Wir wollen ein Kind bekommen, irgendwann, demnächst, vielleicht. „Wir“, das sind zwei Frauen, die in einer Ehe leben. Wir können also rein biologisch nicht alleine Eltern werden. Uns war klar, dass wir irgendwann gern mal ein oder zwei Kinder wollen, mir war klar, ich möchte das Kind bekommen.
Relativ früh im letzten Jahr haben wir angefangen, uns über das Thema Kinder-Bekommen durch IVF zu informieren. Haben erste Termine gemacht, erste Tests und haben das Glück, dass ich letztes Jahr einen sehr guten Hormonhaushalt für eine Schwangerschaft hatte.
Unsicherheiten im Leben
Dann sind ein paar Aspekte dazu gekommen, mit denen keine:r gerechnet hat. Die Pandemie hat sich wieder verlängert und der Job ist plötzlich unsicher geworden. Ich arbeite in einer Non-Profit-Organisation in der Bildung, das heißt, die NGO macht keinen Umsatz am Ende des Jahres, sondern lebt von der Hand in den Mund.
Die Pandemie hat sich wieder verlängert und der Job ist plötzlich unsicher geworden.
Alles was eingenommen wird, wird gebraucht. Meine Stelle wurde voll finanziert, bis Oktober dieses Jahrs. Das bedeutet, wenn das Bildungswesen weiter so unsicher bleibt und wie die letzten Monate Gelder gekürzt werden, kann es sein, dass ich im Oktober keinen Job mehr habe.
Dieser Fakt war die letzten Jahre keine Sorge wert, weil ich mit meinem Können und meiner Persönlichkeit sofort einen neuen Job finde. Aber schwanger einen neuen Job finden zu müssen erleichtert die Suche auf keinen Fall. Aufgrund dieser Lage warten wir bis zum neuen Arbeitsvertrag und machen dann weiter mit dem ganzen Prozedere.
Glückwünsche und Erwartungen vs. Daten und Fakten
Immer wenn ich Menschen davon erzähle, kommt sofort: „Herzlichen Glückwunsch!“
Ich sage dann relativ schnell: „Wofür denn? Ist ja noch gar nichts passiert.“
Immer wenn ich Menschen davon erzähle, kommt sofort: „Herzlichen Glückwunsch!“ Ich sage dann relativ schnell: „Wofür denn? Ist ja noch gar nichts passiert.“
Einerseits, weil es genau das ist: noch gar nichts passiert. Und andererseits, weil in diesem „Herzlichen Glückwunsch“ Erwartungen stecken. Erwartungen, dass ab jetzt alles reibungslos läuft und ich nächste Woche wie ein Wunder schwanger bin.
Mehr als 30% aller Behandlungen mittels künstlicher Befruchtung führen zu einer Schwangerschaft. Die Erfolgschance steigt entsprechend, wenn eine Behandlung mehrmals durchgeführt wird. Etwa 90% aller IVF-/ICSI-Behandlungen führen zu einem Embryotransfer, bei einem Drittel kommt es zur Schwangerschaft.
Ein Baby kommt in 20% der Fälle zur Welt (Baby Take Home Rate). 20%!!!! Das bedeutet, selbst mit meinen super Hormonen, kann es im worst case 5 Versuche brauchen, bis es klappt. Diese Versuche sind mit sehr viel Geld verbunden, weil so eine künstliche Befruchtung mit Spendersamen nun einmal sehr, sehr teuer ist und aber auch mit vielen Erwartungen.
Wir machen uns selbst schon viele Erwartungen, da brauchen wir nicht noch deine.
Selbst wenn wir sagen „ach, wir gehen da ganz locker ran“, hoffen wir natürlich, beim ersten Versuch 2 Striche zu sehen. Wir machen uns selbst schon viele Erwartungen, da brauchen wir nicht noch deine.
Sensibles Thema Familiengründung
Das Thema Familiengründung ist in meinen Augen sowieso eine absolute Grenzüberschreitung. Jeder Mensch, mit dem ich nicht verheiratet bin, überschreitet eine Grenze, wenn er:sie das Thema einfach so anspricht. „Wollt ihr eigentlich mal Kinder?“ „Und wie macht ihr das dann?“ „Wer wird dann schwanger von euch?“ „Warum adoptiert ihr nicht?“ None. Of. Your. Business.
Jeder Mensch, mit dem ich nicht verheiratet bin, überschreitet eine Grenze, wenn er:sie das Thema einfach so anspricht.
Wenn ich davon erzähle, darfst du gern Fragen stellen. Ansonsten nicht. Und wenn ich dir erzähle, dass wir planen, bald ein Kind zu bekommen, sag bitte nicht „Herzlichen Glückwunsch“. Denn noch ist nichts passiert – und der Weg dahin ist verdammt hart, teuer und anstrengend. Kein Grund also, mich zu beglückwünschen.
Headerfoto: Liza Summer (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!
Ich finde den Artikel sehr wichtig, da die Autorin intime Einblicke in ihr Gefühlsleben gibt, und ins Bewusstsein der Leser bringt warum ein vorschnelles „Herzliches Glückwunsch“ nicht immer angebracht ist,
Allerdings hätte ich es hilfreich gefunden zu lesen welche Worte von Außenstehenden die Autorin in der Situation annehmen kann, bzw als wertschätzend empfindet,.
Gerade in Bezug auf Familienplanung werden viel zu oft grenzenübschritten.
Aber ich kann es absolut nachvollziehen, wenn Freunde und Familie wenn ihnen davon erzählt wird gratulieren. Sie gratulieren vermutlich die Entscheidung, weil sie überzeugt sind, dass sie da liebevolle Eltern und Partnerin vor sich stehen haben und alleine die Entscheidung für sie ein freudiges Ereignis ist. Ist ein „herzlichen Glückwunsch“ nicht auch immer ein „ich finde das super und unterstütze das“ im subtext? Auf Grund der Schilderung im Artikel fände ich es spannend zu wissen was eine angebrachte Reaktion ist, denn sofort die negativ konnotierten Aspekt wie die Wahrscheinlichkeit und den finanziellen Aspekt und gar ein Schweigen entgegen zu schmettern ist natürlich wahnsinnig verletztend. Wo ist der feinfühlige Zwischenweg?