Seit ihrer Kindheit kämpfte unsere Autorin gegen die Angst, die sich in ganz unterschiedlichen Formen zeigte. Nach einer besonders schlimmen Panikattacke suchte und bekam sie dann endlich Hilfe und gräbt sich seitdem Stück für Stück aus der überwaltigenden Anspannung hin zu mehr Leichtigkeit.
TW: Angststörung, Depression, Essstörung
Wie alles begann mit der Angst
Laut meinen Eltern war ich kein ängstliches Kind. Sie meinen, das hat sich erst in der frühen Pubertät herausgebildet. Eine Sicherheitslücke muss aber schon früher da gewesen sein. Es ist schwer zu sagen, wann die Angst diese Lücke entdeckte und beschloss hindurch zu schlüpfen. Die eine Ursache gibt es nicht. Vielmehr können mehrere Faktoren Einfluss darauf gehabt haben. Aber ganz gleich, was es ist, sind die wenigen Erinnerungen, die ich aus meiner Kindheit noch habe, bereits in den ersten Schuljahren von Angstgefühlen geprägt. Allerdings wurde mir erst sehr viel später bewusst, dass es nicht normal ist, wegen allem ständig so unerträglich nervös zu sein.
Es ist schwer zu sagen, wann die Angst diese Lücke entdeckte und beschloss hindurch zu schlüpfen.
Das erste Mal, dass ich die Angst auf ihre bedrängende Art wahrnahm, war in der Schule. In der Zeit, als Lehrpersonen damit anfingen, Schüler:innen in der Klasse aufzufordern, etwas laut vorzulesen. Ich habe es gehasst, aufgerufen zu werden, dann fing mein Herz auf einmal an zu rasen und ich vergaß schlagartig alles, was ich je gelernt hatte. Was davon längerfristig hängen blieb, war das Gefühl, ich sei dumm. Als Kind versteht man kaum, was mit einem los ist. Man kennt nur das Gefühl, das einem ab und zu einen Besuch abstattet.
Ich habe es gehasst, in der Schule aufgerufen zu werden, dann fing mein Herz auf einmal an zu rasen und ich vergaß schlagartig alles, was ich je gelernt hatte.
Ich mochte dieses Gefühl nicht, doch ich sprach es auch nie an. Denn als Kind ertrug ich einfach, was ich fühlte, in der Annahme, dass es nun mal so ist, wie es ist. Diese Annahme setzte sich in mir fest und wurde zur Wahrheit. Mit den Jahren hüllte ich mich immer weiter in diese Wahrheit ein, wie in einen Kokon, und bildete weitere Schichten um diesen Gegenstand herum. Wenn ich heute auf meine frühe Jugend zurückblicke, weiß ich gar nicht, was wann dazu kam und woher und weshalb, doch irgendwann befand ich mich in einem dichten Kokon aus Ängsten, Depressionen und einer Essstörung.
Rational betrachtet, waren und sind meine Sorgen und Ängste Unsinn, das weiß ich ganz genau, doch wenn die Angst mich festhält, hilft mir das nicht weiter.
Die Angst schob sich vor mich und übernahm die Führung. Ich stand plötzlich unter permanenter Anspannung. Ich erwischte mich häufig dabei, wie ich mit meinem Kiefer versuchte, meine Zähne zu zermalmen. Meine Muskeln schmerzten. Und es ist ganz gleich, wie viel ich schlief, ich fühlte mich nie wirklich ausgeruht. Rational betrachtet, waren und sind meine Sorgen und Ängste Unsinn, das weiß ich ganz genau, doch wenn die Angst mich festhält, hilft mir das nicht weiter. Ich hatte also nicht länger das Gefühl, Kontrolle über meinen Körper zu haben. Wenn ich mich im Spiegel sah, fühlte ich mich ihm nicht zugehörig und ich fing an, ihn zu verachten.
Der mühsame Weg aus der Angst
Ich weiß gar nicht, wer oder was mich aus diesem Kokon herausschälte, doch irgendwann fand ich mich nach einer besonders überwältigenden Panikattacke in meinem zitternden, erschöpften Körper wieder und beschloss, es war genug. Ich holte mir Hilfe. Ich hatte Glück und fand schnell eine Verhaltenstherapeutin, bei der ich mich wohlfühlte. Nach wenigen Sitzungen konnte ich mit Fachbegriffen benennen, was mit mir los war. Ich lernte, mit meinen Ängsten umzugehen und Panikattacken zu regulieren, oder vielmehr bin ich jetzt im Besitz eines kleinen metaphorischen Werkzeugkastens, in dem sich allerlei Tools befinden, wie ich mit meiner Angst umgehen kann.
Irgendwann fand ich mich nach einer besonders überwältigenden Panikattacke in meinem zitternden, erschöpften Körper wieder und beschloss, es war genug.
Das funktioniert an manchen Tagen besser und an anderen schlechter. Irgendwann schlug mir meine Therapeutin vor, die Angst zu personifizieren. Anfangs tat ich mich schwer damit, doch desto mehr ich darüber nachdachte, entstand das abstrakte Bild eines schattenartigen Wesens, das zu benennen ich bisher noch nicht geschafft habe. Mir die Angst konkret vorzustellen, macht sie weniger diffus und hilft mir, meine Persönlichkeit von ihr abzukapseln. Ihr gegenüberzutreten und mit ihr zu sprechen, wenn sie wieder einmal zu laut und schrill wird, nimmt ihr Kraft und Glaubwürdigkeit.
Anfangs hatte sie ihren Griff fest um mein Handgelenk und zog mich hinter sich her durch meinen Alltag hindurch und belagerte meine Wahrnehmung der Welt stets mit fiesen Sprüchen. Mittlerweile ist sie vielmehr eine Begleitung. Ganz allein lässt sie mich jedoch nie, das weiß ich jetzt. Das ist nicht schön, aber es ist okay. Ich habe gelernt, die Angst nicht als Ursache zu sehen, sondern als Symptom.
Ich habe gelernt, die Angst nicht als Ursache zu sehen, sondern als Symptom.
Wenn sie aus meinem Schatten heraustritt und sich näher an mich heranpirscht, höre ich ihren warnenden Worten nun zu und öffne meinen metaphorischen Werkzeugkasten, um rechtzeitig vorzubeugen. An schlechten Tagen, an denen ich zu unaufmerksam bin, hat die Angst leichtes Spiel mit mir. Dann bin ich enttäuscht und fühle mich drei Schritte zurückversetzt und wünsche mir, ich wäre anders. Aber auch dann behandle ich mich mittlerweile liebevoller. Ich versuche mir zu verzeihen, anstatt mich für meine Schwachstellen emotional fertig zu machen.
Denn mit letzterem ist wohl nur der Angst geholfen.
Headerfoto: Italo Melo. (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!