Ein Liebesbrief an Liebesbriefe: Wie Kleinigkeiten für mehr Dankbarkeit sorgen können

Das hier ist ein Liebesbrief. Nein, keiner von der Sorte, der jemandem ewige Liebe schwört oder eine Beziehung in den Himmel lobt. Das hier ist ein Liebesbrief an die kleinen Dinge. An Aufmerksamkeiten, an Menschen, die nach kurzer Zeit wieder aus unserem Leben verschwinden, an frisch gewaschene Leinenbettwäsche und an die Liebe selbst. Vielleicht sind es auch viele kleine Liebesbriefe. Aber wenn wir ehrlich sind, davon gibt es doch eh zu wenige, oder?

Ein Liebesbrief an die Aufmerksamkeit

Vor einiger Zeit saß ich mit einer flüchtigen Bekannten in einem Café und erzählte davon, dass ich mich verliebt hatte. Hals über Kopf. Ich habe gestrahlt. Außerdem sprachen wir darüber, dass Menschen oft viel zu wenig aufmerksam sind. Dass sie nicht zuhören oder Gehörtes schnell wieder vergessen. Wir tranken einen Kaffee nach dem anderen und kuschelten uns in Decken durch den noch etwas zu kalten Frühlingsmorgen.

Kurz darauf hatte ich Geburtstag, sie schrieb mir und erfuhr in dem Zug, dass meine Verliebtheits-Blase geplatzt war und es mir nicht besonders gut ging damit. Zwei Tage später hatte ich ein Paket vor der Tür. Darin waren meine liebste Schokolade, ein Brief, wie er schöner nicht sein kann und eine Menge weiterer Aufmerksamkeiten, die ich an dem gemeinsamen Vormittag in einem Nebensatz erwähnt haben muss. Wir kennen uns nicht besonders gut – und dennoch hat sie all ihre Aufmerksamkeit und Wärme genommen und in ein kleines Paket gesteckt.

Diese Geste tat mir so gut wie schon lange nichts mehr. Ich bin nicht gut darin, flüchtige Kontakte aufrecht zu erhalten. Aber ich nehme mir vor, mich bei ihr zu melden. Denn ich sehe, wie groß diese Geste war. Ein Liebesbrief an Dich also, Saskia. Du bist so viel Wärme und Herzlichkeit.

Ein Liebesbrief an die Endgültigkeit von Leinenstoff

Kann man Gegenständen Liebesbriefe schreiben, ohne dass es seltsam wird? Ich versuche es. Denn nichts ist tröstlicher als frisch gewaschene Leinenbettwäsche. Sie knistert nicht wie die aus Baumwolle, sie ist still und glatt, beinahe warm. Jede erste Falte, die sich hineinlegt, bleibt bis zum nächsten Waschen bestehen. Verlässlich, wenn es vieles Andere nicht sein will. Fast tröstlich eigentlich.

Ein Liebesbrief an die Vergänglichkeit

Es gibt Menschen, mit denen die Verbindung aus verschiedenen Gründen nie über einen bestimmten Punkt hinausgehen wird. Dennoch tun manche von ihnen auf dem kurzen Abschnitt, den sie mit uns gehen (können), wahnsinnig gut. Ich bin dankbar für ehrliche, innige Umarmungen, für starke Arme, wenn man sie braucht, für strahlende Augen und schlechte Witze. Nicht alles, was keine Zukunftsperspektive hat, ist ohne Wirkung. Vergängliche aber ehrliche Verbindungen helfen, sich in manchen Situationen über Wasser zu halten.

Ein Liebesbrief an die Musik

Egal was passiert. Am Ende ist sie immer da. Ob gut oder schlecht, ob glücklich oder traurig. Am Ende ist da immer noch die Musik. Das ist für mich so selbstverständlich, dass ich manchmal vergesse, dafür dankbar zu sein.

Ein Liebesbrief an die Stagnation

Du triffst diesen Menschen und es knallt. Aber so richtig. Ihr teilt und redet, telefoniert und besucht, tanzt und kuschelt. Und dann sagt dieser Mensch dir, dass diese Verbindung toll ist. Und dass sie an genau diesem Punkt stehen bleiben soll. Weil sich sonst etwas verändert. Erst bist du enttäuscht. Wahnsinnig enttäuscht. Aber mit jedem Zentimeter Abstand, den du gewinnst, wird dir klarer, dass das alles ziemlich gut so ist. Dass Stagnation manchmal Sicherheit bedeutet. Und dass es gut ist, dass es Menschen gibt, die dir das zeigen können.

Ein Liebesbrief an Liebesbriefe

Vielleicht ist das Ganze hier nur eine kleine Übung für mehr Achtsamkeit und Dankbarkeit für die kleinen (und großen) Dinge des Lebens. Aber das Konzept, kleine Liebesbriefe zu schreiben, erscheint mir nicht pathetisch genug, um dem nicht nachzugehen. Ich möchte dankbar sein. Ich möchte es bemerken, wenn mir gute Dinge passieren. Deswegen mache ich weiter damit, ihnen kleine Liebesbriefe zu schreiben. Und wenn es um Menschen geht, fange ich vielleicht an, sie auf Postkarten zu schreiben und ihnen zu schicken. Vielleicht. Weil sie es verdienen. Auf jeden Fall.

Headerfoto: Kinga Cichewicz via Unsplash. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!

Julia arbeitet in der Redaktion von im gegenteil. Sonst tanzt sie gerne, aber nur wenn danach ausgeschlafen werden darf. Und sonst? Viel Kaffee, viel Lyrik, viel Konzerte, viel Zimt, viel Action.

3 Comments

  • Pingback: Unzufriedenheit - Die Flucht in andere Welten - SLART
  • Stagnation > „Und dass sie an genau diesem Punkt stehen bleiben soll. Weil sich sonst etwas verändert.“
    Was hat dies zu bedeuten?

    • Dass eine Beziehung manchmal genau dort stehen bleiben soll, wo sie grade ist. Weil das vielleicht schon das Maximum dessen ist, was sie werden kann. Auch wenn es sich in manchen kurzen Momenten anders anfühlt. Manchmal muss das, was schon ist, reichen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.