Generation Frosch – viel Gequake um nichts

Wir sind so eine Gruppe nominell Erwachsener, die sich benehmen wie Teenies oder wie Kinder. Obwohl das ganze Gegreine und Gehampel schon in die Knochen geht und Falten macht und wehtut. Es ist halt schwer mit der Leichtigkeit. Wir versuchen eben, Spaß zu haben, Spaß und Wellness und angenehme Gefühle. Leckeres Essen und Zigaretten und Cocktails und Sex und schöne Klamotten und Kultur und Musik und auch sonst alles, was lecker und geil ist.

Keiner soll uns dabei stören, weil wir denken, dass wir uns das verdient haben, nach all den Entbehrungen, die wir auf uns nehmen mussten, um so alt zu werden.

Wir sind ja eigentlich schon Rentner. An Ideale glaubt keiner mehr.

Wir sind ja eigentlich schon Rentner. An Ideale glaubt keiner mehr. Schon der Satz klingt so lächerlich: „An Ideale glaubt keiner mehr.“ Ja gut, ab und zu gehen wir mal auf ne Demo oder unterschreiben eine Petition. Das fühlt sich aber auch schon immer so absurd und klebrig an und passt nicht zu uns. Trotzdem: mal dem Motz-Verkäufer was geben, ja klar. Mal einem Kumpel was leihen. Aber wir haben nicht viel und wir sind auch keine Samariter.

Wir haben keine besonderen Pläne mehr. Wir wissen ja schon, dass wir das nicht mehr schaffen. Wir sind schon gleich so müde, sind schon vom Aussprechen der Ideen ermattet. Ja gut: vielleicht noch mal Ukulele lernen – oder Reiten. Mal eine Reise machen, sicherlich. Konto ist ja immer so ganz ok gefüllt, irgendwie, warum auch immer.

Irgendwie noch die Kinder aufziehen und den Kindern geht’s auch gut und das ist die Hauptsache.

Aber unsere Seele ist zerfetzt und zerrieben, der Reiz ist weg, der Schleier ist von der Welt gerissen.

Aber unsere Seele ist zerfetzt und zerrieben, der Reiz ist weg, der Schleier ist von der Welt gerissen. Wir wissen, dass wir Staub sind, dass hinter dem Schleier die Nacktheit liegt und dahinter nichts. Oder sogar: Das Nichts. Alle lieben uns, denn alle lieben die Kaputten.

Bei uns ist nix mehr los. Wir können zu unseren bisherigen Eindrücken nur noch Eindrücke hinzufügen, damit wir auch mal was zu erzählen haben. Am meisten lieben wir die Freiheit und fürchten dabei die Einsamkeit. Schon klar, dass das eine schwierige Kombi ist, aber was soll man machen? Es ist eben so.

Unser Leben ist ok – könnte immer irgendwie besser sein, aber grundsätzlich wollen wir kein anderes.

Unser Leben ist ok – könnte immer irgendwie besser sein, aber grundsätzlich wollen wir kein anderes.

Schön wär’s, wenn man irgendwann mal weniger unglücklich wäre, aber wie soll das gehen? Wir haben doch schon alles probiert. Uns verliebt, uns getrennt, haben Yoga gemacht und meditiert, sind verreist und spazieren gegangen, waren in guten Restaurants und räudigen Kneipen. Wir kommen überall klar. Überall gelingt es uns, das Glück zu finden, oder den Genuss, ja, wir können das, wir wissen, wie es geht.

Wir können das Geile überall herausquetschen. Dann erzählen wir uns stolz von dem tollen Kinofilm und der Serie und dem guten Wein und dem erquickenden Waldspaziergang und dem Strand und dem krassen Date und dann trinken wir trotzdem wieder bis zum Morgengrauen und weinen ins Kissen, wenn er uns danach den Rücken zudreht.

Immer ist was und nie ist was los.

Immer ist was und nie ist was los. „Was willst Du denn, Du hast doch alles“, ist unser Leitspruch, wenn wir uns von unseren läppischen Leiden erzählen.

Wir hören einander zu und geben Ratschläge und insgeheim schütteln wir den Kopf und halten uns gegenseitig für Idioten. „Wenn ich Du wäre, würde ich es komplett anders machen“ und umgekehrt. Wir machen genauso weiter wie bisher, weil uns nichts Besseres einfällt, weil uns alles Bessere schon eingefallen ist und wir auch das schon gemacht haben. Wir wissen ja alles.

„Ja, ich weiß.“, seufzen wir, wenn wir uns Ratschläge anhören.

Wir können nichts besser machen, weil wir doch sowieso immer unser Bestes geben.

Wir können nichts besser machen, weil wir doch sowieso immer unser Bestes geben. Aber wir müssen auch unser Bestes geben, anders geht es nicht, sonst gehen wir unter. Wir kämpfen die ganze Zeit um unsere Schönheit, unsere Entspannung, unseren Spaß, unseren Geist, um unser Leben. Wir kämpfen und sind so dermaßen angenervt und ernüchtert, dass wir uns ständig betrinken müssen. Wir trinken und erzählen uns staunend Geschichten von unseren behinderten Eltern.

Unsere Eltern sehen fern und glauben, was in der Zeitung steht, lesen die Klassiker und zitieren sie begeistert. Unsere Eltern machen sich in vollem Ernst Gedanken um den Zustand der Welt und bepflanzen ihre Balkone. Unsere Eltern mähen den Rasen und werkeln in der Garage und loben uns für unsere beruflichen Erfolge.

Unsere Eltern merken nicht, dass wir längst älter als sie sind, dass wir Amphibien sind, Frösche, die niemand an die Wand werfen mag, weil es keine Prinzen und Prinzessinnen mehr gibt.

Sie merken nicht, dass mit uns etwas nicht stimmt. Dass wir längst älter als sie sind, dass wir Amphibien sind, Frösche, die niemand an die Wand werfen mag, weil es keine Prinzen und Prinzessinnen mehr gibt, sondern nur noch Frösche. Es gibt keinen Weg, um uns zu erlösen, denn wir sind zu schwach dafür und wenn wir es trotzdem versucht haben, verachten wir uns danach für unsere Schwäche.

Schließlich versuchen wir nicht mehr, uns gegenseitig an die Wände zu werfen, weil wir nicht von uns verachtet werden wollen und rutschen nur noch ratlos aufeinander herum. Hauptsache, wir sind glitschig.

Unsere Eltern tragen noch die Locken ihrer Geliebten in einem Medaillon um den Hals. Unsere Eltern haben noch Geliebte. Sie bringen sich das Frühstück ans Bett und lesen sich gegenseitig aus der Zeitung vor. Unsere Eltern haben ihre Führerscheine noch und keine Angst vor dem Vogelgezwitscher am Morgen. Unsere Eltern sind abends müde und morgens wach.

Sie können nichts dafür, dass ihre Kinder in Frösche verwandelt wurden. Wir sind selber schuld, weil wir es zugelassen haben. Aber wir nehmen uns nichts mehr übel, weil wir ja wissen, wie es ist.

Wir machen einfach weiter, denn das können wir am besten und wir können nicht mehr.

 Headerfoto: Pärchen im Freien (Stockfoto) via David MG/Shutterstock. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür.

RUTH HERZBERG ist Autorin aus Berlin. Manchmal zeichnet sie auch. Webseite: frauruth.de und Facebook-Fanpage: www.facebook.com/FrauRueth. Jeden Mittwoch findet man sie zusammen mit Jacinta Nandi und Clint Lukas ab dem 21.08. bei Schuld und Bühne in der Kohlenquelle in der Kopenhagener Straße. Die Live-Talks gibt es hier als Podcast hier. // Autorinnenfoto: Hannah Herzberg.

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