Die Scherbensammlerin – wie ich damit begann, mein Herz zu reparieren

Die Jahre exzessiven Datings haben ihre Spuren hinterlassen: Ohne es wirklich zu verstehen, bin ich von einer emotionalen Enttäuschung direkt in die nächsten geraten.
Und habe dabei überdurchschnittlich oft die Arschkarte gezogen und wurde unfair und schlecht behandelt – so dachte ich zumindest. Denn eigentlich habe ich vor allem eines: mich selbst schlecht behandelt.

Eigentlich habe ich vor allem eines: mich selbst schlecht behandelt. 

All die anfangs netten Männer waren plötzlich weg und das meistens ohne eine Erklärung. Hatte ich den Mut, noch mal nachzufragen, wieso der Kontakt abgebrochen wurde? Nein. Ich verharrte brav in meiner Opferhaltung und nahm die Stille einfach hin. Was soll er denn auch sagen, wo es doch offensichtlich ist? Er hat das Interesse an mir verloren. Und wen machte ich dafür verantwortlich? Mich selbst.

Da hat er jetzt wohl doch gemerkt, dass ich nicht gut genug bin. Dass ich nicht liebenswert genug bin. War ja abzusehen.

Akzeptiert. Weitergehen. Neue Männer kennenlernen.

Und bei jedem Date, dass ich mit einem neuen Mann hatte, bei jeder weiteren Stufe des Kennenlernens, damit rechnen, dass ein baldiges Ende in Sicht ist. Weil auch er irgendwann erkennen wird, dass ich nicht gut genug bin. Den Moment genießen – keine Erwartungen haben – keine Gefühle entwickeln. Akzeptiert.

So datete ich mich munter durch die Hauptstadt, ohne jemanden wirklich an mich ranzulassen – besser so, dachte ich. In Wahrheit war das Ganze vor allem eins: falsch. Warum ich das Spiel so mitspielte und die Stille, die sich aus jedem interessanten männlichen Kontakt immer irgendwann ergab, akzeptierte? Aus Angst. Und Unsicherheit.

Mittlerweile weiß ich: Meine Angst und Unsicherheit waren es auch, weshalb aus all den Kontakten niemals etwas Ernsthaftes entstanden ist oder hätte entstehen können. Nicht meine vermeintlichen Erklärungen, wie dass ich fünf Kilo weniger wiegen oder größere Brüste haben sollte.

Elegant meinem Fettgewebe die Schuld des gescheiterten Kennenlernens in die Schuhe geschoben.

Wie einfach ich es mir mit solchen Schlussfolgerungen gemacht habe: elegant meinem Fettgewebe die Schuld des gescheiterten Kennenlernens in die Schuhe geschoben. Mal ehrlich: Kein Mann macht sich nach wochenlangem Gedate aus dem Staub, weil ihm plötzlich auffällt, dass du nicht Kleidergröße 36 trägst.

Irgendwann machte es bei mir klick. All die schlechten Erfahrungen hängen anders mit mir zusammen, als bisher angenommen. Sie liegen nicht an den Dingen, die an mir angeblich nicht in Ordnung sind, sondern vor allem an meinem fehlenden Selbstwertgefühl.

Was auch der Grund dafür ist, dass ich mich nicht getraut habe, für mich selbst einzustehen. Dass ich nicht den Mut hatte, das zu verlangen, was ich mir nach jedem Kontaktabbruch eigentlich gewünscht hätte: Klartext. Um so mit einer Antwort abschließen zu können, statt verletzt und mit vielen Fragezeichen weiterzuziehen.

Indem ich all die Kontaktabbrüche einfach hinnahm, habe ich mich selbst verraten.

Indem ich all die Kontaktabbrüche einfach hinnahm, habe ich mich selbst verraten.
Die Fehler immer bei mir gesucht und so mein Selbstwertgefühl aktiv mit Füßen getreten. Und zugelassen, dass mein – eigentlich zu Liebe fähiges – Herz bei jeder schlechten Erfahrung splitterte.

Jedem Mann, der mich enttäuschte, habe ich großzügig seine Scherbe überlassen. Das Ganze war ein schleichender Prozess und mittlerweile ist mein Herz in seinem heutigen Zustand: ordentlich angekratzt, unsicher und nicht wirklich liebesfähig.

Ein ziemlich großer Scherbenhaufen, den ich so langsam gerne mal reparieren würde. Dem allerdings einige Teile fehlen, um repariert werden zu können. Denn mittlerweile sind da draußen lauter kleine Scherben, die über Berlin verteilt bei sämtlichen Männern meiner Dating-Vergangenheit liegen. Mir ist eines klargeworden: Ich muss aktiv werden und mir meine Scherben zurückholen – indem ich die Stille durchbreche und selbst einfach mal Klartext spreche.

Ich schreibe allen Männern, mit denen die Dinge ungeklärt auseinandergegangen sind.

Und so beginne ich damit, längst überfällige Nachrichten zu verfassen. Ich schreibe allen Männern, mit denen die Dinge ungeklärt auseinandergegangen sind. Formuliere meine Sicht der Dinge und versuche mich zu erklären. Nicht vorwurfsvoll oder gemein, sondern reflektiert. Nicht feige, sondern direkt und ehrlich. Ich schreibe ihnen, was ich gut fand und was mich enttäuscht hat.

Und ich bin positiv überrascht: Meine Ehrlichkeit wird mit Ehrlichkeit belohnt. Mit vielen Antworten, Klartext und sogar Erleichterung über meine Nachricht! Die Antworten, die ich bekomme, haben tatsächlich nichts mit vermeintlichen Mängeln von mir zu tun, sondern mit Dingen, die sich oft nur schwer erklären lassen. Wie fehlenden Gefühlen, obwohl man es sich anders gewünscht hätte. Wie unpassenden Lebensumständen, die eine Partnerin zu dem Zeitpunkt nicht ins Möglichkeitsfeld haben treten lassen, sodass ich von Beginn an nur als Affäre geplant war.

Was alle Nachrichten trotz unterschiedlicher Inhalte gemeinsam haben? Die Scham darüber, dass Mann nicht die Eier hatte, mir all jene Dinge zu sagen und stattdessen den einfachen Weg der Stille wählte. Aber Stille ist nicht der einfache Weg, um sich – im wahrsten Sinne des Wortes – aus der Affäre zu ziehen.

Stille ist nicht der einfache Weg, um sich aus der Affäre zu ziehen.

Sie mag sich zu Beginn zwar leichter anfühlen als die direkte Konfrontation, hinterlässt langfristig aber auf beiden Seiten Scherben. Die sich irgendwann zu einem ziemlich großen Haufen summieren. Daher auch mal ein wenig Klartext an euch:

Versucht bei euren zukünftigen Dating-Erfahrungen doch einfach mal, offen und ehrlich zu kommunizieren. Egal, ob ihr für euch beschließt, dass ihr die Person nicht mehr sehen wollt, weil es leider nicht passt. Oder aber feststellt, dass ihr anfangt, euer Gegenüber wirklich zu mögen – und aus Angst cooler und entspannter tut, als ihr eigentlich seid.

Traut euch, miteinander zu reden, nachzufragen und für eure Bedürfnisse und Gefühle einzustehen! Euer Selbstwertgefühl wird es euch danken. Und euer Herz sowieso.

Bei meinem kann ich so langsam mit den Reparatur-Arbeiten beginnen. Und das fühlt sich einfach nur großartig an!

Natalie, Mitte 20, ist gerade in den Endzügen ihres Masters in „irgendwas mit Medien“. Sie hat mittlerweile so viel Großstadt-Dating-Erfahrung gesammelt, dass Sie sich selbstsicher als Dating-Profi bezeichnet und vermutlich ihre eigene Sozialstudie zu dem Thema veröffentlichen könnte. Wenn sie sich nicht gerade munter durch die Hauptstadt swiped, checkt sie gerne die besten Hotspots für genialen Käsekuchen, oder sitzt mit Bier bewaffnet in Parks oder Spätis und philosophiert über das Leben. 

Headerfoto: Victor Dueñas Teixeira via Unsplash.com. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür.

1 Comment

  • Auch ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, wie zentral es ist, dass mein Selbstwertgefühl und -vertrauen wachsen, damit es mit Frauen klappt.
    Solche klärenden Gespräche, wie du sie führst, können helfen; ich möchte dafür v.a. lernen, Zuneigung und Begehren deutlich und respektvoll anzusprechen; nicht zu sachlich-distanziert zu sein aus Angst davor, jemanden mit Gefühlen zu nerven.

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