Die moderne Feministin kann alles? Ja klar, aber sie muss auch nicht immer superstark sein

Die moderne Feministin kann alles, weiß alles, lässt sich nicht in die Abhängigkeit drängen. So oder so ähnlich scheint das Superheldinnenkostüm zu passen. Spätestens jedoch, wenn ich, Alleinerziehende, Partnerin, Berufstätige und Studentin, mir den Bauch aufschneiden lasse, in einer etwa vierstündigen Operation, schwinden all meine Superkräfte auf nicht sehr wunderliche Weise dahin.

So sitze ich also auf dem Sofa des Partners, vor wenigen Tagen noch voll funktionsfähig und heute abhängig wie ein Neugeborenes. Er muss mir jeden Abend Thrombosespritzen verabreichen, half mir zumindest zu Beginn beim Aufstehen, Waschen und Herreichen verschiedener Versorgungsmittel und ich spürte das Gefühl von Scham in mir aufkommen.

So ist es nicht verwunderlich, dass ich heute nach Tag 5 meiner OP vor ihm sitze und weine. Ich weine, weil ich mich schuldig fühle, weine um den Verlust meiner Selbstständigkeit (auch wenn es sich hierbei um eine zeitweise auftretende Anomalie unseres Alltags handelt).

So ist es nicht verwunderlich, dass ich heute nach Tag 5 meiner OP vor ihm sitze und weine. Ich weine, weil ich mich schuldig fühle, weine um den Verlust meiner Selbstständigkeit (auch wenn es sich hierbei um eine zeitweise auftretende Anomalie unseres Alltags handelt) und weine, weil ich, die sonst so stark, wuselig und gesellig ist, von seinem Sofa aus nur einen Mikrokosmos regiere, mit Blick auf seinen Flur, seine Kommode, seinen Balkon. Nichts davon ist meins, nichts von alledem, was mich zusätzlich die letzten Jahre ausgemacht hatte. Stattdessen wohne ich nun in meinem Kopf, der sich nicht zufällig in seiner Wohnung befindet.

Zeitweiliges Mitgefühl und geknickter Stolz

Er schaut mich an, streichelt meinen Kopf und schlägt die Augen nieder. Ich schluchze, dass ich weiß wofür sich das hier alles lohnt und ich auch echt keine Memme bin, aber gerade im Versuch meine Autonomie und Selbsttätigkeit wiederzuerobern, Grenzen in Form von Schmerzen aufgezeigt bekomme, die wirklich keine Freude bereiten. Er nickt verständnisvoll. Dabei war er es auch, der mir die letzten Tage so schwermütig und erschöpft vorkam, dass ich wieder beginnen wollte mir allein die Haare zu waschen, allein mein Geschirr abzuräumen und allein die Wäsche abnahm. Seine Wäsche. Denn ich hatte ja gelernt, stark und belastungsfähig zu sein. Ich hatte verinnerlicht: die eierlegende Wollmilchsau bin ich.

Ich hatte ja gelernt, stark und belastungsfähig zu sein. Ich hatte verinnerlicht: die eierlegende Wollmilchsau bin ich.

Dass ich dafür mitunter dann in der Nacht krampfend, zuckend und wimmernd auf dem Kissen hin und her rollte, war der Preis, den es für nicht herunterschluckbaren Stolz zu zahlen galt.

Ich sehe dabei, dass ich als Frau noch immer genau das tue, was man von mir erwartet. Eigentlich dürfte ich doch jetzt selbstmitleidig um seine Aufopferung bitten und verlangen, dass er mich versorgt, pampert und in liebevoller Fürsorge Tag für Tag an meiner Seite währt. Stattdessen habe ich Verständnis für seinen Alltag, der neben mir bestehen muss und Verständnis für seine Lust auf Erholung, wenn er am Wochenende Stück für Stück seinen Raum zurückerobert und sich mit Freunden trifft.

Ich schäme mich dann, weil ich hier sitze und mit großen Augen zu ihm schaue, sobald er zur Tür hineinguckt. Ich fühle mich schuldig, weil ich ihm das Gefühl geben könnte, Druck zu machen, obwohl er nun einmal einfach der einzige Mensch ist, der hier weit und breit zu sehen ist. So kann ich meine Aufmerksamkeit nicht von dem sich bewegenden Subjekt wenden, das an der Tür vorbeihuscht und zu hoffen scheint, nicht angesprochen zu werden. Nicht jetzt. Nicht heute. Nein, nein, nein, lass mich doch einfach mal in Ruhe!

Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur gerade nicht dazu

Ich möchte so eben nicht sein. Ich möchte auch lieber mit meinen Freundinnen Kaffee trinken, abends erschöpft über die Arbeit herziehen und mich mit ihm verabreden, zu Kneipenbier und Anschlusssex.

Aber ich möchte so eben nicht sein. Ich möchte auch lieber mit meinen Freundinnen Kaffee trinken, abends erschöpft über die Arbeit herziehen und mich mit ihm verabreden, zu Kneipenbier und Anschlusssex. Die Realität ist, dass ich über den Badewannenrand umständlich die Haare wasche. Dabei ein Tränenmeer vergieße und hoffe er hört es vor der Tür nicht. Wenn ich dann in die Küche wanke, mich zu ihm setze und wir feststellen, dass mein ganzes Haar noch voller klebrigem Schaum ist, bricht es aus mir raus. Die Wut über seine derzeitige Verfassung, die Wut über meine derzeitige Verfassung und der Eindruck, so falsch zu sein, wie ein ungewolltes Kind.

Später werde ich in sein Bücherregal greifen. Ich ziehe wahllos Wolfgang Herrndorfs Arbeit und Struktur raus. Ich lächle müde. Ich blättere etwas. Er kommt zu mir, sagt ich solle das nicht lesen aktuell. Ich habe es schon gelesen. Und ich beginne wieder zu weinen wie das Baby, das ich gerade bin. Schutzlos, ausgeliefert und abhängig.

Headerfoto: Abd Elrahman Elokby (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

Laurine Lauretta, ein Perpetuum Mobile. Zwischen alleinerziehender Mutterschaft, pädagogischer Arbeit und Frausein, bleibt noch genug Zeit sich viele Gedanken um die Liebe, das Leben und allerlei Unsinn zu machen. Hier in Wort und Text.

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