Sie stieg auf der Beifahrerseite des Autos ein, steckte den in ihrer Hand fest umklammerten Schlüssel ins Loch und drehte das Radio laut. Aus den Augenwinkeln sah sie den Bus neben sich vorbeifahren, aber sie traute sich nicht, noch einen letzten Blick zu riskieren. Oder wollte nicht.
Sie ließ einige Sekunden verstreichen, bevor sie bemüht-gefasst den Blinker setzte und ihren linken Fuß langsam von der Kupplung gleiten ließ. Noch während sie aus der Parklücke raus fuhr, zappte sie die eingespeicherten Programme durch, bis sie ein ihr und der Situation entsprechendes Lied fand. „That’s how you know you messed up, ouuuuhhh.“ Irgendwie passend.
Momente, die einzelne Szenerien der letzten 48 Stunden auf die Windschutzscheibe projizierten und zur Gegenwart machten.
Als sie zum ersten Roundabout kam, zerrte ihre Fassung wie ein ralliger Golden Retriever an der Leine. „Nein, nicht“, wollte sie dem Vierbeiner befehlen, als sie den zweiten Roundabout verlassen hatte und auf der grünen, mit Sonne beleuchteten Landstraße entlang fuhr, die an den Seiten mit Schafen verziert und auf der falschen Straßenseite mit Autos gesäumt war.
Da konnte sie die gespannte Leine nicht mehr festhalten – und so entglitt sie ihr. Mit hüpfendem Mund und schwimmenden Augen konzentrierte sie sich, nicht in einen der ihr entgegenkommenden Viehtransporter zu schießen.
Millisekundenlange Momente, die einzelne Szenerien der letzten 48 Stunden auf die Windschutzscheibe projizierten und zur Gegenwart machten.
Meer, Strand. Stadt, Markt. Fluss, Talk. Bier, Pizza. Pub, Tanz. Heimweg, Kuss. Hostel, Sex. Bus, weg. Für immer verschwunden.
Du bist sie. Die Eine.
Während sie ihn innerlich noch einmal in den Doppeldeckerbus einsteigen sah, er sich ein letztes Mal zu ihr umdrehte, grinste und ihr mit halb erhobener Hand eine Abschiedsgeste hinterließ, stellte sie sich vor, in den Transporter vor ihr zu rasen. Vielleicht würde er umdrehen, an ihrem Krankenbett sitzen, ihre Hand halten und sagen:
„Du bist sie. Die Eine.
Lass uns an Morgen denken, einen Weg finden, nicht nur im Moment leben.
Lass uns ein Leben aufbauen, gemeinsam erfinden, wachsen lassen.
Lass uns zusammen glücklich sein und niemand anderen wollen.
Lass uns über Zäune klettern, Schafe streicheln.
Lass uns um 3 Uhr nachts aufstehen, an den See fahren und die Sonne aufgehen sehen.
Lass uns losfahren, nicht wissen wohin, nicht kümmern wohin.
Lass uns in Buchläden abhängen, in Büchern mit schönen Covern stöbern.
Lass uns auf Festivals gehen, im Morgengrauen das Zelt suchen.
Lass uns Mitten im Club den Napoleon-Dynamite-Dance tanzen und niemand anderen sehen.
Lass uns Pläne schmieden, Diskussionen führen, Museen besuchen, Biersorten durchprobieren, vertraut umarmt einschlafen.
Lass uns durch Schweden reisen, mit einem Zelt und einem Gaskocher. 3 Wochen lang, ohne jemand anderen.
Lass uns Sex haben, 10 Mal am Tag, und trotzdem noch mehr wollen.
Lass uns die ganze Nacht aufregende Gespräche führen, uns immer wieder neu verlieben.
Lass uns das Pärchen sein, das jeder sein will.
Lass uns an morgen denken, einen Weg finden, nicht nur im Moment leben.“
Lass uns glücklich sein zusammen und niemand anderen wollen.
Sie ließ die Tränen vom Kinn auf ihre Brüste fallen und musste lachen. Schluchzend, lachend dachte sie, dass sie wieder einmal zu viel dachte, interpretierte. Und trotzdem, wie jedes Mal, war es dieses Mal etwas anderes.
48 Stunden Trailer, ohne den Film sehen zu können.
48 Stunden Advent, ohne dass Heiligabend kommt.
48 Stunden warten auf Sommer, aber in Irland regnet es immer.
48 Stunden arbeiten, ohne Feierabend.
48 Stunden Vorschau, ohne zu erfahren, was hätte sein können.
Headerfoto: Stockfoto von Eugenio Marongiu/Shutterstock. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Danke dir dafür….Jaa…..Weisst du Schatz was noch schlimmer ist……Diese 48, manchmal sind es auch nur 3 oder 4 oder 6, immer wieder durchleben zu müssen…wie ein kleiner verlockender Vorgeschmack auf etwas Wunderbares das aber nie kommen wird…..die ersten Stunden Hoffest du, bist sicher das wird…..doch je öfter sich die Stunden wiederholen desto ambivalenten werden deine Gefühle, Liebe und Hass wachsen stetig, Mal überwiegt das Eine, Mal das Andere….er geht, er kommt, er geht….und du lässt es zu, meinst, oooooh er wird irgendwann erkennen…..nein…..wird er nicht…..er kennt dich nämlich schon längst…deine Naivität, dein Hoffen, deine Art ihn anzusehen…für ihn ist das Leben eine Blumenwiese….und du eins seiner Blümchen🌺🌺🌺