich stritten immer mehr, meine Unzufriedenheit belastete die Beziehung, ich wechselte das Präparat, wollte alles tun, um mich wieder „normal“ zu fühlen.
Meine Libido wurde schwächer, wie praktisch: kein Sex, keine Schwangerschaft. Sicher war dieses Verhütungsmittel, zumindest für mich, also allemal.
Neue Pille, neue Probleme: Kopfschmerzen, unfassbare Kopfschmerzen, wie ich sie bis dato nicht gekannt hatte. Dritter Versuch und auch dieses Mal ein Griff ins Klo, im wahrsten Sinne des Wortes, zumal mir ständig übel war. Immerhin legte sich das nach einer Weile und ich blieb bei dem Präparat, eine Minipille, minimalst dosiert – dennoch scheinbar zu viel für mein Gemüt.
Irgendwann hatte ich keinen Bock mehr, mich fremdbestimmt zu fühlen, nicht wohl in meinem Körper, nicht im Einklang mit mir selbst. Also war Absetzen die einzige Lösung und wie ich schnell merken sollte: ein Befreiungsschlag zugleich. Es dauerte keine zwei Monate und ich verlor das, was die Pille mir beschert, und bekam zurück, was sie mir genommen hatte. Tschau Wassereinlagerungen, hallo Libido.
An manchen Tagen fühlte es sich so an, als wollte mein Körper sich all die Leidenschaft und Orgasmen zurückholen, die ihm vorher versagt worden waren.
Selbst mein Umfeld bemerkte meine Wandlung – äußerlich und innerlich. Auf einmal wirkte alles weniger schwer, die Gedanken als auch meine Gliedmaßen. Und ich hatte Lust, unbändige Lust. An manchen Tagen fühlte es sich so an, als wollte mein Körper sich all die Leidenschaft und Orgasmen zurückholen, die ihm vorher versagt worden waren. Unterdrückt von Hormonen, hinter Selbstzweifeln versteckt.
Die Pille danach: stigmatisiert und schambehaftet
Andere hormonelle Verhütungsmittel kamen für mich nicht infrage und ein Kondom zu benutzen, ist sowieso Pflicht. Aber Kondome können reißen und Nachwuchs ist auch schon ohne „Reinstecken“, wie es der primitive Volksmund so schön nennt, überraschenderweise entstanden. Das erste Mal, ich war 21, versuchte ich mein Glück in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Bonn. Ich musste einen Schwangerschaftstest machen, obwohl der ungeschützte Geschlechtsverkehr nicht mal 24 Stunden und meine letzte Periode keine vier Wochen her war.
Danach wurde ich von einer Ärztin genauestens aufgeklärt, wie das Präparat sowie der weibliche Zyklus funktioniert und ermahnt, die Pille danach nicht als gängiges Verhütungsmittel zu betrachten. Alles klar, danke für die Info. Sie waren nett, dennoch fühlte ich mich schuldig, wie ein naives Kind, das eine Dummheit begangen hat und jetzt nachhaltig belehrt werden müsse. Ich nickte brav, lächelte höflich, gelobte Besserung während sich in meinem Kopf nur eines wiederholte: „Gib sie mir einfach. Bitte.“
Ich wurde ermahnt, die Pille danach nicht als gängiges Verhütungsmittel zu betrachten. Ich fühlte ich mich schuldig, wie ein naives Kind, das eine Dummheit begangen hat.
Das nächste Mal passierte es meiner damaligen Affäre und mir während unseres Auslandssemesters in Barcelona und ich fand mich am nächsten Tag in einem Altbau auf den Ramblas wieder und googlete, wie man in Spanien an die Pille danach kommt. Es stellte sich heraus: ganz einfach, rezeptfrei in der Apotheke. Damals, 2012, sollte ich das Präparat also auf dem gleichen Weg bekommen, wie es in Deutschland offiziell seit 2015 der Fall ist.
Aber bevor sich die Bestimmungen hier änderten, passierte es meinem damaligen Partner und mir in Köln ebenfalls, dass wir nach einer etwas zu leidenschaftlichen und unvorsichtigen Nacht uns dazu entschieden, es nicht auf ein Wunder ankommen zu lassen, sondern vorzusorgen. Wir gingen in die Notaufnahme eines Krankenhauses in der Südstadt, ein christliches. Warum das wichtig ist? Ich kam mir vor wie die Hure von Babylon.
Das freundliche Grinsen der Arzthelferin am Empfang verflüchtigte sich in dem Moment, als ich ihr mein Anliegen kundtat und sie fragte, ob es möglich sei, die Pille danach verschrieben zu bekommen. Sie schaute mich an, als hätte ich sie nach einem Baseballschläger gefragt, um mein Neugeborenes gleich hier im Foyer niederzuknüppeln. „Nein, so was kriegen sie hier nicht. Nein, gehen sie woanders hin, in ein öffentliches Krankenhaus zum Beispiel.“
Sie schaute mich an, als hätte ich sie nach einem Baseballschläger gefragt, um mein Neugeborenes gleich hier im Foyer niederzuknüppeln.
Alles klar, ich weiß Bescheid. Wie hätte sie wohl reagiert, wenn ich nach einer (Pille zur) Abtreibung gefragt hätte? Ich will es mir gar nicht vorstellen, ebenso wenig, wie ich mir nicht ausdenken mag, was manche Frauen über sich ergehen lassen mussten und immer noch müssen, wenn sie sich für eine Abtreibung entscheiden. Traurige Realität. Ihr habt mein tiefstes Mitgefühl.
Ich weiß noch, dass ich damals eher trotzig reagiert und versucht habe, ihr allein durch meine abschätzigen Blicke zu zeigen, was ich von ihrer religiös-verklärten, reaktionären, frauenfeindlichen Sicht halte. Ein verächtliches Lachen und frechen Spruch gabs zum Abgang obendrauf – natürlich! You shame me, I make fun of you. Das war wohl damals meine Devise. Ungerecht behandelt gefühlt habe ich mich trotzdem.
Die Pille danach: wertungsfrei und leicht zugänglich
Das letzte Mal ist noch gar nicht so lange her und ich muss zugeben, ich war fast schon ein bisschen neugierig, zu erfahren, wie es wohl dieses Mal – acht Jahre später – ablaufen würde. Ich nahm mir vor, total locker in die Apotheke zu gehen und ohne Zögern oder schambehaftet gedämpfter Stimme nach der Pille danach zu fragen. Die Sonnenbrille ließ ich auf, aber das lag eher an meinem etwas verkaterten Zustand, und den Triumpf wollte ich den Apotheker:innen nicht geben.
Ob sie mich wirklich dafür verurteilt hätten oder sich gedacht „war ja klar, betrunken und zu dicht, um ein Kondom richtig zu benutzen“, sei mal dahingestellt. Das waren dann wohl noch die Überbleibsel in meinem Kopf, die mich darauf vorbereiteten, gleich abgestempelt zu werden.
Der überaus freundliche junge Apotheker hat mir das Präparat erklärt und verkauft, als würde es sich um eine Packung Ibuprofen handeln.
Kurz: Der überaus freundliche junge Apotheker hat mir das Präparat erklärt und verkauft, als würde es sich um eine Packung Ibuprofen handeln und mir ein schönes Wochenende gewünscht, ohne das ich auch nur einen Moment der Verachtung auf seinem Gesicht hätte erkennen können. Im Gegenteil, wir haben sogar noch gescherzt. Zeiten ändern sich, toll!
Dennoch ist es mir wichtig an der Stelle noch einmal anzumerken, dass das hier jetzt kein Plädoyer für die Pille danach als praktisches Verhütungsmittel ist. Es handelt sich hierbei ebenfalls um eine Hormonbombe, allerdings nicht minimal dosiert. Warum Frauen oder Paare sich dazu entscheiden, die Pille danach zu nehmen, hat individuelle Gründe. In meinen Augen ist es weitaus verantwortungsloser, Kinder in die Welt zu setzen und dann nicht für sie da zu sein. Auch Kinder wollen gewollt sein, das Leben allein ist kein Geschenk, es kann auch grausam sein.
Warum Frauen oder Paare sich dazu entscheiden, die Pille danach zu nehmen, hat individuelle Gründe. In meinen Augen ist es weitaus verantwortungsloser, Kinder in die Welt zu setzen und dann nicht für sie da zu sein.
Es gab auch Phasen, in denen ich fest liiert war und mein Partner und ich uns gegen die Pille danach entschieden haben, weil wir uns in dem Moment bereit für Nachwuchs gefühlt hätten. Darum geht es doch letztendlich, dass es eine freie Entscheidung ist. Und wer jetzt sagt „Seid ihr etwas zu doof, ein Kondom richtig zu benutzen?“, der:die hatte vielleicht noch nie extrem wilden, leidenschaftlichen Sex – oder lange Fingernägel. Es gibt auch andere Gründe, warum Kondome reißen und wer das abstreitet, der glaubt auch, dass Kondome 100 Prozent sicher sind. Stimmt nicht, steht sogar auf der Verpackung. Touché!
Nachwuchs in die Welt zu setzen, ist eine unfassbar große Verantwortung. Ich muss immer wieder innerlich grinsen, wenn frisch gewordene Elternpaare mir nach zwei, drei Monaten Babygeschrei, vollen Windeln, extremen Schlafmangel und Überbelastung mit ausdruckslosen Augen erklären, dass ich mir ja gar nicht vorstellen könne, wie viel Verantwortung und Veränderung Kinder mit sich bringen, vom Stresslevel mal ganz abgesehen …
– Doch. Deswegen habe ich (noch) keine.
Headerfoto: Etty Fidele (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!