Die Zukunft ist nicht weiblich, aber die Gegenwart ist männlich

Ach, wann werden wir sie endlich los, die alte Mär, dass Feminist*innen Männer abschaffen wollen? Wann endlich wird den Feminismuskritiker*innen bewusst, was Feminist*innen schon seit jeher selbstverständlich wissen: Nämlich, dass der Feminismus »den Mann« natürlich nicht abschaffen will – einfach weil das erstens gar nicht geht und zweitens auch nichts bringt?

Wieso glauben so viele noch immer an diesen Quatsch? Vermutlich, weil die Bereitschaft zur Abstraktion fehlt. Denn was der Feminismus abschaffen will, ist das Patriarchat, die Vorherrschaft des Mannes – und wenn wir sagen »des Mannes«, dann meinen wir Männlichkeit als gesamtgesellschaftliches Konzept und nicht: »Jeder einzelne Mann muss aufhören zu existieren«.

Feminismus, auch der junge, ist – entgegen manch anderer Meinung – kein Kindergarten-Quatsch-Verein, kein fancy Trend, der halt gerade hip ist, sondern sind Feminist*innen Individuen mit politischen Standpunkten. Standpunkten, die übrigens naheliegender Weise komplett unterschiedlich geartet sein und ausgedrückt werden können.

Feminist*innen sind keine homogene Gruppe. Weil Frauen keine homogene Gruppe sind. Genauso wenig wie Männer, übrigens.

Das ist nämlich so ziemlich der eine Knackpunkt, der von außen gerne übersehen wird: Wir sind keine homogene Gruppe. Weil Frauen keine homogene Gruppe sind. Genauso wenig wie Männer, übrigens.

Jetzt möchten manche sicherlich direkt wieder einwerfen: »Wenn weder Männer noch Frauen homogene Gruppen sind, wieso kämpfst Du dann gegen die Vorherrschaft des männlichen Prinzips? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?«

Ich sehe schon, wir müssen hier also ganz beim Anfang anfangen. Nämlich bei der Idee, dass Mann und Frau lediglich Kategorien sind, in die wir Menschen uns selbst einteilen. Denn es scheitert schon bei der Definitionsfrage: Was macht denn aus, ob jemand Mann oder Frau ist? Viele antworten gern mit der Nennung von Genitalien oder Chromosomensätzen.

Es tut mir leid, Euch enttäuschen zu müssen: Selbst von einem absolut biologischen Standpunkt betrachtet, gibt es nicht nur Mann und/oder Frau, zwei Kategorien, die eineindeutig so existieren. Es gibt deutlich mehr Variationen als XX und XY und zwischen Vagina und Penis existiert ein Spektrum. Ich weiß, das haben wir alle im Biologieunterricht anders gelernt – aber nur, weil unsere Schulinhalte vereinfacht sind, heißt das nicht, dass das der Realität auch wirklich entspricht.

Die Annahme, dass Geschlecht ein soziales Konzept ist, ist in der Tat ziemlich naheliegend.

Also ist die Annahme, dass Geschlecht ein soziales Konzept ist, in der Tat ziemlich naheliegend. Und das beinhaltet auch, dass die sogenannte »Männlichkeit« und die sogenannte »Weiblichkeit« antrainierte Verhaltensweisen sind. Und damit kommen wir zum Kernproblem der Feminismus-Bewegung: Wir leben in einer Gesellschaft, die eben genau in diesen Kategorien wirkt.

Wir Menschen sind einfach sehr vernarrt in unser Schubladendenken. Das Ziel jedoch sollte sein, dass jeder Mensch einfach machen können sollte, was er oder sie oder jedes andere Pronomen möchte. Jede Person sollte leben können, wie es sie glücklich macht. Natürlich in dem üblichen Rahmen: Meine Freiheit endet dort, wo es die eines anderen Menschen einschränkt.

Und dieses Anliegen bezieht sich auf alle Bereiche des Lebens – nämlich dass man Dinge tun dürfen sollte, die entweder nicht in die Geschlechterrolle passen, die einem gesellschaftlich zugewiesen wurde, oder man genau diese Rolle erfüllt und auch irgendwas dazwischen.

Man sollte Dinge tun dürfen, die entweder nicht in die Geschlechterrolle passen, die einem gesellschaftlich zugewiesen wurde, die genau dieser Rolle entsprechen und /oder auch irgendwas dazwischen. 

Ja sicher, rein rechtlich gesehen, sind wir da inzwischen schon ziemlich weit gekommen. Aber nur weil es besser ist als früher, heißt das nicht, dass wir schon am Ziel angelangt sind. Wenn ich auf dem Weg in den Urlaub bin, dann halte ich doch auch nicht irgendwo auf halber Strecke an und sage »So, jetzt sind wir da«, wenn ich noch in Frankreich bin, aber eigentlich nach Portugal will.

Und ja, rein rechtlich gesehen können wir unser Leben sehr weiträumig gestalten wie wir es als Frauen/Menschen gerne möchten. Das Problem liegt vorrangig bei zwischenmenschlichen Interaktionen.

Ja, Frau kann Karriere machen, aber immer noch hängt dauerhaft die Sorge im Raum, sie könne im nächsten Moment schwanger werden und ausfallen. Selbst wenn sie eigentlich sterilisiert ist oder unfruchtbar. Was auch nicht jeden etwas angeht. Und selbst wenn: Warum schadet es den Gebärenden so sehr im Berufsleben, Kinder zu bekommen, nicht aber den Erzeugern?

Wenn wir immer sagen, dass zur Zeugung eines Kindes zwei Menschen gehören (was so prinzipiell erst einmal korrekt ist), warum wird dennoch nur einer davon in die Verantwortung genommen? Warum ist es nicht selbstverständlich, dass beide Elternteile sich zu gleichen Teilen um ein Kind kümmern? Wir stehen hier vor einem strukturellen Problem, einem Teufelskreis, und den gilt es zu durchbrechen.

Ja, prinzipiell können Frauen in Deutschland alles werden und alles tun, was sie möchten. Aber es wird ihnen nach wie vor unendlich viel schwerer gemacht, wenn es keine genuin weibliche Tätigkeit ist.

Und das nicht nur in diesem Beispiel so, sondern auch beim Thema Berufswahl, beim Thema Gender Pay Gap und vielen, vielen mehr. Der Punkt ist doch der: Ja, prinzipiell können Frauen in Deutschland alles werden und alles tun, was sie möchten. Aber es wird ihnen nach wie vor unendlich viel schwerer gemacht, sobald sie etwas werden oder tun wollen, was gesellschaftlich als eher männlich gilt.

Andersherum ist es aber übrigens genauso. Schon einmal das Drama erlebt, wenn ein Mann Kindergartenerzieher werden möchte? Oder Krankenpfleger? Es ist zum Heulen.

Mein liebstes Argument ist und bleibt, dass Frauen ja anderen Frauen das Leben mindestens genauso schwer machen, wenn nicht noch mehr. Und wieder: Ja. Es geht und ging nie darum, einem spezifischen Geschlecht den Buhmann zuzuschieben und es zum Schuldigen zu erklären. Manchmal wünschte ich, es wäre so einfach, denn das würde das Problem deutlich schneller lösen.

Wir sind alle sexistisch. Ganz einfach, weil wir in einer Gesellschaft leben und von einer Gesellschaft sozialisiert wurden, die sexistisch ist.

Die traurige Wahrheit ist: Auch Frauen sind sexistisch. Natürlich sind sie das. Wir sind alle sexistisch. Ganz einfach, weil wir in einer Gesellschaft leben und von einer Gesellschaft sozialisiert wurden, die sexistisch ist. Da sind wir wieder beim Teufelskreis.

Wenn also eigentlich alle gleichberechtigt und gut leben können sollen, unabhängig von ihrem Geschlecht, und weder nur Frauen die Opfer des Patriarchats sind noch nur Männer die Täter: Warum das Ganze Feminismus nennen und nicht Humanismus?

Grundlegend ist dieser Gedanke nicht mal falsch, denn zu Humanismus steht auf Wikipedia: »Es wird ein Gesellschafts- und insbesondere Bildungsideal entworfen, dessen Verwirklichung jedem Menschen die bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung ermöglichen soll. Damit verbindet sich Kritik an bestehenden Verhältnissen, die aus humanistischer Sicht diesem Ziel entgegenstehen.«

Man kann also guten Gewissens sagen: Feminismus ist grundlegend humanistisch. Der Grund, ihn dennoch Feminismus zu nennen, ist ebenso schnell erklärt: Wenn alles, was der Mensch als männlich kategorisiert hat, höher gewertet wird, als alles, was als weiblich kategorisiert wurde, dann gilt es, alles Weibliche irgendwann mit dem Männlichen auf eine Stufe zu bringen.

Und dann haben wir vielleicht auch mal eine Chance, diese Kategorien endgültig abzuschaffen. Damit wäre allen geholfen.

Feminismus ist nur solange notwendig, wie Sexismus existiert.

Und so gesehen: Ja, ich stimme zu. The future isn‘t female. Die Zukunft ist divers und gut für alle. Und ja, dafür müssen alle unabhängig von ihrem Geschlecht kooperieren. Also bitte: Reflektiert Euch selbst und Euer Denken und Handeln, sprecht mit Euren Freunden, Familienmitgliedern und Bekannten darüber. Erzieht Eure Kinder zur Individualität, zu Menschen und nicht zu Jungen oder Mädchen und vielleicht, in ein paar Generationen, können wir wirklich humanistisch sein. Denn Feminismus ist nur solange notwendig, wie Sexismus existiert.

 
Lisa Demonhead ist Buchhändlerin mit Leib und Seele, überzeugte Feministin und Antirassistin, Künstlerin. Auf ihrem Blog imposterfox schreibt sie über Bücher, Filme, Politik und alles was ihr sonst so auf der Seele brennt, und bei Instagram findet man neben schlecht abfotografierter aber sonst ganz cooler Kunst süße Fotos von ihrer Hündin, mit der sie in Leipzig lebt. Achso, und mit ihrem Partner. Aber der Hund ist vielleicht ein kleines Bisschen wichtiger. Bilder vom Hund gibts bei Insta.

Headerfoto: Drop the Label Movement via Unsplash. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!

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