Die Angst, Die Angst: Wie es sich anfühlt, mit ihr durchs Leben zu gehen

Es gibt viele Emotionen, die als unangenehm empfunden werden. Je nach Erfahrungswert kennt jeder Mensch eine oder mehrere Emotionen, die er bzw. sie persönlich als ganz besonders schlimm empfindet. Bei mir ist es die Angst. Ein Gefühl, welches ich nicht oder nur schwer abschütteln kann und zu dem ich gleichzeitig eine innige Beziehung pflege.

Angst ist ein sogenanntes Grundgefühl und überlebenswichtig. Sie fungiert als wichtiger Schutzmechanismus. Durch sie lernen wir angemessene Verhaltensweisen einzuleiten, die bedrohlichen Situationen entgegenwirken und uns vor negativen physischen oder psychischen Folgen schützen.

Dass eine so wichtige Schutzfunktion zu einem Alptraum zweiten Grades werden kann, hätte ich früher nie gedacht. Aber wie überall im Leben, gibt es auch hier ein richtiges Maß. Mein Maß an Angstempfinden ist nicht nur übertrieben gesteigert, sondern schlicht und ergreifend krankhaft. So krankhaft, dass es mich in den schlimmsten Phasen in meiner Lebensqualität bis zum Mindesten einschränkte.

Drei Wochen konnte ich meine Wohnung nicht verlassen. Mehrere Monate habe ich täglich aus Angst und Verzweiflung geweint.

Drei Wochen konnte ich meine Wohnung nicht verlassen. Mehrere Monate habe ich täglich aus Angst und Verzweiflung geweint. Ich hatte unbegründete Panik. Sie war einfach da. Und sie wollte nicht wieder gehen.

Von da an wurde diese Emotion zu meinem ständigen Begleiter. Mal schwieg sie einige Stunden oder hielt sich zumindest im Hintergrund. Mal saß sie ganz plötzlich hinter meinem Ohr und erzählte mir mit penetranter Stimme, wie bedrohlich der Zustand gerade sei. Ich glaubte ihr.

Denn noch viel größer als die Angst selbst war die Sorge, dass die Angst Recht haben könnte und ich, wenn ich sie ignoriere, gar nicht bemerke, dass ich mich vielleicht gerade tatsächlich in einer gefährlichen Situation befinde. Also lieber vorsichtig sein, der Angst nachgeben und stets gewappnet sein, dachte ich.

Dass ich mich damit in einen Teufelskreis begebe, habe ich unterbewusst geahnt, aber es war mir in diesem Moment einfach egal. Ich musste der Angst nachgeben. Sie war stärker als ich und es war in schwachen Momenten sehr viel einfacher, der Stimme in meinem Kopf zu folgen als meinem eigenen Verstand.

Ich gehorchte ihr und empfand dies bald als einen inneren Zwang. Die Folge: Ich vermied es, überhaupt in Situationen zu geraten, in denen die Angst besonders zuverlässig zu mir sprach, so dass ich irgendwann nichts mehr aß, mich von niemandem mehr anfassen ließ, mich nicht mehr in Gesellschaft begab und schon bald auch die Wohnung nicht mehr verlassen wollte.

Ich lag nur noch im Bett und schlief. Der einzige Zustand, in dem ich keine Angst empfand.

Ich lag nur noch im Bett und schlief. Der einzige Zustand, in dem ich keine Angst empfand. Sobald etwas Ungeplantes passierte, war sie wieder da. Inklusive Luftnot, Herzrasen, Ohnmachtsgefühle. Regelrechte Panikattacken. Ungeplant heißt in diesem Zusammenhang: Es klingelte an der Haustür oder der Heizungsableser sollte vorbeikommen.

Ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich hatte Hunger und Durst. Ich war schwach und müde vom ständigen Weinen. Aber der Gang zum Arzt oder einen Hausbesuch anzufordern, waren für mich zu diesem Zeitpunkt völlig surreale Szenarien.

Alleine der Gedanke daran versetzte mich in pure Panik. Ich verstand mich selbst nicht mehr. Innerhalb weniger Monate, war ich zu einer mir und anderen völlig fremden Person geworden.

Meinen Freunden sagte ich zwar, dass es mir „nicht allzu gut gehe“, verschwieg aber, wie es wirklich um mich stand, und schob meine ständige Abstinenz auf die anstehende Prüfungsphase und darauf, mit der Prüfungsvorbereitung beschäftigt zu sein. Zu groß war die Sorge, jemand könnte vorbeikommen, um nach mir zu sehen.

Als ich es eines Tages, nach reiflicher Planung, doch zum Arzt schaffte, brauchte ich 40 Minuten für einen Fußweg von 600 Metern. Ich ging winzige Schritte, musste alle paar Meter umdrehen und mich dann erneut zwingen weiterzugehen. Ich schämte mich für die Blicke der Passanten, aber ich wollte beim Arzt ankommen und endlich Hilfe erhalten.

Als ich in das besorgte Gesicht meines Hausarztes blickte, wurde mir erst richtig bewusst, wie schlecht es mir ging: Ich hatte innerhalb von drei Wochen sechs Kilo verloren, war geplagt von Haarausfall und schuppiger Haut, weil ich kaum noch trank.

Ich hatte innerhalb von drei Wochen sechs Kilo verloren, war geplagt von Haarausfall und schuppiger Haut, weil ich kaum noch trank.

Ich musste meine Problematik nicht lange erläutern, er sah mich an, hörte mir einige Sekunden lang zu und nickte. „Ich habe Angst. Die ganze Zeit. Ich sterbe fast vor Angst“, weinte ich. Ob er durch mein ganzes Schluchzen überhaupt etwas verstand, weiß ich nicht. Aber das musste er scheinbar auch nicht.

Er riet mir auf taktvolle Weise, aber dennoch sehr deutlich, mich stationär in eine psychiatrische Klinik aufnehmen zu lassen. Daraufhin weinte ich nur noch mehr. Nicht nur aus Scham, sondern auch, weil ich wenige Wochen vor meinem Staatsexamen stand und mir in diesem Moment nichts wichtiger erschien, als diese Prüfungen zu bestehen.

Dabei hätte ich in meinem damaligen Zustand nicht einmal daran teilnehmen können, muss ich mir heute eingestehen. Welche Therapieform ich schlussendlich wann und warum angenommen habe, möchte ich hier gar nicht weiter erläutern. Fakt ist: Ich habe Hilfe gebraucht und sie – glücklicherweise – auch erhalten.

Drei Jahre später leide ich noch immer unter meiner Angsterkrankung. Ich nehme noch immer Medikamente. Ich habe mich damit abgefunden, dass mich die Angst wahrscheinlich nie wieder gänzlich verlassen wird. (Anmerkung d. Autorin: Das gilt für mich und ist nicht auf alle Betroffenen übertragbar! Niemand soll sich entmutigt fühlen und jeder Erkrankungsverlauf ist individuell zu betrachten).

Wäre ich früher noch weinend zusammengebrochen, hätte mir jemand gesagt, dass ich mein altes Leben ohne Angstzustände wahrscheinlich nicht wiederfinden werde, so kann ich heute sagen: Es ist okay.

Wäre ich früher noch weinend zusammengebrochen, hätte mir jemand gesagt, dass ich mein altes Leben ohne Angstzustände wahrscheinlich nicht wiederfinden werde, so kann ich heute sagen: „Es ist okay. Es wäre schöner und leichter ohne meine Angststörung, aber es ist okay.“ Ich habe gelernt, damit zu leben und einen positiven Umgang mit dieser psychischen Erkrankung gefunden.

Psychopharmaka und verschiedene Psycho- und Verhaltenstherapien haben mir geholfen, mich in meinem Leben wieder zurecht zu finden. Nach außen hin mag ich sorglos und wild erscheinen. Die Wahrheit ist, dass die Angst mich noch immer jeden Tag begleitet. Aber wir haben uns aufeinander eingespielt. Sie besitzt mich nicht mehr. Mal habe ich, mal sie die Oberhand.

Und etwas Schönes zum Abschluss: Jeder Tag, an dem ich angstfrei durch meinen Alltag gehen kann, ist für mich ein wunderschöner. Ich erfreue mich aufrichtig an solchen Tagen, weil ich weiß, dass diese nicht selbstverständlich sind. An Lebensqualität habe ich also nicht ausschließlich verloren, sondern ebenso viel dazugewonnen.

KtjBmnn: Ich bin 29 Jahre alt und arbeite inzwischen – aufgrund eigener Erfahrungen – als Gesundheitspsychologin in einem Start-Up, welches Wartezeiten auf Psychotherapieplätze sinnvoll zu überbrücken versucht. Des Weiteren arbeite ich privat daran, dass psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft offener angesprochen und weniger stigmatisiert werden.

Headerfoto: Juri Gianfrancesco via Unsplash.com.  (Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

1 Comment

  • … oh Gott, wie ich den „Scheiß“ kenne… ich habe auch 10 oder eher 15 Jahre damit gekämpft und war oftmals dem Abgrund näher als dem Leben und doch hat es kaum jemand gemerkt, noch wahrnehmen wollen… ich kann deinen Worte deutlich nachfühlen, jede einzelne deiner Aussagen mit erlebten Emotionen füllen…

    … vielleicht als kleiner Mutmacher, obschon du wahrscheinlich alle kennst, es wird mit der Zeit weniger, als ob man sich damit arrangiert, auf eine sehr subtile Art und Weise… manchmal ist es bei mit jetzt für Wochen weg und wenn es mal aufflammt, dann nur für Sekunden oder mal Minuten… so als ob es sagen will „Freund aufpassen, ich bin noch da und könnte aber ich lass dich in Ruhe“ …

    … ich drück dir die Daumen, das du immer eine Schritt weiter kommst und die Phasen ohne Angst immer ein bisschen länger werden ….

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