„Du siehst aus wie Adele“ – Wie Frauen in unserer Gesellschaft auf ihr Äußeres reduziert werden

In den letzten Monaten wurde immer wieder über Stars berichtet, die stark abgenommen haben. Ich spreche beispielsweise von der Sängerin Adele und der Schauspielerin Rebel Wilson. Ich erwähne absichtlich ihre Berufe, weil manche in all dem Medienrummel zu übersehen scheinen, für was sie eigentlich berühmt sind. Nicht für ihr Gewicht, ihre Figur, sondern für ihr Talent.

Seit meiner frühen Jugend bin ich ein großer Fan von Adeles Musik. Ich kannte sie schon, als nur Videos von ihren Songs auf Youtube kursierten und ihr Name keine ganzen Stadien füllte. Ich wusste anfangs nicht einmal wirklich, wie sie aussah, aber ihre Stimme hätte ich überall erkannt. Spätestens als ihr Gesicht auf dem Album Cover von 21 prangte war ich davon überzeugt, dass sie eine der schönsten Frauen ist, die ich bis dahin gesehen hatte.

Jetzt lese ich Schlagzeilen wie: „SO SCHÖN IST DIE ERSCHLANKTE ADELE!!!“ Ich finde das irritierend, weil Adele für mich immer schon schön war. Damals wie heute. Schlank oder nicht schlank. Und vor allem berührt mich ihre Musik. Damals wie heute. Ob sie schlank oder nicht schlank ist, schön oder nicht schön – was auch immer das genau sein soll.

Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Ich finde solche Schlagzeilen nicht nur deswegen irritierend, weil sie meine Vorstellung von Schönheit ins Wanken bringen.

„Frauen sind eben Frauen.“

Als ich 14 war, wurde mir das erste Mal gesagt, ich sähe aus wie Adele. Im ersten Moment fing ich an zu strahlen – immerhin war sie für mich eine wunderschöne Frau. Aber im nächsten Moment spürte ich, dass das nicht unbedingt als Kompliment gemeint war. Der Kommentar kam von der neuen Freundin meines Ex-Freundes, was nicht unbedingt etwas bedeutet, aber auch ihre Mimik und Gestik verriet, dass sie es nicht positiv gemeint hatte.

Ich trug zwar nur eine Größe 38, aber hatte auch damals schon eine sanduhrförmige Figur mit Kurven. Als ich Jahre später einen Artikel darüber las, dass wohl viele kurvige Frauen das „Kompliment“ bekämen, sie sähen aus wie Adele, konkretisierte sich das, was ich mit 14 das erste Mal spürte: In unserer Gesellschaft wird ein Mensch oft auf eine Eigenschaft reduziert.

Als ich 14 war, wurde mir das erste Mal gesagt, ich sähe aus wie Adele. Im ersten Moment fing ich an zu strahlen. Aber im nächsten Moment spürte ich, dass das nicht unbedingt als Kompliment gemeint war.

Kurvige Frauen sähen alle gleich aus. Sie wären eben kurvig. Ähnlich wie man leider oft hört: Schwarze Frauen sähen alle gleich aus. Sie wären eben Schwarz. Oder allgemeiner: Frauen wären eben Frauen. Auch „Du hast so ein schönes Gesicht“ ist eines dieser Komplimente, die nicht immer schmeichelhaft für mehrgewichtige Frauen sind, wenn man ihre Schönheit auf das Einzige beschränkt, was der vermeintlichen Norm entspricht.

Heilige oder Hure

Es ist nichts Neues, dass Frauen auf ihr Geschlecht, ihr Aussehen oder ihre Herkunft reduziert werden. In verschiedenen Kulturen seit Anbeginn der Menschheit ist der Mythos Frau präsent. Die Frau – das geheimnisvolle Wesen, dass der Mann nicht so recht versteht. Die Fremde, die man sich aneignen muss. Die schöne Verführerin, die den Tod bringt. Die Heilige, die Hure, der Engel, die Dämonin. Die sensible Verkörperung der Natur, die weniger Verstand hat als der Mann.

Ich übertreibe nicht. So oder ähnlich wird es in Texten von der Bibel bis Rousseau (!!!) dargestellt. Ironischerweise gliedert sich eine Schlagzeile wie „ADELE HAT 45 KILO ABGENOMMEN“ in die Reihe dieser eindimensionalen Zuschreibungen ein, weil es plötzlich nur noch eine Rolle spielt, wie sie aussieht.

Das Traurige ist, das oft andere Frauen diese Artikel schreiben, die ebenfalls in ein gesellschaftliches Schönheitsideal gepresst werden. Die Berichterstattung lässt sich ungefähr so zusammenfassen: „Adele war dick. Jetzt ist sie es nicht mehr. Ach, und übrigens: Ihr neues Album kommt auch bald.“

Adele ist ein komplexer Mensch wie jede:r von uns. Sie ist eine Frau, macht erfolgreich Musik, hat einen Sohn und hatte früher eine andere Figur.

Aber Adele ist ein komplexer Mensch wie jede:r von uns. Sie ist eine Frau, macht erfolgreich Musik, hat einen Sohn und hatte früher eine andere Figur. Keine dieser Eigenschaften sollte mehr bedeuten als die andere, außer sie möchte es so.

Als ich mitverfolgte, wie Adele immer mehr abnahm, kam mir irgendwann der Gedanke: Schade, für mich war sie immer ein Vorbild für mehrgewichtige Frauen. Das Problem dabei ist, dass ich Adele damit auch wieder auf etwas reduziere – vielleicht sogar auf etwas, was sie gar nicht verkörpern möchte.

Vielleicht will Adele kein Vorbild für mehrgewichtige Menschen sein. Vielleicht will sie einfach Sängerin sein. Sie selbst. Und natürlich ist es wichtig, dass in den Medien auch Frauen repräsentiert werden, die nicht dem Schönheitsideal entsprechen. Aber in erster Linie geht es immer um die betroffenen Frauen selbst und auch darum, ob sie diese Last tragen wollen.

Lizzo kann essen, was sie will

Als die Sängerin Lizzo vor Kurzem auf Instagram postete, dass sie eine Saftkur mache, gab es einen riesigen Shitstorm. Sie könne doch nicht etwas propagieren, was ein ungesundes Essverhalten zur Folge haben könnte. Doch, kann sie. Weil sie selbst mehrgewichtig ist und damit betroffen. Sie kann selbst bestimmen, wie sie mit ihrem Thema umgehen möchte.

Die Frage ist auch: Propagiert sie überhaupt etwas? Ich bin auch der Meinung, dass Saftkuren Essstörungen fördern können, aber ich kenne schlicht und einfach Lizzos Beweggründe nicht. Soweit ich das beurteilen kann, zeigt sie mit ihren Posts immer wieder, dass es wichtig ist, gut und sorgsam mit dem eigenen Körper umzugehen.

Es wäre viel wichtiger, dass man Kindern schon in der Schule beibringt, wie man den eigenen Körper gut versorgt, anstatt ihnen Schönheitsideale auf eine ungesunde Weise in den Kopf zu pflanzen.

Ich sehe das Problem bei der ganzen Sache eher darin, dass die Gesellschaft mehrgewichtigen Menschen unterstellt, dass Saftkuren und Ernährung ihr Thema wären. Dass sie die Aufgabe haben, gesunde Ernährung zu propagieren und den Auftrag, dafür zu sorgen, dass bloß nicht auch noch andere Menschen mehrgewichtig werden.

Es wäre viel wichtiger, dass man Kindern zum Beispiel schon in der Schule beibringt, wie man den eigenen Körper gut versorgt, anstatt ihnen Schönheitsideale auf eine ungesunde Weise in den Kopf zu pflanzen, die zu Essstörungen führen können. Mehrgewichtige Menschen haben – wenn überhaupt – die Aufgabe, darauf hinzuweisen, wie tief ihre Diskriminierung in unserer Gesellschaft verankert ist. Wenn mir das nächste Mal jemand sagt, dass ich aussehe wie Adele, werde ich fragen, wie das gemeint ist. Vielleicht meint die Person es genauso, wie ich es ursprünglich verstanden habe: Dass ich schön bin.

Carina Eckl umgibt sich gern mit Worten und lieben Menschen. Ihr erster Gedichtband „wie du Leere sagst, klingt entfernt nach Liebe“ ist 2019 erschienen und liest sich genauso melancholisch wie er klingt. Neben Literatur interessiert sich Carina für Gesellschaftspolitik und schwadroniert darüber gerne stundenlang mit ihren Freund:innen. Vor allem, weil sie denkt, dass jeder einen einsamenen Ort in sich hat und diesen nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei anderen verstehen möchte. Hier gibt’s mehr von ihr.

Headerfoto: Sincerely Media via Unsplash. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!

 

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