Ich habe länger nichts geschrieben, weil mich privat etwas krass ins Wanken gebracht hat. Angefangene Tagebucheinträge, keine klaren Gedanken, haben mir gezeigt, dass ich Abstand von Traurigkeit, Enttäuschung und vor allem von Konfrontation brauchte. Es geht um meine Familie und um Menschen aus meiner Vergangenheit, mehr mag ich dazu nicht sagen, um diese zu schützen. Was ich aber mit euch teilen möchte, sind die Erkenntnisse aus den letzten Wochen.
Wir haben es geliebt, unsere kleine, perfekte Familie nachzuspielen.
„Mutter-Vater-Kind“ war der Dauerbrenner meiner Kindheitsfreundin und mir. Wir haben es geliebt, draußen unsere kleine, perfekte Familie nachzuspielen. Bis wir irgendwann als Teenager merkten, dass wir alles andere als Leben mit kleinen, perfekten Familien hatten. Lange, sehr lange, habe ich gebraucht, um das zu akzeptieren, und ich bin sicher immer noch dabei.
Geplatzte Kindheitsträume
Psychische Erkrankungen, Angst, Scheidung, als junger Mensch auf mich allein gestellt zu sein – das war meine Realität in meiner Familie. Und auch mit 32 Jahren hat diese Kindheit natürlich noch Einfluss auf meine Gegenwart. Die meiste Zeit kriege ich das gut hin, bin viel im Hier und Jetzt und habe viel mit Hilfe einer Therapie verarbeitet, doch gerade zur Weihnachtszeit gibt es diesen Teil in mir, der für drei Tage unbeschwert Mutter-Vater-Kind leben möchte.
Jedes Jahr aufs Neue wird mir schmerzhaft bewusst, dass ich all das mit meiner primären Familie nicht mehr haben werde.
Ein großer Tisch voll gutem Essen, ein schön geschmückter Weihnachtsbaum, Weihnachtslieder und lautes Gewusel sind immer noch schöne Erinnerungen aus meiner Zeit als kleines Kind. Jedes Jahr aufs Neue wird mir schmerzhaft bewusst, dass ich all das mit meiner primären Familie nicht mehr haben werde.
Neue Rituale erschaffen
Träume loszulassen, Menschen und Vorstellungen loszulassen, fällt mir gar nicht mal so leicht und irgendwie war ich bis jetzt wohl auch der Typ Mensch, der das mit Vorwarnung und Anlauf öfter zu spüren bekommen musste als andere. Jedes Jahr verdränge ich aufs Neue, strample es weg und verkrieche mich Endes des Jahres in mein Schneckenhaus. Doch dieses Jahr war es anders. Da war ein Satz, der mich zum Nachdenken angeregt und mir dabei geholfen hat: „Lass uns anfangen, unsere eigenen Rituale zu erschaffen!“, sagte mein Freund zu mir. Und das taten wir, das tat ich.
„Lass uns anfangen, unsere eigenen Rituale zu erschaffen!“, sagte mein Freund.
Am 23.12. saß ich an einem großen Tisch voll gutem Essen, Weihnachtsdeko und lautem Gewusel mit meinen engsten Freundinnen zusammen und genoss jede Minute! Das war ein wundervoller Tag, der mir trotz – oder wegen – meines geplatzten Mutter-Vater-Kind Szenarios so viel Liebe gab!
Happy End oder Neuanfang?
Es folgten spanische Tapas statt Weihnachtsgans mit meiner Wahlfamilie und sogar gemeinsames Weihnachtslieder-Grölen, um einen Weihnachtsbaum mit den kitschigsten Baumkugeln, die ich je gesehen habe – mit einer Familie, die mich nicht herzlicher hätte aufnehmen können!
Mein Happy End? Nein, aber ein verdammt guter Anfang für neue Rituale.
Mein Happy End? Nein, aber ein verdammt guter Anfang für neue Rituale! Wieder ein bisschen mehr loslassen, wieder ein bisschen mehr Heilung…In den letzten Jahren habe ich mir gewünscht, dass wir offener mit psychischen Erkrankungen umgehen, und schrieb über meinen Alltag mit Panikattacken. Ich habe mir gewünscht, dass wir aufhören sollen, Scheißgefühle zu unterdrücken und auszuhalten und dieses Jahr kommt etwas Neues hinzu:
Familie hin oder her, umgebt euch mit Menschen, die euch guttun! Schafft euch eigene Rituale und sprecht über eure geplatzten Träume! Ihr glaubt nicht, wie viele Menschen sich nicht trauen, darüber zu sprechen. Wie viele Menschen wie du und ich alleine an Weihnachten oder anderen Feiertagen zu Hause sitzen und traurig darüber sind. Verbindet euch und teilt eure Traurigkeit, denn so kann wundervolles Neues entstehen!
Breathe, peace and love,
eure Marisa
Headerfoto: Inga Seliverstova (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!