Die nackte Wahrheit: Ich will meinen Körper nicht erst dann akzeptieren, wenn er dem gesellschaftlichen Schönheitsideal entspricht

Vor einer Weile habe ich Selbstporträts gemacht, die ich – ohne es zu wissen- schon lange machen wollte. Nacktbilder – allein dieses Wort ist in meinen Augen so vorurteils- und schambehaftet. Ich weiß, dass ich “Glück” habe, da ich in einem Körper lebe, in dem ich mich zum einen ganz wohl fühle und der zum anderen wohl gesellschaftlich als attraktiv und dem Bild von “schön” einigermaßen entsprechend angesehen wird – schätze ich mal.

Körpergefühle

Trotzdem habe ich ein gewisses Schamgefühl, was z.B. meine Brüste und meinen Intimbereich angeht. Trotzdem hallen Worte, die mir irgendwelche nicht denkenden pubertierenden Jungs mal in der Schulzeit an den Kopf geworfen haben, immer noch nach, besonders wenn das eigene Selbstbewusstsein mal nicht so hoch ist.

„Rasier dir mal die Achseln, ist ja widerlich. Deine Schultern sind ja unnormal breit, du siehst aus wie ein Kerl. Warum die kurzen Haare? Mit langen würdest du viel hübscher aussehen.“ Selbst meine Mutter macht sich ab und an noch über meinen aufgeblähten Bauch nach dem Essen lustig.

Auch bei diesen Dingen weiß ich, dass ich wohl noch “gut” weggekommen bin und das im Grunde die harmlosen Dinge sind, die man sich als Frau anhören muss – ich habe trotzdem nie danach gefragt, vielen Dank auch!

Dass ich mich meistens ziemlich gut in meinem Körper fühlen kann, ist vermutlich eine Art Privileg, denn ich kann mir gut vorstellen, wie schwierig es ist, wenn der eigene Körper gesellschaftlich nicht so recht ins Bild passt.

Ist das bei Männern auch so? Müssen Männer sich als Jugendliche und auch später noch alle möglichen Kritiken bezüglich ihres Körpers anhören? Wird ihnen gesagt, wie sie sich zu präsentieren, was sie an sich zu verbessern und zu verstecken haben?

Ist das bei Männern auch so? Müssen Männer sich als Jugendliche und auch später noch alle möglichen Kritiken bezüglich ihres Körpers anhören?

Ich kann es mir jedenfalls nicht in dem Ausmaß vorstellen, obgleich es ohne Frage ebenso für Männer ein völlig bizarres Schönheitsideal geben mag.

Der Punkt ist (und damit überrasche ich niemanden mehr, ich weiß): Du kannst es niemanden Recht machen. Du hast und zeigst entweder zu viel oder zu wenig. Bist zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, zu breit, zu schmal, zu blass, zu braun, zu weich, zu knochig, zu feminin, zu androgyn, zu doll oder zu wenig geschminkt, zu freizügig, zu viel angezogen, zu selbstbewusst, zu zurückhaltend.

Gesellschaftlich wird man nie das perfekte Mittelmaß sein. Nie dem Idealbild entsprechen – und wer hat das überhaupt festgelegt und bestimmt, dass nur dieses erstrebenswert sei? Zumal das Idealbild alle paar Jahre ein anderes ist.

Wenn dein Körper erst von der Gesellschaft akzeptiert werden muss

Wenn ich mich so auf meinen Fotos betrachte, dann mag ich an mir und meinem Körper doch eigentlich fast alles. Und doch hallen diese belanglosen Kommentare in meinem Kopf wider: „Zu breite Schultern, igitt Achselhaare, du siehst aus wie ein Kerl.“ Und mit jedem wechselnden Schönheitsideal werden neue Selbstzweifel draufgepackt.

Schließlich bin ich keine Kim Kardashian, habe nicht besonders viele Kurven, nicht viel zum “anpacken” – wer auch immer sich rausnimmt zu verlangen, da müsse etwas zum Anpacken sein.

Wie schwierig es sein muss, wenn man hässliche, gemeine Sachen hören musste, die Menschen einem ungefragt an den Kopf werfen. Wie soll man da ein gutes Körpergefühl haben?

Dass ich das trotzdem gut wegstecken und mich meistens ziemlich gut in meinem Körper fühlen kann ist vermutlich eine Art Privileg, denn ich kann mir gut vorstellen, wie schwierig es ist, wenn der eigene Körper gesellschaftlich nicht so recht ins Bild passt. Wie schwierig es sein muss, wenn man hässliche, gemeine Sachen hören musste, die Menschen einem ungefragt an den Kopf werfen. Wie soll man da ein gutes Körpergefühl haben?

Mein Körper ist deren Projektionsfläche

Ich habe das Gefühl, unsere Gesellschaft sieht den menschlichen Körper als ein Objekt, eine Projektionsfläche für Bedürfnisse, eigene Unzufriedenheiten und sexuelle Aggressionen. Gerade bei Frauen.

Was ist an einem weiblichen Nippel anders, als an einem männlichen? Warum muss ich meine Nippel immer noch verstecken? Mich dafür gewissermaßen immer noch schämen? Warum dürfen sich Männer oben ohne im Internet und auch sonst überall präsentieren und das ist einfach nur okay, cool, selbstbewusst, vielleicht noch schlicht und einfach attraktiv, während Frauen ihren Körper erst einmal zensieren und sich im Anschluss zum Lustobjekt degradieren und für sämtliche sexistischen, ekelhaften Kommentare wappnen müssen?

Ich habe das Gefühl, unsere Gesellschaft sieht den menschlichen Körper als ein Objekt, eine Projektionsfläche für Bedürfnisse, eigene Unzufriedenheiten und sexuelle Aggressionen. Gerade bei Frauen.

Gerechtfertigt mit dem alles erklärenden Kommentar “Ihr habt es ja so gewollt, wenn ihr euch so präsentiert, müsst ihr damit rechnen”. Nein. Einfach nein. Das hat keine einzige Frau gewollt und ain’t nobody asked for your opinion!

Jaja, der eigene Körper. Ein gesundes Körpergefühl zu finden, ist heutzutage wohl schwerer denn je. Selbst #bodypositivity kann es schaffen, einigen ein schlechtes Gefühl zu geben, weil sie dann doch wieder zu dürr sind – oder was auch immer.

Von allen Seiten wird uns eingeredet, wie wir auszusehen haben, was wir tun und lassen müssen, damit wir so aussehen und welche Körperteile ein Tabu sind und gefälligst auch bleiben.

Schamgefühle

Damit kommen wir wohl zu dem Bereich meines Körpers, der für mich schwierig zu akzeptieren und zu lieben ist. Der Schambereich. Ich weiß, dies ist ein nicht mehr aktuelles Wort, doch damit bin ich aufgewachsen und so zeigt es auch sehr gut, wie ich darüber denke. Es ist durch und durch schambehaftet.

Obwohl ich auch hier sagen muss: Ich habe einen einigermaßen gesunden Bezug zu meiner Vulva, denke nicht, dass sie komisch ist, oder anders aussehen sollte – ich wüsste auch gar nicht wie.

Der Schambereich: Ich weiß, dies ist ein nicht mehr aktuelles Wort, doch damit bin ich aufgewachsen und so zeigt es auch sehr gut, wie ich darüber denke. Es ist durch und durch schambehaftet.

Trotzdem ist da ein Unwohlsein, umziehen in öffentlichen Umkleidekabinen fand ich z.B. schon immer super unangenehm. Und vielleicht fehlt einfach das Bewusstsein und die gesehene Vielfalt, um zu wissen, dass mein Intimbereich ganz wundervoll normal ist, nichts, wofür ich mich schämen oder was ich verstecken müsste. Etwas, das dazugehört, wie jedes andere Körperteil und Organ auch.

Mein Körper ist mehr als diese äußere Hülle

Mein Körper ist mehr als diese äußere Hülle, mehr als Haut, Knochen, Organe, Blut und Wasser. Mein Körper hat ein Herz und eine Seele. Er ist mein Zuhause auf dieser Erde, mein Instrument, das Leben zu erfahren. Ich kann durch ihn so viel erleben, bewegen, fühlen und teilen. Er ist ein Wunderwerk der Natur, das natürlichste der Welt. Er funktioniert für mich, ohne dass ich ihn darum bitten muss. Er atmet, bewegt, regeneriert sich, ohne, dass ich irgendetwas tun muss. Jeden einzelnen Tag aufs Neue. Immer und immer wieder. Allein das ist doch schon unglaublich, es ist wundervoll und wunderschön.

Mein Körper ist mein Zuhause auf dieser Erde, mein Instrument, das Leben zu erfahren.

Er ist verdammt nochmal ein Wunder! Wie kann es mich da noch ernsthaft interessieren, ob ich gut genug aussehe? Ob der Blödmann aus der siebten Klasse mich jetzt attraktiv finden würde? Zur Hölle damit, scheiß drauf!

Meine Selbstporträts waren auf gewisse Weise heilsam für mich. Mir und der nackten Wahrheit in die Augen zu schauen, mich anzusehen, so wie ich bin. Keine verrückten Posen, kein perfektes Retuschieren. Einfach ich und meine Haut. Und ich wünschte, das, was ich gesehen habe, würde jeder einzelne Mensch beim Blick in den Spiegel sehen:

Du bist einzigartig, dein Körper ist wundervoll und du bist wunderschön – ganz genau so, wie du bist. Im Innen wie im Außen.

Headerfoto: Billie via Unsplash. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

Nele schreibt und reflektiert – um sich selbst, das Leben und seine Herausforderungen zu verstehen. Und um die chaotischen Gefühle und Gedanken zu sortieren, die sich manchmal so groß und so überwältigend anfühlen können. Ansonsten fotografiert sie, stapft auf der Suche nach Entschleunigung durch die Natur und philosophiert mit ihren Freundinnen über Spiritualität, den Sinn des Lebens und Männer.

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